shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Seltsam übrigens …

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… daß sich ausgerechnet jene – völlig zu Recht! – darüber ereifern, daß Rentner in Münchener U-Bahnen angefallen werden, natürlich ist das zum Kotzen, weiß gar nicht, wer das in Frage gestellt hätte; daß also  jene, die sonst die Moralisierung geißeln, nun als Moralhüter durch die Weltgeschichte spazieren, so als deutscher Geist – genau jene, die in anderen Diskussionen es völlig in Ordnung finden, daß manche sich eben im Alter die lebensrettende Behandlung leisten können und andere nicht, so ist die Natur namens Markt. Die schon jetzt dafür kämpfen, daß Alter, Armut und Hunger in Zukunft sich steigernd auch ja für ältere Menschen die Realität wachsender, unterer Schichten bleiben solle, möglichst sich stets verschärfend … usw.

Written by momorulez

19. Januar 2008 um 13:35

Veröffentlicht in die Moral, Rand-Notizen, Staat=Markt?

21 Antworten

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  1. … und damit das auch so bleibt, unten in der Schule diese Mechanismen noch zementieren wollen. Heute in der Mopo mal das Statement der CDU und der FDP lesen, gruseln und sich dann in Ruhe meine Schilderung von G. Vorschule in Ottensen reinziehen.

    Das schlimme ist, dass sie darauf angesprochen, wirklich nicht verstehen, was man meint.

    Erik

    19. Januar 2008 at 13:46

  2. Ich vermute, sie verstehen deshalb nichts, da sie sich nie die Mühe gemacht haben, sich in die Situation der Betroffenen hineinzudenken und einzufühlen. Wie es jemanden ergeht, der in der U-Bahn zusammengeschlagen wird, dass kann sich jeder (einschließlich jedem Politiker) mühelos vorstellen. Wie es einem „Sozialrentner“ ergeht, dass mag sich so mancher gar nicht erst vorstellen, die Möglichkeit, dass ein einen selbst betreffen könnte, wird so gut wie möglich verdrängt. (Das hielte ich auch mal so, bis das, was ich mal als meine „zusätzliche Altersabsicherung“ gesehen habe, langzeitarbeitslosigkeitsbedingt über die Wupper ging.)
    Außerdem braucht man, um die Lage eines alten, armen und kranken Menschen verstehen zu können, außer Einfühlungsvermögen noch einer gewissen Sachkenntnis. Das ersetzen Politiker aber routinemäßig dadurch, dass sie auf Berater hören. Ohne ihren Beraterstab und ohne Skript zum dranfesthalten verstehen erstaunlich viele Politiker selbst simpelste Fragen nicht mehr – oder trauen sich nicht, eine Antwort zu geben, weil sie nicht wissen, welche Antwort bei Wähler, bei der Parteibasis und nicht zuletzt bei den Interessenvertretern am besten ankommt.

    MartinM

    19. Januar 2008 at 14:23

  3. Als deutsche Neonazis in U-Bahnen Rentner zusammenprügelten, weil sie sie für unwertes Leben hielten, erschien das der deutschen Bürgerpresse nicht berichtenswert.

    che2001

    19. Januar 2008 at 14:54

  4. Meinst Du den Fall in der Hamburger U-Bahn, als Neujahr ein Sozialrentner zusammengeschlagen wurde?

    MartinM

    19. Januar 2008 at 14:56

  5. Auf den wollte ich gerade verweisen, das waren süße, „deutsche“ Jungs, noch nicht so richtige Nazis, die ausriefen „wir mögen keine Penner!“, glaubt man den Zeitungen – wer braucht die auch? Die stören ja nur bettelnd vor Nobel-Boutiquen. Das hat Udo Jürgens aber nicht dazu veranlaßt, auf Seite 1 de BILD zu verkünden: „Die Deutschen-Kriminalität gehört bekämpft, insbesondere jene gegen sozial Schwache!“

