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Das Pudding-Attentat im Spiegel der Medien (2)

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Die Terrorisierung der Berliner Bevölkerung durch eine rote Minderheit nimmt immer stärkere Ausmaße an. […] Die pflaumenweichen Erklärungen, die Heinrich Albertz in dieser Sache bis jetzt von sich gab, lassen jedenfalls schwarzsehen. Es sei denn, es finden sich ein paar beherzte Berliner und machen es wie die Matrosen in Amsterdam. Diese ideologischen Gammler sind wahrscheinlich mit Argumenten nicht mehr zu überzeugen.“

Leserbrief von Gerd Schacht in der Berliner Morgenpost vom 11. April 1967

Für die Zeitungsausgaben am 7. April war die Freilassung der Verhafteten „Pudding-Attentäter“ zu spät gekommen – die Anhörung vor dem Untersuchungsrichter dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Während also die B.Z. noch mit dem Titel „Die Verschwörer schalten auf stur“ verkauft wurde, waren diese längst auf freien Fuß gesetzt worden. Der Tagesspiegel berichtete tags darauf sachlich und neutral:

„Der Richter hatte es abgelehnt, Haftbefehle zu erlassen, die von der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts eines Sprengstoffverbrechens beantragt worden waren.
Bei der Vernehmung kam der Richter zu der Auffassung, es bestehe kein dringender Verdacht, daß andere Gegenstände als »Rauchentwickler« hergestellt werden sollten.“ ([2])

Was bislang nur eine Behauptung der Verhafteten und ihres Anwalts war, hatte nun das Gütesiegel einer höchstrichterliche Bestätigung erhalten: Der nach der Verhaftung der „Attentäter“ herausgegebene Polizeibericht zeugte zwar von reger Phantasie, hatte aber mit der Realität wenig gemein. Man sollte glauben, daß die Springer-Presse, die von der Berliner Polizei in eine peinliche Lage gebracht worden war, empört Rechenschaft darüber verlangt hätte, wie es zu diesem fehlerhaften Bericht hatte kommen können. Doch weit gefehlt. Statt das Naheliegende zu tun, nämlich die Frage zu stellen, was die Gründe für diese Panne waren, titelte die BILD-Zeitung unverdrossen: „Die Polizei hat sich ein Lob verdient“. Und eingebettet in diesen Artikel konnte man lesen:

„Der Vernehmungsrichter setzte gestern früh um vier Uhr die acht Mitglieder des SDS wieder auf freien Fuß, obwohl der Staatsanwalt bis auf eine Ausnahme Haftbefehl beantragt hatte. Begründung des Richters: Kein dringender Tatverdacht eines Sprengstoffanschlags gegen US-Vizepräsident Humphrey! Dagegen die Polizei: »Wir konnten bei der Prominenz der Besucher kein Risiko eingehen.«“ ([5])

Skandalös! Da erdreistet sich also ein Richter gegen die geballte Autorität von Polizei und Staatsanwaltschaft zu entscheiden, es bestehe kein dringender Tatverdacht! Ja, wo kommen wir denn da hin!

Dabei war dies noch die harmloseste Variante, wie mit der behördlichen und journalistischen Katastrophe umgegangen wurde; überhaupt, und das lohnt sich wirklich festzustellen, entpuppt sich bei näherem Hinsehen ausgerechnet die BILD-Zeitung als eines der eher gemäßigten Blätter des Springer-Konzerns. Deutlich heftiger sind die Kapriolen, wie sie die B.Z. schlägt, um nicht zugeben zu müssen, daß sie kritiklos und ohne Nachprüfung eine polizeilich Falschmeldung verbreitet hatte. Schon der Titel ihres Artikel gab die Marschrichtung für ihre Rechtfertigungsstrategie vor: „Waren die Bomben noch nicht fertig?“ Immerhin, eine gewisse Vorsicht ließ man nun walten. Angesichts des Artikel-Inhalts hätten sie durchaus auch „Die Bomben waren noch nicht fertig!“ schreiben können:

„Die Politische Polizei ist nach wie vor davon überzeugt, daß die Studenten Sprengkörper basteln wollten. Nicht verhältnismäßig harmlose Rauchbomben, wie sie behaupten. […] »Wir sind vielleicht eine Stunde zu früh gekommen.«, meinte gestern ein Beamter der Polizei.“ ([7])

Am dollsten aber trieb es wie immer die Berliner Morgenpost:

„[J]enen alles verstehenden und daher alles verzeihenden Träumern, die da meinen, unsere lieben kleinen Bombenschmeißer in West-Berlin wollten ja Herrn Humphrey nicht nach dem Leben trachten – sondern ihn nur erschrecken –, diesen Träumern sei gesagt: Einige der Verschwörer erkundigten sich vorher, wieviel Monate Knast der Umgang mit Sprengstoff hierzulande kostet – und stiegen aus.
Die anderen machten weiter mit, im festen Vertrauen auf unseren Rechtsstaat, in der Gewißheit, daß ein unabhängiger Richter sie selbstverständlich nach kurzer Zeit auf freien Fuß setzen würde und müßte, zumal die Kriminalpolizei nicht in der Lage war, zu dem geplanten (und gottlob verhinderten) Verbrechen auch noch den Gemordeten oder Blessierten mizuliefern.“ ([4])

Diese Eskalation von Seiten der Springer-Presse, die weit über einfaches journalistisches Versagen hinausgeht, läßt sich eigentlich nur auf eine einzige Weise deuten: Die Springer-Blätter verstanden sich nicht als Medium, nicht als neutraler Vermittler im Rahmen einer bürgerlich-demokratischen Öffentlichkeit, sondern selbst als Partei in einer Auseinandersetzung. Und ihre Position war eine durch und durch autoritäre: Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft der Meinung sind, daß bestimmte Personen hinter Schloß und Riegel gehören, dann wiegt das schwerer als der eigentliche Sachverhalt, selbst wenn dessen verhältnismäßige Harmlosigkeit durch einen Richter höchst offiziell bestätigt wurde.

Die Reaktionen der Springer-Presse machen deutlich, daß das eigentliche Verbrechen der „Verschwörer“ nicht darin bestand, den amerikanischen Vizepräsidenten in die Luft sprengen zu wollen – was definitiv und selbst für Angestellte des Springer-Konzerns erkennbar nicht der Fall war –, sondern daß sie die Legitimität der bestehende Ordnung grundsätzlich in Frage stellten. Und in dieser autoritären Logik unterscheidet sich ein Tortenwurf qualitativ nicht von einem Bombenanschlag.

Bereits im Jahr 1968 stellt eine Studie fest, daß Presseorgane wie die zitierten Blätter der Springer-presse

„die amtlicherseits verbreitete Version der Vorgänge übernommen haben, weil sie in Übereinstimmung mit den Repräsentanten der Institutionen die gleichen politischen Maximen als unantastbare voraussetzen. Die wenig explizierte Kategorie »Westliche Freiheit« bezeichnet eine Attitüde, einen Kanon von Urteilen und Standards, die nicht mehr zur Kritik gestellt sind. Proteste gegen einen ihrer Repräsentanten erscheinen zwangsläufig als Angriff auf die Existenz der »westlichen Welt«. […] Verstöße gegen den allseits gepflegten Konsensus […] werden nicht mit Argumenten, sondern mit Verdammungsurteilen belegt, die nicht nur im Falle der Springer-Zeitungen unzweideutig die Gewaltanwendung nahelegen.“ ([3], S.544)

Diese auf die Autoritäten und den Status Quo fixierte Haltung ist allerdings nur eine von insgesamt drei typischen Reaktionsweisen, die die Autoren der Studie identifizieren. Das eben beschrieben Reaktionsmuster wird dem sogenannten „restriktiven Typus“ zugeschrieben, zu dem, neben den Blättern des Springer-Konzerns, auch die Deutsche National- und Soldatenzeitung oder die Frankfurter Allgemeine zu zählen sind.

Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die Blätter, die von den Autoren der Studie als „progressiver Typus“ bezeichnet werden. Hierzu zählen sie die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und den Spiegel. Mit unterschwelliger Arroganz konstatieren die Autoren der Studie:

„Es sind also Publikationsorgane, bei denen man nicht von einer Massenauflage reden kann und die sich weitgehend an ein Publikum mit besonderer Bildung und besonderen Interessen wenn.“ ([3], S. 487)

Auch diese Blätter agierten keineswegs neutral, sondern parteiisch, nur in die andere Richtung. Ihr Ziel war es, autoritäre Strukturen aufzubrechen und eine wirkliche, nicht nur formale Demokratisierung der Bundesrepublik zu befördern. Die Schlappe der Berliner Polizei und der Springer-Presse kam hierzu wie gerufen.

Im Spiegel kommentierte Otto Köhler den Polizeibericht über die Verhaftung der „Verschwörer“ wie folgt:

„Das war die Beschuldigung einer Behörde, die sich schon oft durch ihre frei gestaltende Phantasie im Umgang mit demonstrierenden Studenten hervorgetan hatte. Jeder Redakteur hatte somit gewiß Anlaß, sich der wiederholten Mahnungen des Deutschen Presserates an die Konvention zum Schutze der Menschenrechte zu erinnern, die vorschreibt, daß bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Schuldlosigkeit eines Beschuldigten zu vermuten ist. Doch diese Mahnungen lagen – bestenfalls – im Archiv, der Polizeibericht aber lag auf dem Schreibtisch. Und das hatte Folgen.“ ([6])

Die Zeit ging noch einen Schritt weiter. Sie druckte eine satirische Glosse von Wolfgang Ebert ab, die angeblich das Überwachungsprotokoll aus der Zentrale des Berliner Polizeipräsidiums zitierte:

Zentrale an Dora 3: Feststellen, ob die Verschwörer in dem Laden auch Milchpulver gekauft habe. Wichtig!
Zentrale an Labor: Feststellen, was die Verschwörer mit Milch, Eier, Mehl und Puddingpulver machen können.
Labor an Zentrale: Pudding.
Zentrale an Waffenexperten: Ermitteln, wozu die Verschwörer den ganzen Joghurt brauchen könnten.
Gustav 4 an Zentrale: Die Verschwörer haben im Supermarkt Zucker und Zimt besorgt. Erbitten weitere Anweisungen.
Zentrale an Gustav 4: Feststellen, ob auch Grieß.
Dora 3 an Zentrale: Die Verschwörer haben soeben in der Molkerei vier Liter Schlagsahne gekauft.
Zentrale an Dora 3: Schlagsahne gab es in Amsterdam nicht. Offenbar eine neue Waffe. Bleiben Sie weiter am Ball!
Zentrale an Gustav 4: Was ist mit dem Grieß? Ein Präsident von Honduras wurde durch heißen Grießbrei umgebracht!
Zentrale an Otto 2: Wichtig! Sofort bei Behnke nachfragen, wie viele Eier die Verschwörer gekauft haben!
Gustav 6 an Zentrale: Verschwörer E kommt aus Milchladen. In der Hand Quark. Macht einen verdächtigen Eindruck. Erbitten weitere Anweisungen.
Karl 2 an Zentrale: Verschwörerin B betritt Drogerie.
Otto 2 an Zentrale: 14 Eier für 11 Verschwörer, drei wahrscheinlich zum Essen.
Zentrale an Gustav 6: Was ist mit dem Quark?
Gustav 6 an Zentrale: Verschwörer E ißt ihn. Mitten auf der Straße.
Karl 2 an Zentrale: Verschwörerin B kommt aus der Drogerie mit Ata und Vim. Angeblich zum putzen. Wahrer Verwendungszweck eindeutig.
Gustav 4 an Zentrale: Als Monteur verkleideter Beamter stellte in der Wohnung fünf Buttercremetorten fest. Ob eßbar fraglich. Verschwörer G wollte an einer Torte naschen, wurde aber von Kollegen schroff zurechtgewiesen.
Zentrale an Gustav 4: Die Buttercremetorten im Auge behalten.
Anton l an Zentrale: Verfolgen Verschwörer, der Mehlspuren hinterläßt.
Zentrale an Anton 1: Bleiben Sie ihm auf den Fersen! Immer daran denken, was Ihnen passiert, wenn Humphrey was passiert – ausgerechnet in Berlin!“ ([1])

