shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Für das sich episodisch neu erfinden!

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Wo ich mit schon andernorts mit Mitbloggern heftig über das unten stehende Zitat streite, sei es doch noch mal hoch geholt, vielleicht steckt da ja mehr drin, als es mir auffällt:

“Erfolgte die Stabilisierung des Selbst im sozialdemokratischen Zeitalter vielfach durch konsumtive Attribute, die aufgrund der Ausbeutung einer zerstreuten Millionenzahl von Weltmarktarbeiterinnen erschwinglich war, so mindern nun andere, noch billigere Räusche die Scham des Herabgesetztseins und das Gefühl der Entwertung. Unterhaltung, Konsum, Porno und Halbwissen werden zu einem Elixier vermengt, wie es uns täglich aus dem Fernsehen und aus den Portalen entgegenschwallt. Kommunikation erfolgt im Takt der Billigtarife, nach bestimmten, vonNetz und Telefonie gepräögten Abläufen. Der Einzelne erfindet sich episodisch neu, sehr wohl in der Ahnung, dass die Bausteine seines Selbst außerhalb vorfabriziert werden. Eine Welt genormter Individualisten und medial geformter Lebensstile ersetzt die postnazistische Forderung nach Konformität. Heute weicht jeder genüsslich von der Norm ab. Das Biedere, Langweilige, Komplizierte wird argwöhnisch beäöugt. Gleichwohl sind dem spaßigen treiben staatlich enge Grenzen gesetzt, wie jüngst die Rostock-people knüppeldich zu spüren bekamen. Bei ernsthaft renitenter Individualität besteht Terrorismusgefahr! Aus all diesen Facetten wird ein unternehmerisches Selbst formiert, mit allen individuellen Freiheiten ausgestattet, und nur der einzigen Drohung ausgesetzt, im kreativen Rattenrennen nicht schlapp machen zu dürfen. That´s the mystery!”

Ich frage mich ja bei solchen Expertisen über das post-post-moderne Leben immer, aus welcher Perspektive sie formuliert sind.

Woher wissen die das? Wieso können sie dem totalen Verblendungszusammenhang entrinnen – oder ist der Text selbst Ausdruck von „Unterhaltung, Konsum, Porno und Halbwissen“ ? Worin unterscheidet sich denn diese „“noch billigere“ Form von der davor? Daß es früher ein schärferes Pornographiegesetz gab? Und man sich beim Amusement so schön schämte?

Wie kommt es denn, daß in den 80ern allerlei Leute, z.B. Lydia Lunch und der Herr Thirwell, in der Pornographie progressives Potenzial witterten, und wann haben Alice Schwarzer und Andrea Dworkin trotzdem recht? Wäre ja interessant, darüber was zu erfahren, aber ganz wie Evangikale in den USA stellen sie dann „Porno“ in’s Zimmer und gucken’s böse an. In New York führte solche Denke dazu, daß es sehr schwierig ist, eine Lizenz für’s Tanzlokal zu erhalten, weil schon Arschwackeln irgendwie anrüchig sein könnte und vielleicht sogar Spaß macht … na ja, Grönemeyer kann ja auch nicht tanzen. Und die Autoren haben dem Rest der Menscheit Ganz-Wissen voraus, offenkundig, und flüchten vor jeder Unterhaltung. So kommt dann ein Monolog bei raus.

Gegen so eine latent debile Reihung von Assoziationen –  „Kommunikation erfolgt im Takt der Billigtarife, nach bestimmten, vonNetz und Telefonie geprägten Abläufen“, das ist doch selbst nur „Ich gucke Werbung und halte das dann für die Welt“ – verfügt selbst „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ über mehr Potenzial zur Diagnostik, weil man da wirklich sehen kann, wie man Kids in einem annähernd surrealen Raum zu trimmen versucht, nur zu was ganz anderem, als hier suggeriert wird: Das ist die ganz klassische Konformität ohne alle dialektischen Schlenker. Natürlich gibt es nur Wahl zwischen Coca und Pepsi Cola, aber das ist ja das Schlimmste an diesen Versatzstücken: Das haben Horkheimer, Adorno und Marcuse alles schon und alles schon besser formuliert.

Wo nimmt denn der Großteil der Bevölkerung an einem „kreativen Rattenrennen“ teil? Lange nicht mehr auf’m Dorf, auf’m Flughafen, auf’m Bahnhof gewesen …. und selbst beim DSDS-Casting auf Malloca stehen ja keine 80 Millionen Schlange.

Wieso sind die „Rostock-People“ wahrhaft individuell – was haben die Fragen nach legitimer, politischer Aktion mit jenen der „Individualität“ zu tun?

Das würde man ja gerne erfahren, das sind wichtige, brandaktuelle Fragen, aber: Sie sagen’s nicht und klagen an wie die Haßpriester auf Trinidad, die „Homosexualität“ niederpredigen wollen – und sich wahrscheinlich kurz danach mal wieder ordentlich durchficken lassen. Wurde mir zumindest bereichtet, daß das da gelegentlich so läuft.

„Der Einzelne erfindet sich episodisch neu“ – ja, zum Glück, schön wär’s, wenn’s denn so wäre … die Möglichkeit dazu nennt man Freiheit. Und genau die ist’s doch, die aktuell fehlt.

61 Antworten

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  1. Naja. Hier hängt gerade überall ein Plakat von einer Telefongesellschaft, wo drauf: „Was ich bin, verdanke ich allen anderen.“
    Und „kreatives Rattenrennen“: Als Bob Marley sang „o what a ratrace“, musste man immerhin nicht auch noch kreativ sein. „Kreativität“ ist Reklamescheisse, ernsthafte Künstler zum Beispiel sind nicht „kreativ“. NIe gewesen. Wenn der deutsche Ex-Oberbanker sagt, die guten Investmentbanker seien eigentlich Künstler, dann redet der von „Kreativität“. Ursprünglich waren ja töpfernde Hausfrauen mit Geld für die Kurse kreativ, jetzt herrschen „Kreativität“ und „Innovation“ überall. Dieter Bohlen ist ein Künstler und erzählt das überall rum, aber in die KSK will er nicht einzahlen.
    Wenn ich irgendwelche Papierchen staatlicher und privater Bildungsinstitute, mit denen ich so zu tun habe, lese, dann ist da auch immer von Kreativität und Innovation die Rede, manchmal auch von innovativer Kreativität. Das ist nicht lustig. Das ist nämlich ein Rattenrennen und die geforderte episodische „Selbsterfindung“ nichts als Anspruch auf Zwangshoheit über deine Person. Überhaupt niemand muss sich selbst erfinden. Da würde sich auch jeder ab einer gewissen Position mit entsprechend hohem Lohn gegen verwehren, der trägt ja die billigen T-Shirts, die er fast gratis in China herstellen lässt, ,auch nicht selbst, sondern verkauft sie uns.

    T. Albert

    20. November 2008 at 22:04

  2. Ja, das mag ja auf Deine und meine Welten alles so zutreffen, alles richtig, vollste Zustimmung in dieser Hinsicht. aber die totalsieren das ja, die Herren Autoren, und die Leute, die sich hier mit Pfandflaschen aus Papierkörben ernähren oder den normalen Lagerarbeiter tangiert das wenig. Und meinen Bruder, der nachts in der Ambulanz eines Krankenhauses arbeitet, auch nicht, und die Banken, bei denen ich im Moment rumrenne, auch weit weniger als ich gedacht hätte.

    „die geforderte episodische “Selbsterfindung” nichts als Anspruch auf Zwangshoheit über deine Person.“

    Das erlebe ich in meinem Umfeld tatsächlich nicht. Da habe ich mich in der Schlußphase meiner Anstellung mal als agressiv neu erfunden, und da wurde mir bitter vorgeworfen, daß ich nicht mehr der nette, engagierte, selbstlose Junge von früher wäre.

    „Überhaupt niemand muss sich selbst erfinden.“

    Natürlich muß das niemand, aber wenn kaum jemand wirklich die Chance dazu erhält, dann ist das auch doof. Erfinde Dich doch mal als Hilfsarbeiter auf dem Bau neu! Oder als einer, der die T-Shirts in China fast gratis herstellt.

    momorulez

    20. November 2008 at 23:07

  3. Mit „Neuerfindung“ meinen die eigentlich das ständige sich Anpassen an neue Zumutungen des Arbeitsmarkts und der geforderten Perfomance. Es geht bei denen so weiter: „Der Weltsicht der Algorithmen, um einen aktuellen Rezensionstitel zur Macht der Suchmaschinen anzuführen, muss ein Ethos der Aufhebung entgegengestellt werden – alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verächtliches Wesen ist (Marx). Heute müsste hinzugefügt werden: Ein überflüssiges Wesen ist. Die Überlegungen der 1980er Jahre, dass der neuen Technologie allein durch Sabotage und Verweigerung beizukommen sei, sind, bei aller Sympathie, so überlebt wie zerschlagene Webstühle von 1844. Aber die Komplexität der Programme zeitigt Fluktuationen. Die Monaden am Monitor haben gegenüber der vorausgehenden Generation schier unendlich erweiterte, technisch basierte ;öglichkeiten, sich auf die Suche zu begeben und sich aus einer Fülle von Identitätsangeboten neu zu erfinden. Vielleicht auch, Wege zu finden, sich aus dem Mensch-Maschine-System zumindest zeitweise zu emanzipieren und sich neben oder gegen den reißenden Zeitstrom zu stellen.