    momorulez

    19. Januar 2008 at 15:21

  6. Das meinte ich auch, vor allem aber die 1980er, als bundesweit Naziskins neben Migranten, Linken und Skateboardfahrern ganz allgemein Rentner (auch gutbürgerliche) und Behinderte zusammenschlugen, und zwar gleich dutzendweise.
    Beliebt war damals der „Bordsteinkick“: Neonazis drückten den Kopf ihres Opfers an eine Bordsteinkante, und dann wurde mit stahlbekappten Stiefeln dagegen getreten. Die Zeile aus „Horrorshow“ von den Hosen „Zwanzig gegen einen, bis das Blut zum Vorschein kommt, ob mit Stöcken oder Steinen, irgendwann platzt jeder Kopf“ bezieht sich auf diese Praxis. Das haben sie auch mit Rollifahrern gemacht.Es gab keine große Medienöffentlichkeit darüber.
    Außer Gewerkschaftlern und Linksradikalen hat davon damals niemand etwas wissen wollen. Im Gegensatz zu den Pogromen nach Hoyerswerda ist diese Welle von Straßenterror überhaupt nicht in die öffentliche Wahrnehmung gelangt, sondern erst die linke Reaktion darauf, die Antifaschistische Aktion. Diese wird seither im Medienmainstream als böse militante Gewalt von links oder wahlweise Jugendbandentum bejammert. Ohne sie wäre wohl ein paar Dutzend Leute mehr erschlagen worden.

    che2001

    19. Januar 2008 at 16:12

  7. Besserwisserei am Rande:

    Die Zeile aus “Horrorshow” von den Hosen “Zwanzig gegen einen, bis das Blut zum Vorschein kommt, ob mit Stöcken oder Steinen, irgendwann platzt jeder Kopf” bezieht sich auf diese Praxis.

    – sie bezieht sich wahrscheinlich auch darauf, aber der alte Tote Hosen-Titel „Hier kommt Alex“ bezieht sich auf „Clockwork Orange“ von Antony Burgess. Der Ich-Erzähler Alex und seine „Droogis“ schlagen brutal Menschen zusammen, die sie aus irgendwelchen Gründen irgendwie nicht mögen. Burgess‘ Hauptthema ist IMO die Frage, ob die „Therapie“ junger Gewalttäter (deren Gewalt von den Behörden in „Clockwork Orange“ als „krankhaft“ angesehen, pathologisiert, wird) nicht ebenso schlimm wie die ursprüngliche Gewaltätigkeit ist (wobei Burgess dann auch noch die Bürgerrechtler, die Alex Schicksal nach der Gehirnwäsche instrumentalisieren, als Heuchler entlarvt).
    Zurück zum Thema: ich vermute, dass viele Nazi-Schläger ähnlich drauf sind wie Alex im Buch, dass sie sich aber eine ideologische Rechtfertigung gesucht haben, die zu ihren Gewaltausbrüchen passt – eben Nazi-Ideologie. Diese Ideologie kanalisiert aber die Gewaltbereitschaft in bestimmte Richtungen – und wirkt außerdem sozial enthemmend. Normalerweise schlägt „man“ nicht so ohne weiteres hilflose alte Leute, auch ein Alex nicht – außer, „man“ hängt einer Ideologie an, die Gewalt gegen hilflose alte Menschen für „richtig“ und „naturgemäß“ darstellt.

    MartinM

    19. Januar 2008 at 16:38

  8. Dass sich dieser Song auf Clockwork Orange bezieht hatten wir hier gerade. Interessant ist doch aber, zu welchem Zeitpunkt die Hosen das kontextualisierten: Auf dem Höhepunkt der ersten flächendeckenden Gewaltwelle von rechts im Westen. Im Songtext sind einfach Passagen unüberhörbar, die mit Buch und Film nichts zu tun haben, wohl aber mit der damaligen deutschen Realität. Das waren ja so die Ereignisse, die Klaus Farin zu seinem Buch „Krieg in den Städten“ veranlassten. Ich weiß nicht, wie das bei Nazis heute ist, aber Rentner und Behinderte verkloppen wurde damals mit „lebensunwertem Leben“ begründet. Die damalige Gewaltwelle brachte uns seinerzeit dazu, ein Antifabündnis zu gründen, aus dem später einerseits die Autonome Antfa (M) hervorgehen sollte, andererseits auf Umwegen unser eigener illustrer antirassistischer Haufen. Die Einen setzten auf breite Bündnisse und eine legale vereinsähnliche Antifa, die anderen wollten vom Feindbild Nazis weg und suchten die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und Asylsuchenden und die Konfrontation mit Asyl- und Abschiebebehörden. Die Dynamiken, die damit in Gang gesetzt wurden, reichten zeitweise aus, die autonome Szene in zwei Lager zu spalten. Wenn das wen interessiert, kann ich das gern noch weiter ausführen, wenn es hier deplatziert wirkt, lasse ich es.

    che2001

    19. Januar 2008 at 17:11

  9. Interessieren würd’s mich schon, weil ich gerade aus der Unübersichtlichkeit des AntiFa-Feldes darin immer etwas deplaziert vorkam…

    lars

    19. Januar 2008 at 20:20

  10. @che, nee das interessiert mich schon, bin ich doch so weit weg von dieser Szene gewesen. trotz immer gemeinsamer 90 Minuten alle 14 Tage.

    ring2

    19. Januar 2008 at 22:56

  11. So ein paar dieser Jungs konnte man heute am Millerntor wieder sehen. Besoffen stierer Blick, so ne Büffel-Formation beim Gehen, und wenig Fanutensilien, die sie Polizisten ggü verdächtig machen könnten.