Das war ein publizistischer Tortenwurf direkt in das Gesicht der Berliner Polizei – und es wäre durchaus interessant, der Frage nachzugehen, inwieweit deren besonders aggressives Vorgehen während des Schah-Besuches zwei Monate später eine Reaktion auf diese Lächerlichmachung in der Folge des Pudding-Attentates war. Eine halbstarke Trotzhaltung nach dem Motto: „Jetzt zeigen wir es »denen« mal richtig“ könnte da durchaus eine Rolle gespielt haben.

Eines jedenfalls machen diese Zitate aus Spiegel und Zeit deutlich: Die antiautoritären Protestgruppen waren keineswegs isoliert, sondern konnten auf eine zwar kleine, aber publizistisch rege sympathisierende Fraktion im Medienbetrieb rechnen. Ganz offenkundig war die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik der 60er Jahre nicht nur uneins, sondern massiv gespalten.

Lesen Sie deshalb auch nächste Woche weiter, wenn die Kieler Nachrichten vom 7. April 1967 der Meinung sind:

„Protestieren, Demonstrieren, Rebellieren ist nun einmal das Vorrecht der Jugend. Die Jahre glätten auch diese Wogen. Heute soll man ihnen nicht nur erlauben, ein Element der Unruhe zu sein. Man soll froh darüber sein: Wären sie es nicht, wäre es um die politische Zukunft der Nation wohl viel schlimmer bestellt.“ (zit. nach [3], S.544)

Literaturverzeichnis

[1] Ebert, W., „Pudding-Mörder“, in: Die Zeit, Jg.20 (1967), Nr.15 (14. April 1967), S.7.

[2] Tagesspiegel, 08. April 1967: „Die beschuldigte „Provo“-Gruppe vom Vernehmungsrichter freigelassen“ (Eigener Bericht), S.2.

[3] von Friedeburg, L.; Horlemann, J.; Hübner, P.; Kadritzke, U.; Ritsert, J. & Schumm, W., Freie Universität und politisches Potential der Studenten, Neuwied und Berlin 1968.

[4] BERLINER MORGENPOST, 08. April 1967: „Liebe kleine Bombenwerfer“ (Jo), S.2.

[5] BILD (Berlin), 08. April 1967: „SDS-Mitglieder freigelassen“ (ka), S.2.

[6] Köhler, O., „Mord“, in: Der Spiegel, Jg.21 (1967), Nr.17 (17. April 1967), S.61.

[7] B.Z., 08. April 1967: „Waren die Bomben noch nicht fertig?“ (L.R.), S.4.

Written by alterbolschewik

10. Februar 2012 at 16:24

Das Pudding-Attentat im Spiegel der Medien (1)

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Es ist schön, tolerant zu sein und die Minorität mit demokratischer Noblesse zu behandeln. Bilderbuch-Demokratie kann aber auch zum unerwünschten Selbstmord führen. Dann nämlich, wenn man permanent übersehen will, daß eine aggressive Clique eine sich demokratisch verhaltende Mehrheit fortgesetzt tyrannisiert.“

Berliner Morgenpost, 8. April 1967

Der letztwöchige Text thematisierte das Verhältnis der antiautoritären Bewegungen zur Springer-Presse. Dabei ging es fast ausschließlich darum, daß die Springerpresse ein Zerrbild der studentischen Anliegen verbreitete und offen zur Gewalt gegen studentische Demonstrationen aufrief. Die Gewalt von Seiten der Protestierenden war dann als das Resultat einer zumindest so gefühlten Notwehrsituation interpretiert worden.