    Neue soziale Räume, die über das Bestehende hinausweisen und Perspektiven eröffnen, entstehen sicherlich nur kollektiv und in der praktischen Suche nach Orten des Widerstands. Vielleicht können die neuen Technologien von dort aus auf ihre nichtkommerziellen Potentiale der Gegeninformation und auf einen proletarischen Gebrauchswert hin abgeklopft werden….Virtuelle Räume können die sozialen nicht ersetzen. Erfahrung, Lernen, lebendige KOmmunikation und Diskussion braucht den Nahraum, den das Soziale erst schafft, Gegenöffentlichkeit braucht soziale Orte des Widerstands, die Straße, das Arbeitsamt, das Lager…Die Mehreheit der Weltbevölkerung sitzt nicht am Computer, sondern lebt in den Slum-Cities der drei Kontinente. Der Einbruch der Peripherie in die Metropolen nimmt hingegen viele Formen und Gestalten an: Migration, Feminisierung der Arbeit, Prekarität, Lager, Ausgrenzung, Armut und Gewalt.. Neue Aussichten, neue Anknüpfungspunkte. Die Zeit läuft gegen uns. Aber, dass es so weiter ginge, wäre, nach Walter Benjamin, die Katastrophe. Haben wir eine Wahl, Sisyphos?

    che2001

    20. November 2008 at 23:40

  4. Ich sage ja, was Du sagst. Ich bin aber unglaublich genervt von dieser Sprache. Weil man damit nämlich u. U. ja auch Deinem Bruder kommt.
    Kürzlich hat mir sowas eine Kellnerin erzählt, die wegen mangelnder Flexibilität bei der Arbeit, zu hohem Alter und daraus resultierender geistiger Unbeweglichkeit, angeblicher, entlassen wurde. Nach 15 Jahren mit 58. Ich kannte ihre Arbeit, wegen der bin ich in diesen Laden gegangen, als ich an dem Ort noch wohnte.

    Auch diese permanente Selbsterfindungsaufforderung ist doch nichts als ein Druckmittel. So habe ich das auch kennengelernt in meinen „aufgeklärten“ Zusammenhängen. Dann wurden Löhne gesenkt, Arbeitsstunden gestrichen, Verträge geändert.
    Es gibt in gewissen Bereichen die Vorgabe, dass niemand über 35 eingestellt wird, unabhängig von Qualifikation und Erfahrung. Habe ich lange nicht kapiert, bis es mir jemand gesagt hat.

    Ich rede doch hier nicht gegen das selbstbestimmte Subjekt, ja eben nicht. Das isses doch.

    Boche und stefanolix, jetzt müsst Ihr uns hier wieder Euren Talentiertearbeitslosejammernquatsch erzählen.

    T. Albert

    20. November 2008 at 23:44

  5. @Che:

    Mit den Passagen kann ich nun schon wieder viel mehr anfangen 😉 …

    @T. Albert:

    Nee. mein Bruder muß sich da nicht neu erfinden, der muß Mängel veralten und sich dabei mit den Ärzten auf Staion streiten. Da haben unsere privat versicherten, liberalen Freunde ganze Arbeit geleistet, die singen dann immer mit der frisch transplantierten Leber „Wir grüßen unsere Mitpatienten auf der Intensivstation!“ und lachen sich schlapp auf ihrer idyllischen Insel, so angesichts der steinigen nebenan.

    „Dann wurden Löhne gesenkt, Arbeitsstunden gestrichen, Verträge geändert.“

    Das bewirkt aber auf der „Identitäts-Ebene“ sich fortschreibende Anpassung und keine Neu-Erfindung.

    Neu erfinden kannste Dich, wenn Du mit 58 noch*’n Hundesalon aufmachst und Dir einen 20-jährigen Liebhaber zulegst.

    Aber in dem Alter kriegste ja keinen Kredit mehr für sowas , also den Hundesalon, nicht den Liebhaber, so als Talentiertearbeitslosejammererin … ich finde die Begrifflichkeit falsch, und ich finde, daß das, was Du meinst, oben in einen völlig falschen Zusammenhang gestellt sich findet.

    MomoRules

    21. November 2008 at 0:35

  6. „Das bewirkt aber auf der “Identitäts-Ebene” sich fortschreibende Anpassung und keine Neu-Erfindung.“

    Richtig. Und dafür wird seit geraumer Zeit diese Begrifflichkeit benutzt.

    „ich finde die Begrifflichkeit falsch, und ich finde, daß das, was Du meinst, oben in einen völlig falschen Zusammenhang gestellt sich findet.“

    Kann ja sein, aber ich spreche davon, dass diese Begrifflichkeit direkt und genau so benutzt wird. Nicht in dem Sinne wie Du, ich oder meinetwegen Simone de Beauvoir. Und die Leute erfinden sich ja ständig selbst neu, die Kollegin Kellnerin hat ja auch nicht gejammert, sondern hat sofort versucht sich neu zu erfinden, sie hat sich gefreut, dass das Arbeitsamt sie in einen Computerkurs im Nachbarstädtchen schickt. Sie macht alles mögliche. Alle machen das.

    Ich weiss, was Neu-Erfindung meiner selbst in Deinem Sinne ist. Ich gehöre ja zu den Privilegierten, die das freiwillig tun, aufgrund einer Wahl. Das musste ich natürlich auch erstmal begreifen, dass das dazugehörte. Ich dachte ja zuerst, mein Leben als verwöhnter Junge ginge einfach so weiter.
    Aber in meinem und ähnlichen Fällen gehört das eben dazu, schon weil wir nix richtiges gelernt haben. Mit der Zeit haben wir gelernt, uns selbst ab und zu neu zu erfinden.

    Aber diese Begrifflichkeit kenne ich ansonsten nur als appellative, wie im Text gemeint. Ich finde auch, dass es da eben immer wieder um „Identität“ geht, drum sind solche Worte auch so praktisch. Personalberater reden so. Mindestens einen kenne ich.

    T. Albert

    21. November 2008 at 2:37

  7. Es ist halt die Frage, ob man die Wahl hat sich neu zu erfinden oder ob man dazu verdammt ist. Das Erste ist etwas, das wir als Linke, Alternative oder im alten Sinne des Wortes Grüne als wesentlichen Bestandteil eines selbstbestimmten Lebensstils kennengelernt haben. Das Zweite ist eine Verschärfung des „lebenslangen Lernens“ der Human-Ressources-Leute und Arbeitsmarktpolitiker, verschärft zum lebenslangen Umschulen und dazu an sich selbst zu arbeiten, den Zwang nicht als Zwang zu sehen, sondern mit positivem Denken zu füllen und den eigenen Lifestyle, den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit passend zurechtzufrisieren. Den Kakao, durch den man gezogen wird, nicht nur auch noch zu trinken, sondern auch noch lecker zu finden. Die Gehirnwäsche an sich selber vornehmen.

    che2001

    21. November 2008 at 8:24

  8. Aber wer sagt Dir denn, dass der Facharbeiter sich nicht auch selbstbestimmt weiterbildet? Ist Selbstbestimmung etwa ein Privileg der Linken, Alternativen und Intellektuellen? Dem Facharbeiter macht es auch Spaß, seine Kenntnisse zu erweitern, der sieht Aufstiegs-Chancen durch Bildung und der sieht die Möglichkeit der Selbstverwirklichung.

    Wieso musst Du ihm sagen, dass er sich einer Gehirnwäsche unterzieht und »den Kakao trinkt, durch den er gezogen wird«? Was unterscheidet Dein eigenes selbstbestimmtes Lernen von der Weiterbildung, die ein Facharbeiter beginnt, um Meister zu werden?

    stefanolix

    21. November 2008 at 8:48

  9. Und was wäre denn eigentlich die Alternative? Ein langsames Verdummen bis ans Lebensende? Ein Festklammern am alten Status? Das kann es doch auch nicht sein.

    stefanolix

    21. November 2008 at 8:50

  10. Nein, nicht Aufstieg durch Bildung ist hiermit gemeint, auch nicht Weiterlbildungsangebote der Arbeitsagentur, zumindest nicht die Tatsache, dass es die gibt. Die Zwänge, mit denen die mitunter verbunden sind dann eher schon. Sondern so etwas wie von T.Albert und Momorulez ja schon skizziert. Aufgrund eines erreichten Alters, das bei manchen Jobs schon bei 35 liegen kann nicht eingestellt werden, dann umschulen, um im neuen Job Erfolg zu haben den kompletten Auftritt, von Kleidung und Frisur über Gadgets bis gehörte Musik und Sprechweise auf das neue Umfeld hin durchzustylen und das alles wieder über den Haufen zu schmeißen, wenn man wieder arbeitslos wird und der nächste erreichbare Job andere Anforderungen stellt. Ich habe das in der New Economy erlebt: Da schulten Pädagogen (und -innen), Soziologen, Psychologen, Germanisten auf Webdesigner, Mediengestalter, Flashdesigner um und legten sich alles zu, was in der New Economy hip war, einschließlich der bizarren Sprache. Ein Lebensstil als Performance, durchgestylt wie eine Neon-Disco der Post-Wave-Ära, kreiert im Vorfeld der Jobfindung, weil Leute meinten, diese Anpassungsleistung erbringen zu müssen, um in ein neues Umfeld hineinzupassen. Das ist das Anja-Tanja-Mirko-Meico-Tum, was Nörgler, Don, Netbitch und ich über Jahre genüsslich aufgespießt haben. Das Opfern der eigenen bisherigen Identität auf dem Altar des Arbeitsmarkts. Oder auch die ganzen Fahrradkuriere, die einen völlig unterbezahlten gefährlichen harten Knochenjob machen, das aber nicht mit dem Selbstverständnis eines Rikschakulis machen, sondern so tun, als ob das etwas ultracooles und megalifestyliges sei und auch in ihrer Freizeit mit verspiegelten Streamline-Sonnenbrillen herumlaufen.