    (Übrigens, war ein tolles Spiel)

    ring2

    19. Januar 2008 at 23:01

  12. Die M (kommt eigentlich daher, dass diese Gruppe sich mittwochs traf, Antifa (M) heißt also im Ursprung Mittwochs-Antifa) wollte Leute erreichen, die nicht zur Szene gehörten und für gängige autonome Agitation nicht ansprechbar waren und war aus einer Gruppe hervorgegangen, die sich sehr stark auf die antifaschistische Aktion der Weimarer Republik und die DAMALIGE Rote Hilfe und dabei besonders auf Ernst Schneller bezog. In der Praxis führte diese ideologische Herkunft im Verbund mit einfacher Verständlichkeit und Massenwirksamkeit zu einer Ideologie, die ich als vulgärmarxistisch-leninistisch bezeichnen würde (mit Elementen der Antiipms) und dem Aufgreifen vieler Elemente der Popkultur, zum Beispiel wich man vom Lederjacken-Palituch-Outfit klassischer Autonomer ab und kleidete sich eher wie die damalige Technoszene: Adidas-Trainingsjacken oder – Hosen (niemals beides gleichzeitig), Baseball-Kappen usw. Demos wurden hingegen in absolut martialischem Outfit durchgezogen, uniform mit Hasskappen vermummt und behelmt, wie eine Reminiszenz an die Schwarzen Blöcke der Frühzeit der Autonomen zwischen Startbahn Hafenstraße und Krefeld. Das war aber eher eine Pflege autonomen Brauchtums als echte Militanz. Typische M-Demos waren konsequent gewaltfrei bei extremer Kostümmilitanz, mitunter zog man auch Motivwagen. Dass ausgerechnet diese Gruppe Gegenstand eines 129a)-Verfahrens wurde, war entweder Dummheit des Staatsschutzes, der auf den äußeren Auftritt hereinfiel, oder eine Reaktion auf die Breitenwirkung durch den Versuch der M, eine bundesweite Organisation zu schaffen. Wie auch immer: Der Staatsschutz schaffte es so, die Gruppe zu schwächen und zu marginalisieren.

    Später vollzogen sich bei der M verschiedene ideologische Wandlungen, zeitweise vertraten sie die Wertkritik in Anlehnung an Robert Kurz, schließlich führte die Diskussion über antideutsche Positionen zur Aufspaltung in drei verschiedene Gruppen, von denen aber keine das vertritt, was außerhalb Göttingens als antideutsche Ideologie gilt. Auch Antideutsche in Göttingen haben mit der Bahamas-Fraktion nichts gemein.

    Unser Lager orientierte und orientiert sich eher an den Schriften von Detlef Hartmann und Karl-Heinz Roth, also am Neuen Antiimperialismus und ist generell antipositivistisch und poststrukturalistisch ausgerichtet. Antifaschismus bedeutete für uns immer Antirassismus, d.h. eine gegen multikulturelle Entwürfe gerichtete Konzeption von Interkulturalität als Überwindung ethnischer Festlegungen und Identitätskonzepte und unmittelbare Zusammenarbeit mit Flüchtlings, woraus z.T. ehrenamtliche Sozialarbeit wurde, aber auch Spaßguerrilaktionen gegen Asylpolitik. „Wir“ sind vor allem in Bremen, Hamburg und Göttingen aktiv.

    Ist das in der Kürze verständlich?

    che2001

    20. Januar 2008 at 0:45

  13. Verständlich und sympathisch.

    Fritz the Blitz

    20. Januar 2008 at 20:11

  14. Beliebt war damals der “Bordsteinkick”: Neonazis drückten den Kopf ihres Opfers an eine Bordsteinkante, und dann wurde mit stahlbekappten Stiefeln dagegen getreten.