Doch wenn man sich allein auf die Springer-Presse konzentriert, verliert man das große Bild aus den Augen, denn es gab durchaus andere Publikationen, die sich neutral oder sogar unterstützend verhielten. Ich will in diesem (leider wieder einmal mehrteiligen) Artikel versuchen, anhand eines ganz bestimmten Ereignisses, nämlich des sogenannten „Pudding“-Attentates, den unterschiedlichen Umgang verschiedener Presseorgane mit den Aktivitäten der antiautoritären Bewegungen zu demonstrieren.

Das Pudding-Attentat war die erste öffentliche Aktion, die die Kommune I in die Schlagzeilen brachte, und zwar, bevor sie überhaupt etwas unternehmen konnten: Am Mittwoch, den 5. April 1967 wurden 11 Personen festgenommen, und zwar unter dem Verdacht, einen Anschlag auf den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey geplant zu haben. Der Vorwurf als solcher war absurd. Was Dieter Kunzelmann und Konsorten planten, orientierte sich an einer Aktion der Amsterdamer Provos aus dem vergangenen Jahr. Am 10. März 1966 hatten diese erfolgreich die Hochzeit der Königin Beatrix gestört, indem sie durch das Zünden von Rauchbomben ein völliges Chaos erzeugt hatten. Die Berliner „Attentäter“ hatten sich von den Amsterdamern das Rezept für die Rauchbomben besorgt, um im Schutz der Rauchentwicklung den amerikanischen Vizepräsidenten mit Torten- und Puddingwürfen lächerlich zu machen.

Nach der Verhaftung der „Attentäter“ und „Attentäterinnen“ gab die Polizei einen Bericht an die Presse heraus, in der völlig absurde Behauptungen aufgestellt wurden (leider ist es mir nicht gelungen, den Polizeibericht selbst zu finden; wenn also eine meiner Leserinnen zufällig weiß, ob diese Erklärung irgendwo dokumentiert wurde oder in irgendeinem Archiv zu finden ist, wäre ich für einen Hinweis dankbar). Offensichtlich wurde behauptet, daß hochexplosive Chemikalien zum Bombenbau verwandt und unbekannte Chemikalien in Plastikbeutel abgefüllt wurden. Mehrfach taucht in der Presse auch eine angebliche Verwicklung der Ost-Berliner Botschaft Chinas auf – die Quelle dieses Gerüchts ist allerdings unklar (die Berliner Morgenpost nennt einen Senatssprecher als Quelle ([8])).

Von den elf Verhafteten wurden drei sofort wieder freigelassen – und zwar die drei Frauen; offensichtlich hielt die Polizei in bewährt chauvinistischer Manier Frauen für unfähig, Bomben zu bauen. Die acht anderen wurden tags darauf dem Untersuchungsrichter vorgeführt, der die sofortige Freilassung anordnete, weil er die Anschuldigungen sofort als das erkannte, was sie waren: Absurditäten.

Soweit der Sachverhalt. Uns soll hier und heute interessieren, wie die Medien auf diese Ereignisse reagierten. Am Donnerstag, den 6. April erschienen die ersten Zeitungsberichte, die ausschließlich auf auf der Presseerklärung der Berliner Polizei beruhten. Einen vernünftige und journalistisch korrekten Umgang mit der Erklärung der Polizei demonstrierte die New York Times:

„The West Berlin Police said tonight that they had arrested 11 persons on charges having plotted to assassinate Vize President Humphrey.
The police said that the 11, most of them students, had conspired »to stage an assault on the life or health of Mr. Humphrey«“ ([10])

Da der Sachverhalt selbst nicht verifizierbar war, erklärte die New York Times nur, daß die Polizei einen Attentatsversuch behauptet. Daß es Verbindungen zur Botschaft in Peking gegeben habe, wurde „unconfirmed reports“ zugeschrieben.