    che2001

    21. November 2008 at 9:23

  11. Wenn ich von meinem Menschenbild ausgehen darf: es steckt in jedem Menschen die Motivation, während seines gesamten Lebens immer etwas dazuzulernen. Ich erlebe das in meinem Umfeld und bei vielen Menschen, mit denen ich beruflich zu tun habe. Und ich habe überhaupt keinen Grund, meine Beobachtungen schönzufärben. Mir ging es eigentlich auch nur um den Gegensatz, den Du oben aufgebaut hast.

    Natürlich kann sich ein Mensch irren: er kann die falsche Weiterbildung besuchen, sich ein falsches Berufsziel setzen oder seine eigenen Fähigkeiten überschätzen. Tragisch ist es, wenn sich andere irren und ihn zu einer Weiterbildung zwingen, die eigentlich nicht für ihn geeignet ist.

    Aber den Wahnsinn aus der Zeit der New Economy oder das Gefasel mancher Manager, Personalberater und Politiker kannst Du doch nicht für bare Münze nehmen. Über die Bildungsangebote der Arbeitsagenturen (der Arbeitsämter) kenne ich viele widersprüchliche Meinungen. Es scheint einige Fehlentwicklungen gegeben zu haben. Ich bin zu weit davon entfernt, um das einschätzen zu können. Was ich in der NE-Zeit gemacht habe, das haben wir bei Dir im Blog schon mal besprochen.

    stefanolix

    21. November 2008 at 9:46

  12. @T. Albert:

    „Kann ja sein, aber ich spreche davon, dass diese Begrifflichkeit direkt und genau so benutzt wird. “

    Ja, dann geht man aber den Propagandisten auf den Leim, wenn man die Ideologie für bare Münze nimmt und auch noch adaptiert.

    @Che:

    „Das Zweite ist eine Verschärfung des “lebenslangen Lernens” der Human-Ressources-Leute und Arbeitsmarktpolitiker, verschärft zum lebenslangen Umschulen und dazu an sich selbst zu arbeiten, den Zwang nicht als Zwang zu sehen, sondern mit positivem Denken zu füllen und den eigenen Lifestyle, den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit passend zurechtzufrisieren.“

    Aber wo findet das denn jenseits des von T. Albert genannten Computerkurses statt??? Kein Schwein hier in der proletarischen Eckkneipe, wo wieder geraucht wird, macht das. Die gehen immer noch putzen. Und man schüttet doch das Kind mit dem bade aus, wenn man mit dieser ach so tifen Empröung nunmehr gegen „lebenslanges Lernen“ an sich wettert.

    Linke Politik wäre für mich eher eine, die Institutionen schafft, das man wieder selbst aussuchen kann, was man denn all nächstes lernen möchte und das ganze noch in einen sinnvollen, gesellschaftlichen Kontext stellt, anstatt hier für Couch-Potatoes zu plädieren.

    Nix gegen Couch Potatoes, wer’s sein will, soll’s auch bleiben dürfen, unbedingt.

    Aber so ist das ein Appell an die totale Frustration. Wenn ihr hier so weiter argumentiert, dann blogge ich bald bei den B.L.O.G.s.

    „Den Kakao, durch den man gezogen wird, nicht nur auch noch zu trinken, sondern auch noch lecker zu finden. Die Gehirnwäsche an sich selber vornehmen.“

    Was für eine manipulative Scheiße. Arrogant bis zum Letzten – was maßt Du Dir eigentlich an, hier Fahrradkuriere für blöd zu erklären, nur weil Du meinst, auf der Arbeirt irgendwelche Designer-Anzüge tragen zu müssen?

    Und zudem auch lieferst Du auch noch die Legitimation dazu, sich einreden zu lassen, daß man für mehr als das Jäten des Grünstreifens eh nicht gut genug ist. Das ist so derat spiegelbildlich zur Propaganda gegenüber, daß es falsch sein MUSS. Da fühl ich mich von Dir und Deiner Arroganz echt mehr durch den Kakao gezogen als von der Arbeitsagentur.

    „von Kleidung und Frisur über Gadgets bis gehörte Musik und Sprechweise auf das neue Umfeld hin durchzustylen und das alles wieder über den Haufen zu schmeißen, wenn man wieder arbeitslos wird und der nächste erreichbare Job andere Anforderungen stellt.“

    Das ist in den meisten Branchen einfach nicht der Fall, sorry. Das ist die Projektion Besserverdienender, die ihr Leben lang glaubten, „Slime“ habe mehr Niveau als eine Gerichtssshow.

    Abgesehen davon ärger ich mich ja gerade, daß der 1993 eingeschlagene Weg irrevidierbar ist. Ich DARF mich aktuell gar nicht neu erfinden.

    @stefanolix:

    „Aber wer sagt Dir denn, dass der Facharbeiter sich nicht auch selbstbestimmt weiterbildet? Ist Selbstbestimmung etwa ein Privileg der Linken, Alternativen und Intellektuellen?“

    Das ist doch auch schon wieder eine Verdrehung und Unfug. Natürlich hat aktuell nur der, der über Kapital verfügt, die Chance, sich eigenständig weiterzubilden. Und die meisten haben eben gerade gar keine, da ist ka die Lüge in dem Text da oben, daß die Lebenswelt irgendwelcher Werber in die einer Putzkolonne hineinprojiziert wird.

    momorulez

    21. November 2008 at 9:55

  13. Die bare Münze besteht aber darin, dass dieser Wahnsinn für nicht wenige Menschen, gesamtgesellschaftlich eine kleine Minderheit, aber doch immerhin zahlenmäßig mindestens Zehntausende, gelebte Realität gewesen ist. In Büchern wie „Generation Golf“ oder von Leuten wie Benjamin von Stuckrad Barre und Mercedes Bunz wurden sehr ähnliche Verhaltensweisen als Lifestyle einer neuen Generation gekultet.
    In der Zeit der NE-Blase schwappte dieses Abfeiern des NE-Lifestyles in die Mainstream-Medien, und unter einigen Jahrgängen von Design- und Wirtschaftsinformatik- teils auch BWL-Studierenden war dieser Lifestyle mehrheitsfähig. Nach dem Platzen der Blase fanden sich diese Leute, bis dato mit Rosinen im Kopf wie Z3er (wenn nicht Porsche) als Dienstwagen bei der Arbeitsagentur wieder. In Berlin zelebrierten so Einge davon, neben jüngeren Jahrgängen aus der Generation Praktikum, die Mager-Variante des „New Economy Spirit“, nun verbunden mit neuer Askese, als Leben in der digitalen Boheme, und die DichterInnen besangen die „Schönheit des Scheiterns“.

    Sicher alles randständig, aber doch Ausdruck eines Zeitgeists, der sich weniger radikal und buntschillernd auch in vielen anderen Lebensbereichen wiederfindet.

    che2001

    21. November 2008 at 9:58

  14. @Stefanolix:

    „Wenn ich von meinem Menschenbild ausgehen darf: es steckt in jedem Menschen die Motivation, während seines gesamten Lebens immer etwas dazuzulernen.“

    Ha! Anthropoligische Konstante! Genau sowas meint der Nörgler im anderen Thread.

    Wer nicht lernen will, soll auich nicht müssen. Wer will, soll’s selbst bestimmen, was er lernen will, und ausprobieren dürfen. Ganz einfach.

    momorulez

    21. November 2008 at 9:59

  15. „In Büchern wie “Generation Golf” oder von Leuten wie Benjamin von Stuckrad Barre und Mercedes Bunz wurden sehr ähnliche Verhaltensweisen als Lifestyle einer neuen Generation gekultet.“

    Na, das ist ja auch Lektüre für die Massen und Bestandteil jeder Rede von Steinbrück bis Hundt 😀 …

    momorulez

    21. November 2008 at 10:01

  16. Draußen ziehen gerade wieder die bunt schillernden Obdachlosen vom Pik As in den Park, umd Pfandflaschen zu sammeln, und schimpfen auf Benjamin von Stuckrad Barre, der ihnen das Leben versaut hat ….

    momorulez

    21. November 2008 at 10:03

  17. @Momorulez: „Kein Schwein hier in der proletarischen Eckkneipe, wo wieder geraucht wird, macht das. Die gehen immer noch putzen. Und man schüttet doch das Kind mit dem bade aus, wenn man mit dieser ach so tiefen Empröung nunmehr gegen “lebenslanges Lernen” an sich wettert.