    Das ist eine Szene aus „American History X“.

    der Klassensprecher von 1984

    21. Januar 2008 at 2:58

  15. Es gibt eine Wirklichkeit jenseits des Kintopps.Ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, diese Szene in dem Film gesehen zu haben, aber ich erinnere mich lebhaft daran, wie diese Praxis der Naziskins in den 80ern in der autonomen Szene Gesprächsthema war.

    che2001

    21. Januar 2008 at 10:36

  16. In „Führer Ex“ taucht das auch auf – basierend auf der Realität der Wendejahre, als es auch von Nazis besetzte Häuser in Ost-Berlin gab …

    momorulez

    21. Januar 2008 at 10:46

  17. Wenn ich mir die Chronlogie der Proteste anschaue, wie ich sie erlebt habe, sagt das auch einiges über den Charakter dieser Gesellschaft aus. Schwerpunkte autonomer Aktionen waren 1979-82 parallel Hausbesetzungen und Anti-AKW, 1982-85 Friedens/Antikriegsbewegung, 1985-86 die Startbahn Hafenstraße,1986 Wackersdorf und Brokdorf, seit 1987, als die Nazischläger erstmals flächendeckend in Westdeutschland zuschlugen (und seit es das Schulungszentrum in Hetendorf gab)Antifa. Abgesehen von gelegentlichen Castorblockaden und Weltwirtschaftsgipfeln sowie Sexismusdebatten und früher noch Knastkampagnen ist Antifa, seit 1991 noch mit der besonderen Geschmacksnote Antira/Flüchtlingssoli, bis heute das Hauptthema geblieben. Früher wechselten die Themenfelder der Autonomen saisonweise und kampagnenbezogen alle paar Jahre,inzwischen haben wir seit 21 Jahren ein Dauerthema.

    che2001

    21. Januar 2008 at 11:35

  18. In Hannover ging das sogar schon früher los mit den Skins, haben die sich da nicht schon ’85 gegenseitig umgebracht? Da gab’s doch einen spektakulären Fall. Wer in den 80ern nachts durch den Hauptbahnhof gegangen ist, war schlicht lebensmüde …

    MomoRules

    21. Januar 2008 at 11:42

  19. Och, ich muss nur meinem Bruder zuhören. Der erzählt von keinem Kino-Film. Er gehörte witzigerweise keineswegs zu irgendeiner Gruppe, die sich angeblich gern mit ihren feindlichen nazi-faschistischen „Brüdern“ prügeln, sondern musste sich schlicht seiner Haut wehren , und zwar zeitweise fast täglich in einer berühmten ostdeutschen Kleinstadt, Anfang der neunziger Jahre. Ich glaube langsam, dass manche, die heute reden, damals nicht da waren. Damals fingen die aber schon an, mit Zeitungsartikeln und kruden Behauptungen über die Soziologie mancher Stadtquartiere Nachbarschften kaputt zu reden. Ich erinnere mich an manches im Spiegel, in der Zeit, in der FAZ, auch über mein eigenes Ruhrgebietsviertel, in dem ich gut lebte bis auf die deutschen Junkies, die ständig einbrachen und alte Frauen totschlugen, dass mich andern Leuten erklären liess, dass es keineswegs so war, wie die schrieben, sondern im grossen und ganzen eine recht tolerante und friedliche Angelegenheit. Ich weis noch, wie ich plötzlich dachte, die schreiben diese Scheisse absichtlich. Deutsche, Griechen, Araber, Jugos, Türken, Schweizer:-), Italiener, wir lebten ganz gut zusammen. Ich kannte kaum jemanden, der das anders sah. Abgesehen davon, dass die türkischen Läden das Quartier voller Arbeitsloser ab Mitte Achtziger vor dem Absaufen bewahrten. Die türkischen, arabischen halkriminiellen Bürschchen bewahrten uns einige Male vor den sich breit machen wollenden Glatzen, was a la longue wohl nicht so geklappt hat, wie ich mittlerweile höre.

    T. Albert

    21. Januar 2008 at 11:50

  20. In Dortmund ging das mit der Borussenfront sogar 1983 los, und Wehrsportgruppe Hoffmann und Stahlhelm Hann Münden waren in den 70ern. Neben Ingo Hasselbach hat es da auch in Hannover so ne Aussteigergeschichte mit Mordanschlag gegeben, das muss schon in den 80er gewesen sein, krieg ich aber jetzt nicht mehr zusammen. Was ich meinte, war aber der Zeitpunkt, wann das flächendeckend losging.

    che2001

    21. Januar 2008 at 11:54

  21. @T.Albert: Es war immer schön zu sehen, wie die Nazis rannten, wenn sie „Biji partija karkaren Kurdistan“ hörten 😉

    che2001

    21. Januar 2008 at 11:57


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