    Linke Politik wäre für mich eher eine, die Institutionen schafft, das man wieder selbst aussuchen kann, was man denn all nächstes lernen möchte und das ganze noch in einen sinnvollen, gesellschaftlichen Kontext stellt, anstatt hier für Couch-Potatoes zu plädieren.“

    —– Ich wettere nicht gegen lebenslanges Lernen an sich, plädiere überhaupt nicht für Couch-Potatoes (wo liest Du das? Wenn ich für irgend ein Lebensmodell plädieren würde, dann jedenfalls für eins, das mit Kreativität und Selbstbestimmung zu tun hat) ich würde sogar das Modell lebenslanges Umschulen für mich selber akzeptieren, wenn es zu tragbaren Ergebnissen führt. Ich würde das, was ich da schrieb, auch in keinster Weise als arrogant bezeichnen. Ich habe die Art von Fahrradkurieren, die ich da beschrieben habe, ebenso kennengelernt wie die beschriebenen New Economy-Leute. Damit sage ich nicht, dass alle Fahrradkuriere oder alle New-Economy-Leute so seien. Aber es gibt genug davon, um ganze Szenen zu bilden. Nein, es gibt sie nicht in der kleinen proletarischen Eckkneipe im Karolinen- oder Schanzenviertel. Aber in Berlin-Mitte gibt es so viele davon, dass die Kastanienallee ihretwegen Casting-Allee genannt wird. Ich habe keine Ahnung, ob diese Leute mit dem gemeint sind, was Hartmann und Geppert beschreiben (wahrscheinlich eher nicht, die beschäftigen sich normalerweise nicht mit kleinbürgerlich-akademischen Milieus), es rief nur meine eigenen Erlebnisse wach. Das ist ja auch das, womit sich Dotcomtod in der alten Zeit (2001-2004) beschäftigt hatte oder Rebellmarkt vor der Silberlöffelisierung.

    che2001

    21. November 2008 at 10:16

  18. Der Facharbeiter hat zwei Arten von Kapital: seinen eigenen Kopf und materielles Kapital. Letzteres bekommt er als Meister-BAFöG vom Staat, wenn sein eigenes Geld nicht reicht. Eine Weiterbildung zum Industriemeister kann einige tausend Euro kosten, aber dem stehen Fördermittel und eine steuerliche Anrechnung gegenüber. Viele Unternehmen unterstützen die Weiterbildung finanziell, so beispielsweise BASF und große Autokonzerne. Am Geld scheitert es jedenfalls nicht, wie die gestiegene Anzahl der Prüfungsteilnehmer seit der Einführung des Meister-BAFöG zeigt.

    Ob das Streben nach Wissen eine anthropologische Konstante ist, darüber kann man sich sicher streiten. Ich würde das nicht behaupten. Ich bin von meinem Menschenbild und meinen Beobachtungen ausgegangen, nicht von wissenschaftlichen Ergebnissen.

    stefanolix

    21. November 2008 at 10:19

  19. „Nein, es gibt sie nicht in der kleinen proletarischen Eckkneipe im Karolinen- oder Schanzenviertel.“

    Da gibt es keine proletarischen Eck-Kneipen mehr … ich wohne ja woanders, da arbeite ich nur.

    Das Problem am Bunzen, Barren und Nubbeln ist ja eher, daß dieser ganze Quatsch eben das Relevante zugunsten eines blöd-modischen Geschwätzes aus Öffentlichkeiten verdrängt, und da kann man dann auch medienkritisch ansetzen.

    Wie das aber wirkt, das ist ja ’ne ganz andere Frage. Diese ganze gehypte Scheiße, eskaliert in der Tat rund um die NE, hat ja für mich eher die Funktion, von der Lebensrealität der gar nicht hippen abzulenken. Exklusion aus öffentlichen Dskursen und medialen Formen, und wenn, dann hetzt man eben per SAT1 den Sozialschnüffler auf den Hals.

    Das kann man aber schlecht den sexy Fahrradkurieren unterschieben ….

    momorulez

    21. November 2008 at 10:23

  20. @“Na, das ist ja auch Lektüre für die Massen und Bestandteil jeder Rede von Steinbrück bis Hundt “ — Für mich ist das die Spitze eines Eisbergs, den näher zu vermessen sich lohnen könnte. Eine programmatische Hohlheit, die sich als neue Intelligensija aufführt und die unmöglichsten sozialen Zumutungen als neue Freiheit schönredet scheint mir gut zur realen Gesellschaftspolitik der Jahre seit 1998 zu passen. Neoliberalismus pur als schöne Zeitgeist-Ästhetik verpackt.

    che2001

    21. November 2008 at 10:24

  21. @“Wie das aber wirkt, das ist ja ‘ne ganz andere Frage. Diese ganze gehypte Scheiße, eskaliert in der Tat rund um die NE, hat ja für mich eher die Funktion, von der Lebensrealität der gar nicht hippen abzulenken. Exklusion aus öffentlichen Dskursen und medialen Formen, und wenn, dann hetzt man eben per SAT1 den Sozialschnüffler auf den Hals.“ —- Das ist die Kehrseite derselben Medaille. Ich habe halt viele Leute kennengelernt, die selber ihr Leben darauf hingestylt haben, zu den NE-Hippen gehören zu wollen, und dabei bitter gescheitert sind. Es war nicht schön, das aus der Nähe mitzuverfolgen. Da waren intelligente und kreative Leute dabei, die ich am liebsten geschüttelt hätte, damit sie wieder zu sich kommen.

    che2001

    21. November 2008 at 10:30

  22. „Das ist die Kehrseite derselben Medaille.“

    Nein, das ist eine andere Medaille. Das ist allenfalls der Versuch, sich mit viel Brimborium neue „Mittelschichten“ heranzuziehen, die anders funktionierenals die alten.

    „Eine programmatische Hohlheit, die sich als neue Intelligensija aufführt und die unmöglichsten sozialen Zumutungen als neue Freiheit schönredet“

    Ja, so kann ich da vollkommen zustimmen, das Zitat oben geht aber viel weiter und auch in andere Kontexte hinein.

    momorulez

    21. November 2008 at 10:34

  23. Und ich schiebe einem Fahrradkurier nichts unter, nicht mal einen Sattel, wenn der als studierter Sozialwirt für 5 Euro Stundenlohn bei Wind und Wetter durch die Gegebnd strampelt und mit so einer Art Skilehrer-Lächeln erzählt, was das für ein toller Job wäre. Echt erlebt, so etwas, und da waren die Kollegen auch so drauf. Gut, es ist ja schön, wenn sich jemand in der eigenen Lebenswelt wohlfühlt, ich habe selbst auch schon prekär gelebt und fand dabei nicht die materielle Armut im eigentlichen Sinne schlimm, aber ich hatte bei diesen Leuten ein ungutes Gefühl. Das gleiche, das ich bekomme, wenn ich mit Sannyasins sprach. Das war keine genuine Lebensfreude, da steckte was anderes dahinter, und ich würde sagen: Eklatanter Selbstbetrug.

    che2001

    21. November 2008 at 10:37

  24. @Stefanolix:

    „Letzteres bekommt er als Meister-BAFöG vom Staat, wenn sein eigenes Geld nicht reicht.“

    Genau sowas wollen Deine Mitblogger ja abschaffen – und genau darum geht’s mir ja die ganze Zeit: Der Facharbeiter wird natürlich gehegt und gepflegt, das spielt nur für die masse der verkäufer, Auto-Mechaniker und Schrauber in der Zulifer-Industrie keine rolle, und genau die haben doch das problem, mit Werber-Sprüchen konfrontiert zu sein, die völli quer zu ihrer Lebensrealität stehen – und dann kommen irgendwelche linken Blogger daher und predigen, sie würden das auch noch internalisieren. Quatsch. Die verdonnert man zum Unkraut jäten, nicht zur durchgestylten Schein-Individualität.

    momorulez

    21. November 2008 at 10:39

  25. „Eklatanter Selbstbetrug.“

    Den kann man ja jedem jederzeit diagnostizieren, das ist ja die manipluative Pointe all dieser freuudianischen Scherze ….

    momorulez

    21. November 2008 at 10:40

  26. @“Das ist allenfalls der Versuch, sich mit viel Brimborium neue “Mittelschichten” heranzuziehen, die anders funktionierenals die alten.“ — Das ist es einerseits, andererseits berührt es durchaus auch den Aspekt der weltweiten Neuzusammensetzung der Klasse. Dazu gehören die im Prekariat gelandeten Ex-New-Media-Leute nämlich ebenso dazu wie besagte Fahrradkuriere, sie sehen es nur nicht so. Es macht mich schlicht kirre, wenn, wie erlebt, eine studierte BWLerin, die als freiberufliche Sekretärin zu einem Nettogehalt knapp über ALG2 arbeitet sich in arrogantem Tonfall darüber lustig macht, dass ver.di ein Weltbild vertrete, das von vorgestern sei und Gewerkschafter überhaupt megauncool wären, höhö, die schmerbauchigen Rollkragenpulliträger in Cordhosen. Ein Informatikstudi, der mich fragte, was ich ihm für eine Jobwahl empfehlen würde war ja völlig konsterniert, als ich sagte „Systemadministrator bei einem soliden Mittelständler“. Der hatte die Vorstellung im Kopp, bei einem megahippen Startup die Killer-Applikation zu entwickeln. Das drei Jahre zuvor die New Economy kollabiert war hatte der gar nicht mitbekommen. Das ist ja mein ständiges Thema: Die deklassierten akademischen Mittelschichtler, die objektiv Proletariat sind, sich subjektiv als irgendeine Art von Elite oder Boheme fühlen und von dem, was so landläufig unter Proletariat läuft panisch abgrenzen. Das ist Klassenspaltung, die u.a. auch popkulturell in den Köpfen angelegt ist. Die zu überwinden ist ein Ziel, nach dem ich bisweilen geradezu verzweifelt strebe.

    che2001

    21. November 2008 at 10:53

  27. @“Quatsch. Die verdonnert man zum Unkraut jäten, nicht zur durchgestylten Schein-Individualität.“ — Dass man arbeitslose Kesselbauer und Dreher zu Schmalspurprogrammierern umgeschult hat für einen Markt, der zu dem Zeitpunkt gerade zusammengebrochen war (inklusive NE-Propaganda) hat es auch gegeben. Bundesweit haben damit hunderte Bildungsträger ihr Geschäft gemacht. Geldverbrennungsanlagen. In der Zeit der Ich-AGs ist den prekärsten Leuten von ARGen (hießen die damals schon so? Schnurz.) in blumigen Farben erzählt worden, wie toll Selbstständigkeit wäre und wie frei sie damit seien. They gave a fuck to be free in this job. Und dass Erdbeerpflückern und anderen Erntehelfern erzählt wird, wie toll sie verdienen könnten, wenn sie den Akkord um soundsoviel Prozent übererfüllten (was rein physisch kaum möglich ist) ist für mich qualitativ nichts Anderes als die Propaganda der freien Selbstverwirklichung im prekären deregulierten Job, nur nicht so hübsch verpackt.

    che2001

    21. November 2008 at 11:06

  28. Naja, dann versteh ich die Sache wohl nicht.
    Wir leben in disziplinierenden Hysterien. Das ist alles. Die Löhne sinken, die Mieten steigen. Die Personalbüros von Fachhochschulen heissen „Human Resources“. Die Facharbeiter sind Facharbeiter, weil sie, wie immer schon üblich, was gelernt haben,dazu brauchten die nicht dies Gerede von Sicherfinden.
    Und Momorules, die Massen, das sind nicht nur die Obdachlosen vom Pik Ass, sondern wir auch.

    T. Albert

    21. November 2008 at 11:23

  29. Der Terminus „Disziplinierende Hysterien“ hat das Kaliber zum Kategorialbegriff, danke dafür!

    Es könnte sich durchaus begeben, dass demnächst frühere Opel-Facharbeiter sich das Geschwalle vom Sichneuerfinden oder ähnliche Begriffe anhören müssen. Wären nicht die Ersten.

    Zeitungsredakteure erleben das eben gerade.

    che2001

    21. November 2008 at 11:48

  30. Also kümmern wir uns einfach mal weiter um uns selber und ziehen Cordhosen an und reden weiter über uns selber, also das, was wir ja am besten können, und machen’s insofern ganz wie die Liberalen … in nix, was Che da schreibt, haben wir irgendeinen Dissens, weil es da um sozioökonomische Fragen geht und nicht gleich auf das selbstbetrügerische Identitätsmuster von Fahrradkurieren. Ich bin auch gegen sinkende Löhne und steigende Mieten, aber dann sollte man meiner Ansicht nach eher darüber schreiben als sowas:

    „so mindern nun andere, noch billigere Räusche die Scham des Herabgesetztseins und das Gefühl der Entwertung. Unterhaltung, Konsum, Porno und Halbwissen werden zu einem Elixier vermengt, wie es uns täglich aus dem Fernsehen und aus den Portalen entgegenschwallt. Kommunikation erfolgt im Takt der Billigtarife, nach bestimmten, vonNetz und Telefonie geprägten Abläufen. Der Einzelne erfindet sich episodisch neu, sehr wohl in der Ahnung, dass die Bausteine seines Selbst außerhalb vorfabriziert werden.“

    Das IST Gebunze.

    MomoRules

    21. November 2008 at 11:48

  31. „Es könnte sich durchaus begeben, dass demnächst frühere Opel-Facharbeiter sich das Geschwalle vom Sichneuerfinden oder ähnliche Begriffe anhören müssen. Wären nicht die Ersten.“

    Na, ob ihm das Geschwalle nun erheblich weiterhilft, das bezweifel ich dann doch – das bewundere ich ja an den Nörgler: Daß der den Gegendiskurs startet, anstatt einfach einen wechselseitigen Überbunzungswettbewerb zu starten.

    MomoRules

    21. November 2008 at 11:51

  32. Ich finde das kein Gebunze, verliere an dieser Diskussion aber zunehmend die Lust.

    Dass den Facharbeitern das Geschwalle nicht weiterhilft ist ja ohnehin klar. Falls es so kommt, werden aber in größerer Zahl arbeitslose Facharbeiter mit IGM-Hintergrund sich wahrscheinlich nicht so widerstandslos abservieren lassen wie barrende IT-Arbeitslose. Ich denke da an Krupp Rheinhausen.

    che2001

    21. November 2008 at 12:33

  33. Wir dachten eben, das ist der Gegendiskurs, was Du als Gebunze bezeichnest. Das Gebunze entspricht aber meinen leiblichen und zwischenmenschlichen Erfahrungen durchaus.
    Und mein Gegendiskurs läuft seit Jahren akut mit meinen Studenten und in merkwürdigen Konferenzen.

    Ausserdem: in wenigen Jahren wird uns die Selbsterfinderei ohnehin wieder verboten werden. Dann wirds auch wieder gestiftete Ehen geben, um Frauen und Vermögensmasse abzusichern. „Zwangsehe“ nennt man das auch nur bei Menschen mit migrantischem Hintergrund, die als Putzfrauen arbeiten. Bei guten Menschen heisst das nicht so, ich habe da Hinweise. „Popkultur“ wirds dann aber immer noch geben.

    T. Albert

    21. November 2008 at 12:47

  34. „Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.

    Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.

    Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann.“ —– Und in diesem Kontext wird ständig sich selbst neu erfunden, aber eben nicht aus freien Stücken.

    che2001

    21. November 2008 at 13:01

  35. Ich bin dezidiert für das Meister-BAFöG und ich kenne auch niemanden bei BLOG, der dezidiert dagegen ist. Unter uns gesagt: Das Meister-BAFöG ist die perfekte Methode der neoliberalen Weltverschwörung, um die leistungsfähigsten Facharbeiter noch besser versklaven und vom Klassenkampf abhalten zu können;-)

    Zu einer Diskussion über den bunzenden Gegendiskurs und über Argumente gegen das lebenslange Lernen habe ich wirklich überhaupt keine Lust. Für mich wäre jeder Tag verloren, an dem ich nichts lernen würde. Ich kenne zum Glück jede Menge Leute, denen das genauso geht. Und ich habe zwei Kinder, die es von Anfang an gar nicht anders kennen. Tja. Gute Nacht;-)

    stefanolix

    21. November 2008 at 22:57

  36. @Stefanolix:

    „und ich kenne auch niemanden bei BLOG, der dezidiert dagegen ist“

    Wieso. Ist doch das Ergebnis von Staat, Unpolitik und Parteienfinanzierung. Teufelswerk. So was hat der Markt zu regeln.

    @T. Albert:

    „Ausserdem: in wenigen Jahren wird uns die Selbsterfinderei ohnehin wieder verboten werden. Dann wirds auch wieder gestiftete Ehen geben, um Frauen und Vermögensmasse abzusichern“

    Ja, eben. Che wird schon dafür sorgen mit seiner Zitatschleuderei.

    „Wir dachten eben, das ist der Gegendiskurs, was Du als Gebunze bezeichnest.“

    Nein, weil sich das auf der selben Ebene bewegt wie das Gebunze, Gebarre und Genubbel, der des Lifestyles, also Ethos. Wenn man Ökonomie, Ethik und Moral nicht – analytisch – auseinanderhält, bunzt, barrt und nubbelt man. Natürlich bedingt insbesondere Ersteres den Rest.

    Wenn man dann aber selbst auf der Ebene des Ethos kontert, dann geht man Stefanolix auf den Leim.

    Auch, wenn man „wahre Individualität“ immer nur sich selbst zugesteht und den Anderen nur ein „falsches Bewußtsein“. Das halte ich für eine Kardinalfehler mancher Marxisten, da kam dann nämlich wirklich Ulbricht bei raus.

    Selbst wenn man mit Marx der Meinung ist, daß der Mensch eine Utopie ist, wenn man seine Ideologiekritik im Grundsatz für richtig hält, so ist diese Assymetrie des „Ich als Person bin so bewußt, die Anderen alle werden dazu gezwungen, es nicht zu sein“ selbst nicht anderes als ein Ausdruck des Bourgoisen, und da hilft im Gegenzug nur der Citoyen. kann man alles bei Pierre Bourdieu lesen. Übrigens auch, wie man Fernsehen harsch, aber sinnvoll kritiseren kann im Gegensatz zu dieser albernen Gemengelage im obigen Zitat.

    Auch, wenn man Massen-Mediales und Realität vermengt, läuft man fehl. Oder Identitätseffekte annimmt, wenn jemand einen Billig-Tarif nutzt. das hat über das alte Konsumschema vielleicht einen, weil die leute eben damit beschäftigt sind, den immer noch billigeren tarif zu suchen. Aber bei den Hanseln ist ja alles immer NOCH schlimmer als im Konsumismus. Ist doch dummes Zeug.

    Und ohne Popkultur wäre mein aktuell vor lauter Selbst-Erfinderei im Job gar nicht existentes Liebesleben noch verboten. Ohne Wave wäre es wahrscheinlich in den 80ern aufgrund von AIDS wieder verboten worden.

    Von Barnett Newman habe ich in der Hinsicht weniger profitiert als von Depeche Mode oder Boy George …

    momorulez

    22. November 2008 at 10:11

  37. In der Kommentarsektion bei den B.L.O.G.s kann man übrigens nachlesen, wie nah am „Anschwellenden Bocksgesang“ von Botho Strauß (daß der da zitiert wird, paßt schon) sich Detlef Hartmann und Gerald Geppert zumindest in ihrer Kulturkritik aufhalten, nicht jedoch freilich hinsichtlich dessen, was Che hier in den Kommentaren zitiert:

    http://www.bissige-liberale.com/2008/11/21/geschluckt-gekaut-verdaut-und-ausgeschieden/#comments

    momorulez

    22. November 2008 at 10:21

  38. „Das Problem am Bunzen, Barren und Nubbeln ist ja eher, daß …“ – könnten wir ja mal zu einer Reihe machen.

    Das Problem am Bunzen, Barren und Nubbeln ist ja eher, daß … die sich nicht selbst neu erfinden, sondern erfunden werden – und merkens noch nicht einmal.

    Das ist aber nicht ihre Schuld, das machen wir alle so in Krisenzeiten. Ich erfinde mich nur neu, wenn ich muss. Die bisherige Erfindung gefällt mir nämlich ganz gut.

    ring2

    22. November 2008 at 14:08

  39. … und ganz verstanden habe ich sie auch noch nicht – wozu dann neu erfinden. Wäre doch sowas wie Flucht vor dem Fertig werden.

    ring2

    22. November 2008 at 14:24

  40. Nö, ist das Mittel gegen Stagnation und gegen das Ende von Erfahrung – also Freiheit … willst Du fertig werden?

    momorulez

    22. November 2008 at 14:31

  41. Fertig? Weiß ich doch noch gar nicht. Irgendwann schon. Zumindest im Rahmen der jetzigen Erfindung.

    Wobei Rahmen ja ein wichtiges Wort ist in diesem Zusammenhang. Ich bewzeifle, dass ein Neuerfinden so im Sinne von Rahmen negieren und NEU erfinden als Handlung aus einem selbst kommen kann. Fühlt sich vielleicht so an, als Egopille. In meinem Leben sind Neuerfindungen – und da hatte ich einige – immer wesentlich von Außen initiiert – oder wenn nicht initiiert so doch formatiert worden. Und zwar in einer Weise, bei der man schwer von einer Selbsterfindung sprechen kann.

    ring2

    22. November 2008 at 14:38

  42. Die Kritik weiter oben, dass Selbsterfindung dann zu einem oberflächlichen Imagewechsel mit Galao im Oberholz verkommt teile ich ja. Das Wort Freiheit ist in diesem Zusammenhang ja ein ambivalentes.

    ring2

    22. November 2008 at 14:39

  43. „Das Wort Freiheit ist in diesem Zusammenhang ja ein ambivalentes.“

    Na, das war’s ja schon immer – und das, was ich im Gegensatz zu den MyKinsyesken Apologeten meine, ist ja nun nicht ein total aus dem Rahmen springen können oder das reine Schöpfen aus sich selbst, sondern auch einfach mal, sich auf neue Erfahrungen lustvoll einzulassen. Und dadurch auch eine andere Perspektive auf sich selbst und vielleicht sogar die eigene Vergangenheit entwickeln.

    Hatte neulich z.B. nach irgendeiner Diskussion mit unseren emphatiebefreiten und hartherzigen Liberalen hier so einen Flash, daß ich einfach so auf dem Sofa liegend feststellte, daß ich nicht allzu freudigen Phasen meiner Jugend zwar jede Menge Selbstmitleid, aber fast gar kein Mitgefühl mit mir selbst und erstaunlich wenig Verständnis für mich hatte.

    Das ist aber im Grunde genommen ein mich-und-meine-Bioographie-neu-Erfinden im schöpferischen Sinne, weil es eine neue Perspektive aufmacht.

    Oder auch die Art, wie man irgendwann anfing, sich als Blogger-Persona zu erfinden. Und da brauche ich auch imer neue Schübe und Metamophosen, und Du bist doch das Parade-Beispiel für jemanden, der sich da neu erfunden hat. Neulich Deine Fahrt nach Berlin mit der Musik im Ohr, dieser wundervolle Text, das hat doch mit dem Playmate-Blogger soooo viel nicht mehr zu tun gehabt ….

    Aktuell erfindet mich gerade dieses Buch von dem Simon Reynolds neu, sowas wie das Buch habe ich verzeifelt gesucht – da ist auf irgendeiner Ebene viel wichtiger als der berufliche Umburch gerade, der ja ganz viel Kontinuität bedeutet.

    Deshalb nerve ich meine Mit-Gesellschafter ständig „Laß uns doch ’n T-Shirt-Label aufmachen! Parties und Lesungen veranstalten! Komm, wir gründen auch gleich ’n Verlag! Wir müssen RAR endlich reaktivieren!“ Letzteres geht ja nicht, weil mir der Vorsitzende die Finanzamtsunterlagen immer nicht gibt, und erstes endet immer mit S. und „Komm, ich bin Familienvater und muß erst mal meine Familie ernähren, laß uns beim Kerngeschäft blieben!“

    momorulez

    22. November 2008 at 18:04

  44. Das ist doch alles Quatsch.
    Niemand hat jetzt was dagegen gesagt, dass Menschen ihr Leben gestalten und sich neu erfinden.
    Es geht doch lediglich darum, dass wir diese Begrifflichkeit für korrumpiert halten.
    Die hindert nämlich Menschen, uns selbst auch, so angewandt wie im Geppert-Text charakterisiert, eben an der Selbsterfindung.

    Ich diskutiere doch nicht diesen ganzen Markt-Kram, wo von anderer Seite nie gescheite Antwort kommt, um den dann hier doch so zu bestätigen, dass wir lebensästhetisch schon in der besten aller Welten lebten.
    Und wenn das Ethos und Freudomarxistisch ist, dann sag ich freudig JA! zu meiner bewussten Reaktion, für die Du das jetzt hältst. Von Freud lerne ich gerade einiges. Zum Beispiel, dass ich, also Ich!, gar nicht weiss, wie die beste aller Welten am und im menschlichen Körper so aussehen sollte. Ich kann dabei nämlich nicht ästhetisch argumentieren, wie Du das the whole time machst.
    Du argumentierst wie Teile der künstlerischen Avantgarde, die sich die Welt als Gesamtkunstwerk wünschten, das aus lauter Objekten ihrer Gestaltung zusammengesetzt wäre. Dann gehen die Subjekte verloren und es ist nix mit mehr Selbsterfindung. Das ist ja auch der merkwürdige nachgetragene Aspekt an der Pop-Kultur, der aus den Avantgarden stammt. Mal plakativ: Faschismus, Stalinismus, Pop-Kapitalismus – immer gehts um die unterwerfende Vernunft der Industrie, eben nicht der produzierenden Subjekte, und eine damit verbundene überindividuelle Ästhetik, die lebensweltlich bezogen zu bezahlende Versprechen verteilt, von denen jeder weiss, das si nicht einglöst werden sollen. Herrjeh ich laufe doch nicht als semantisches Feld durch die Gegend, also, dummerweise tun wir das ja. Aber ich muss das ja nicht gut finden.
    Wollte ich mich jetzt neu erfinden, dann würde ich, wenn ich wüsste wie, Bauer in Appenzell werden. Aber ich habe nicht mal einen Fahrausweis, um Traktor fahren zu können, Ohne Traktor käme ich nicht weit. Mit Zugpferd auch nicht viel weiter.

    Und wenn Herrn Professor Foucault langweilig ist, ja, dann muss ich doch nicht ständig meine Seins-Modi ändern, mir ist eher nicht langweilig und ich wünsche mir verzweifelt mal Ruhe mit weniger , um mit meiner Frau einen Alltag so leben zu können, wie wir uns das spiessigerweise so vorstellen. Geht aber nicht, weil wir ja so eine Art intellektueller Leiharbeiter sind, voll der Freiheit und monatelanger Einkommenslosigkeit. Oder soll ich mich jetzt neu erfinden, indem ich mir eine neue Frau suche, die soviel Kohle hat, dass ich meine Existenzweise nicht mehr nötig habe? Soll ich zu einem meiner Geschwister ziehen, die mich durchfüttern würden? Soll ich meinen Galeristen erschiessen, weil er Dinge will, die ich nicht will?
    Jetzt finde ich das aber auch alles schön und interessant und ich kann in meinem Leben Dinge machen, die andere nicht machen können. Und mit meiner katholischen Ehefrau bin ich richtig glücklich.
    Ich weiss jetzt auch nicht. Ich hoffe sehr, dass ich mir nicht eines Tages neue Nieren erfinden lassen muss, das wäre ein Punkt relativer Unzufriedenheit, den ich auch sonst niemandem wünsche, schon jetzt nicht-

    T. Albert

    22. November 2008 at 19:20

  45. die letzten zwei, drei einträge hatte ich noch nicht gelesen, als ich hier gerade anfing. ist ja schon alles relativierter.

    T. Albert

    22. November 2008 at 19:25

  46. „Es geht doch lediglich darum, dass wir diese Begrifflichkeit für korrumpiert halten.“

    Ja, und ihr tragt eifrig dazu bei, indem ihr ihn korrumpieren laßt. So kann man dann ja nie gegen anstinken.

    „um den dann hier doch so zu bestätigen, dass wir lebensästhetisch schon in der besten aller Welten lebten.“

    Das behauptet ja auch keiner.

    „Ich kann dabei nämlich nicht ästhetisch argumentieren, wie Du das the whole time machst.“

    Völliger Quatsch. Ich verweise hier die ganze Zeit darauf, daß man lieber die ökonomisch Strukturen angehen sollte, anstatt sich Begriff korrumpieren zu lassen und Werbern auch noch dahingehend Recht zu geben, daß man ihren Schmonz ernst nimmt.

    „Du argumentierst wie Teile der künstlerischen Avantgarde, die sich die Welt als Gesamtkunstwerk wünschten, das aus lauter Objekten ihrer Gestaltung zusammengesetzt wäre.“

    Nein. Das halte ich für Unsinn. Ich argumentiere wie jemand, der die ökonomischen Verhältnisse Scheiße findet und es sich trotzdem nicht nehmen lassen will, sich selbst zu erfinden – und der jedem, der das auch will, das auch zugsteht, anstatt ihn per Theorie vorsichtshalber erst mal zu entmündigen und die eigene Cordhose zu feiern. Die ja jeder gerne tragen soll, der will.

    „Und wenn Herrn Professor Foucault langweilig ist, ja, dann muss ich doch nicht ständig meine Seins-Modi ändern“

    Nein, Du nicht. Aber mit großem fheoretischen Aufwand das gleich allen anderen auch abzusprechen, das ist ja doch etwas überheblich.

    Ja, und das Bauer in Appenzell-Beispiel: Deshalb finde ich ja diesen Text so verlogen von diesen beiden Altlinken. Weil das eben gerade NICHT geht, und ich will, daß es möglich sein könnte, ja.

    „Geht aber nicht, weil wir ja so eine Art intellektueller Leiharbeiter sind, voll der Freiheit und monatelanger Einkommenslosigkeit.“

    Ja, eben. Dann sind wir ja wieder da gelandet, wo ich eigentlich auch hin wollte: Weg von diesen Kulturindustrie-Kapitel-Variationen, hin zur ökonomischen Basis.

    Aber das mich-selbst-erfinden lasse ich mir trotzdem nicht ausreden. Daß Krankheit das verhindern kann, das weiß ich auch. Das Interview mit „Herrn Professor Foucault“ ist unmittelbar vor dessen Tod erschienen.

    Das ist aber kein Argument dagegen, die Leute, die sich immer mal neu erfinden WOLLEN, dann zu diskreditieren. Und schon gar nicht mit Freud, diesem Arschloch.

    momorulez

    22. November 2008 at 19:43

  47. „die letzten zwei, drei einträge hatte ich noch nicht gelesen, als ich hier gerade anfing. ist ja schon alles relativierter.“

    Ja, bin ja auch gar nicht beleidigt, daß man mich hier in Ecken postiert – mit Hilfe der Zitierten -, in denen ich mich eh nicht sehe. Obwohl’s denen natürlich genau darum geht, Leute wie mich da hinzustellen, damit sie die Diskurshoheit bei ihrer Zielgruppe wahren. Sondern bin eher entsetzt, wie fasziniert ihr euch von dieser Rhetorik zeigt, so daß ihr das noch in das hinein lest, was ich hier schreibe. Wie die hypnotisierten Karnickel, sorry.

    Und verteidige hier zudem mein kleines bißchen Sinnstiftung, zu dem ich so gelangt bin ich in den 42 Jahren meines Lebens. Da hat man’s mit Kindern freilich auch leichter, nicht ökonomisch, da ganz im Gegenteil, nur hinsichtlich der Sinnstiftung.

    momorulez

    22. November 2008 at 19:52

  48. @“anstatt ihn per Theorie vorsichtshalber erst mal zu entmündigen und die eigene Cordhose zu feiern. Die ja jeder gerne tragen soll, der will.“ — Das ist z. B. schon wieder etwas, das Du in ein Zitat von mir Nichtcordhosenträger hineininterpretierst, wie ich seit einigen Tagen den Eindruck, dass Du mit immer mehr zunehmender Verve den beiden Autoren haufenweie Dinge unterstellst, die sie nie so gesagt oder gemeint haben, die aber mit Erfahrungen zu tun haben, die Du in Deinem Leben mit Altlinken gemacht hast. Dann bist Du inzwischen so weit wie Dr. Dean mit seiner Verwechslung der Texte Butlers mit dem repressiven Verhalten feministischer Hochschulgruppen.

    „Ja, und das Bauer in Appenzell-Beispiel: Deshalb finde ich ja diesen Text so verlogen von diesen beiden Altlinken. Weil das eben gerade NICHT geht, und ich will, daß es möglich sein könnte, ja.“ — Denk, dir, jemand aus dem Umfeld dieser beiden Altlinken, eigentlich Ethnologe, ist erst Senner im Wallis geworden und züchtet jetzt Huskies in Norwegen.

    chezweitausendeins

    22. November 2008 at 19:54

  49. „Dann bist Du inzwischen so weit wie Dr. Dean mit seiner Verwechslung der Texte Butlers mit dem repressiven Verhalten feministischer Hochschulgruppen.“

    Ja, auf den Konter habe ich nur gewartet, Che, ich leg mich dann mal wieder hin und überlasse Dir da die Deutungshoheit für das von Dir Zitierte. Nächste mal frage ich erst mal brav, wie ich das verstehen, was Du zitierst, weil das, was da steht, ja gar nicht gilt. Okay? Das wäre dann wohl auch ganz im Sinne der zitierten Autoren.

    momorulez

    22. November 2008 at 20:07

  50. nee, gegen Foucault hab ich nix, gegen Selbsterfindung hab ich nix, zum wiederholten Male, und wir diskreditieren eben niemanden, gar niemanden.
    Wenn Du dieses Foucault_Zitat in dme Zusammenhang bringst, dann gehts mir nur so , dass ich danke, Herrgottnochmal, wen jemandem langweilig ist, mir ist nicht langweilig, weil ich gar nicht weiss, und zwar biographisch, Mann, ich weiss gar nicht, wovon die Rede ist, wenn man mir das sagt. Ich konnte mich zum ersten Mal mit vier Jahren neu erfinden, als ich von einer in die andere Sprache umzog, ohne beide schon zu sprechen, ich dann die eine erst als Halberwachsener wieder sprechen konnte, ich dann in ein anderes Land umzog, was angeblich das meiner Eltern sein sollte, ich dann hin-und herzog, mit Eltern, dann ohne Eltern, undsoweiter, undsoweiter, ich weiss schon nicht, was gemeint ist, wenn man mir sagt, das und das ist meine Heimat, zumal man ja auch ständig gefragt wird, wie lang man denn bleiben will, oder ob man wirklich von hier ist. Also, dann fühle eher ich mich diskreditiert, und plötzlich steht da ein Anspruch vor mir, mit dem ich für meine Person nicihts anzufangen weiss. Ich sage ja auch schon oben:

    FÜR MEINE PERSON, das meint offensichtlch niemand anderen.

    Ich mache das die ganze Zeit. Kann zum Beispiel gut sein, dass wir nächstes Jahr mal für eine Weile nach USA gehen, um dort zu arbeiten, aus bestimmten Gründen. Andererseits sehe ich andauernd komische Bücher: Karriere mit 50, Nochmal beginnen mit 50. Sich erfinden mit 120. an wen richtet sich denn das? Das ist doch ein Riesenmarkt.

    T. Albert

    22. November 2008 at 20:42

  51. Und Professor F.: Wer Professor ist, das weiss ich von einigen Freunden und Verwandten, der bekommt jeden Monat sein Staatsgehalt. Darum wollen ja alle Professor werden,
    Nur darum drücke ich das so aus. Freud halte ich trotzdem nicht für 1 Arschloch, weil ich noch gar nicht weiss, was er in dem Buch geschrieben hat, das ich erstmal lesen muss.

    Weil ich jetzt schlechte Laune habe, hau ich ab.

    T. Albert

    22. November 2008 at 20:51

  52. „Weil ich jetzt schlechte Laune habe, hau ich ab.“

    Ja, ich auch. Che kann mir dann ja erläutern, aufgrund welcher Erfahrungen im Leben so außerhalbs des Blogs ich die habe, diese schlechte Laune.

    Ansonsten würde ich doch einfach noch mal bitten, daß vielleicht irgendwer in ein paar Tagen darauf eingeht, was drüben im Foucault-Zitat steht und vielleicht auch auf das, was ich zum obigen Zitat geschrieben habe, auch auf das, was drin steht, und nicht nur auf die Überschrift und das, was man aus guten Gründen ansonsten gerade mal loswerden will.

    In der Tat habe ich das Glück gehabt, bis auf die Scheidung meiner Eltern die entscheidenden Brüche im Leben selbst herbei geführt zu haben, und bis auf einen war ich darüber jedes Mal sehr glücklich. Mein Problem war eher, gerade in den letzten Jahren, irgendwo drinzustecken, wo ich nicht raus kam. Dafür hatte ich ein regelmäßiges Gehalt, klar.

    Daß man das anders sieht, wenn man sehr viel von außen aufgezwungene Brüche erlebt hat, das ist eben auch so. Das relativiert ja nicht die meine, das ist einfach eine andere Erfahrung, aus der sich dann ganz andere Antworten und Bedürfnisse ergeben, gegen die ich hier übrigens mit keiner Silbe gewettert habe.

    Ich will hier ja auch niemandem ein Programm aufdrücken, wie schon oft betont, und halte die Diskussion der ökonomische Basis sowieso für primär und entscheidend. Genau darum geht’s mir ja die ganze Zeit.

    Die Nöte, denen Du als frei schaffender Künstler ausgesetzt bist, sind ja an sich so gravierend, daß sich manche Frage dann auch gar nicht stellt. Aber genau. darauf verweise ich ja hier konstant seit 50 Kommentaren

    Das Foucault-Zitat geht trotzdem weiter, weil sich da auch eine Wahrheitsitsfrage drin verbirgt, nicht nur eine ethische. Aber dazu dann wirklich ein andernmal.

    momorulez

    22. November 2008 at 22:10

  53. @“Das wäre dann wohl auch ganz im Sinne der zitierten Autoren.“— Och nö, die wollen gern, dass kontrovers um sie diskutiert wird. Ich ziehe mich erstmal kopfschüttelnd zurück. Und weiß nicht, ob ich mich aufregen, Dein Verhalten putzig finden oder mich damit gar nicht mehr auseinandersetzen soll.

    chezweitausendeins

    22. November 2008 at 22:14

  54. Finde es putzig.

    momorulez

    22. November 2008 at 22:56

  55. Ich mag Dich zu sehr, als dass ich mich damit zufriedengeben könnte. Aber vielleicht ist das hier ja eine Sackgasse, aus der es einen Ausweg gibt, wenn wir in einem anderen Diskussionsstrang nochmal daran anknüpfen.

    „Ich will hier ja auch niemandem ein Programm aufdrücken, wie schon oft betont, und halte die Diskussion der ökonomische Basis sowieso für primär und entscheidend. Genau darum geht’s mir ja die ganze Zeit.“ bietet da übrigens eine sehr schöne Perspektive.

    chezweitausendeins

    22. November 2008 at 23:11

  56. nee Momo, du zickst ein wenig rum,

    … denn mit Neuerfinden hat das „sondern auch einfach mal, sich auf neue Erfahrungen lustvoll einzulassen. Und dadurch auch eine andere Perspektive auf sich selbst und vielleicht sogar die eigene Vergangenheit entwickeln.“ nix zu tun – nach meiner Lesart – und da muss ich mal schnell nach oben in den Text schauen … – nee der hilft mir nicht weiter da sind wir davor …

    …denn spießig sein als Gegenentwurf ist da ja auch schon enthalten: mir ist eher nicht langweilig und ich wünsche mir verzweifelt mal Ruhe mit weniger , um mit meiner Frau einen Alltag so leben zu können, wie wir uns das spiessigerweise so vorstellen.

    und mein „Fahrt nach Berlin mit der Musik im Ohr, dieser wundervolle Text, das hat doch mit dem Playmate-Blogger soooo viel nicht mehr zu tun gehabt ….“ – DOCH – das beschreibt mich zusammen gesehen sogar ganz gut!

    … irgendwie möchte ich an dem NEUERFINDEN mich reiben, dass was Du meinst Momo ist kein NeuERFINDEN, sondern ein immer wieder in Frage stellen bei gleichzeitiger Akzeptanz – und das zu empfinden ist elitär- und angenehm, oder? – eigentlich, und da haban die Liberalen, sofern sie welche sind – ja fundamental recht, eine persönliche Interpretation, ob mir der Umstand Freiheit gibt oder nimmt.

    ring2

    22. November 2008 at 23:46

  57. Das FoucaultZitat ist ürbigens nicht Ziel meiner „Attacke“ – und diese Freundlichkeit bringe ich i.d.R. auch selten auf:

    Daß man das anders sieht, wenn man sehr viel von außen aufgezwungene Brüche erlebt hat, das ist eben auch so. Das relativiert ja nicht die meine, das ist einfach eine andere Erfahrung, aus der sich dann ganz andere Antworten und Bedürfnisse ergeben, gegen die ich hier übrigens mit keiner Silbe gewettert habe.

    _- danke

    ring2

    22. November 2008 at 23:49

  58. Übrigens muss ich in Sachen Freiheit, Geilheit und so immer an dieses Bild denken: http://fotoblog.ringfahndung.de/v/playmates/venus-berlin-2006/abu.jpg.html

    … was mich immer wieder fasziniert, denn das war eine wirklichr Prüfung meiner Männlichkeit diese Venus Messe in Berlin.

    ring2

    22. November 2008 at 23:59

  59. […] ich euch auf eine diskussion aufmerksam machen, die eben echt ist, solange alle was zu verlieren habn. wir streiten und sind doch komisch […]

  60. „nee Momo, du zickst ein wenig rum,“

    Ja, aber mit guten Gründen. Wenn mittlerweile schon irgendwelche seltsamen Interpretationen vorgenommen werden,warum ich welchen Text wie lese, anstatt sich mit dem zu beschäftigen, was ich schreibe, dann kann ich ja auch meine Klappe halten und überlasse gerne anderen die Deutungshoheit über mich. Bin ich ja sonst auch so gewöhnt.

    „denn spießig sein als Gegenentwurf ist da ja auch schon enthalten: mir ist eher nicht langweilig und ich wünsche mir verzweifelt mal Ruhe mit weniger , um mit meiner Frau einen Alltag so leben zu können, wie wir uns das spiessigerweise so vorstellen.“

    Was ich Dir von ganzem Herzen gönne, Dich in dieser Form neu erfinden zu können, anstatt als Freelancer ständig durch die Gegend gurken zu müssen. Auf Deinem Geburtstag waren doch lauter Leute, die genau so auch leben wollen.

    Genau das meine ich ja mit der Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Ist ja völlig in Vergessenheit geraten, daß es z.B. jahrzehntelang den Kampf um die 35-Stunden-Woche gab, was mit all der Kohle, die jetzt in der Finanzkrise verbrannt wurde, auch problemlos möglich gewesen wäre.

    Und, was sagen die hehren Autoren stattdessen:

    „Heute weicht jeder genüsslich von der Norm ab. Das Biedere, Langweilige, Komplizierte wird argwöhnisch beäöugt. Gleichwohl sind dem spaßigen treiben staatlich enge Grenzen gesetzt, wie jüngst die Rostock-people knüppeldich zu spüren bekamen. Bei ernsthaft renitenter Individualität besteht Terrorismusgefahr!“

    Du hast doch gerade den Gegenbeweis angetreten. Natürlich weichst Du nicht genüßlich von der Norm ab, Du willst das gar nicht. Du willst das „Biedere“ in einer bestimmten Hinsicht, Du beäugst es nicht argwöhnisch. Da wird ja so getan, als sei das alles längst internalisiert. Und zudem Dir unterstellt, Du würdest würdest ernsthaft renitente Individualität gerade nicht leben. Womit die ja genau das machen, was sie kritisieren.

    Zudem ich es auch als Frechheit und Zumutung erlebe, daß mir dann auch noch unterstellt wird, nur weil ich mich jetzt lieber als Schriftsteller neu erfinden würde, der ein Buch über die 80er schreibt, anstatt vom Leben gezwungen zu werden, mich als Unternehmer mit all den dazugehörigen Abhängigkeiten zu gerieren, daß ich damit das S´chema irgendwelcher herrschenden Diskurse einfach so adaptieren würde. Das ist uumgekehrt: Die haben mir die geklaut, und ich will die zurück haben dürfen.

    Und den letzten Absatz von 23.46: Da habe ich nicht verstanden, was Du da meinst.

    momorulez

    23. November 2008 at 10:40

  61. Ich glaube, das Wort vom „weiter entwickeln“ wäre eine viel versprechende Alternative gewesen…

    (Achtung: Das ist kein Angriff. Ich wollte damit nur andeuten, dass eine leicht verschobene Konnotation eines Begriffsfeldes evtl. den eine – oder anderen – Streit einsparen helfen kann – und die Basis für ein wechselseitiges Verständnis erweitern könnte. Naja – das wäre jedenfalls so eine Hoffnung.)

    John Dean

    27. November 2008 at 23:41


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