Ähnlich korrekt berichtete in Berlin der Tagesspiegel. Hier lautete die Formulierung:

„Elf Personen, die nach Angaben der Polizei unter »verschwörerischen Umständen zusammengekommen sind und hierbei Anschläge gegen das Leben und die Gesundheit des amerikanischen Vizepräsidenten Humphrey« geplant haben, sind am Mittwoch in Berlin in polizeilichen Gewahrsam genommen worden. Die Räume der Beschuldigten seien durchsucht, Beweismaterial sichergestellt worden, teilte die Polizei mit.“ ([3])

Auch der Berliner Telegraf, eine sozialdemokratische Zeitung, hielt sich halbwegs an die journalistische Konvention, nicht verifizierbare Behauptungen zumindest mit der Einschränkung abzudrucken, daß sich der dargestellte Sachverhalt „laut Polizeibericht“ so darstelle. Allerdings wurde hier kontrafaktisch und sensationslüstern mit „Bombenattentat gegen Humphrey in Berlin vereitelt“ getitelt ([4]).

Keinerlei Hemmungen hingegen kannte die Springer-Presse. Dankenswerterweise hat der Springer-Verlag 2010 ein Medienarchiv zu 68 online gestellt, damit der schlechte Ruf des Verlages mit dem tatsächlichen publizistischen Verhalten abgeglichen werden könne. Es ist allerdings nur ein frommer Wunsch des Vorstandsvorsitzenden Döpfner, daß sich dadurch „[m]anche Klischees in den Köpfen […] auch als Endmoränen einer bis heute wirkungsvollen SED-Propaganda und Stasi-Desinformation“ erweisen. Studiert man die Berichte über das „Pudding-Attentat“, findet man weder die Einhaltung einer journalistischen Sorgfaltspflicht, geschweige den so etwas wie publizistische Neutralität.

Die BILD titelte „Bombenattentat auf Humphrey in Berlin verhindert“ ([9]), die B.Z. „Studenten planten Attentat auf Humphrey“ ([6]) und die Berliner Morgenpost schoß den Vogel ab, als sie im Untertitel ihres Berichtes behauptete: „FU-Studenten fertigten Bomben mit Sprengstoff aus Peking.“ ([5]) Die Angaben aus dem Polizeibericht wurden ohne Einschränkung als Tatsachen übernommen und nach Gusto auch noch etwas ausgeschmückt. Im Polizeibericht war wohl von „mit Chemikalien gefüllten Plastikbeuteln“ die Rede, wie der Telegraf berichtete ([4]). Die Morgenpost ließ ihrer Phantasie bezüglich dieser Chemikalien, die, wie sich dann herausstellte, aus der Giftküche des sinistren Dr. Oetker stammten, freien Lauf:

„Die Polizei überraschte mehrere kommunistisch orientierte Westberliner Studenten beim Abwiegen von Sprengstoff in behelfsmäßige kleine Granathülsen und beim Einfüllen einer ätzenden Säure in Plastikbeutel.“ ([5])

Auch die Bild-Zeitung erwies sich als äußerst kreativ in ihrer Ausschmückung des Polizeiberichts:

„Mit Bomben und hochexplosiven Chemikalien, mit Sprengstoff gefüllten Plastikbeuteln – von den Terroristen »Mao-Cocktail« genannt – und Steinen haben Berliner Extremisten einen Anschlag auf den Gast unserer Stadt geplant.“ ([9])

Nun mag man vielleicht diesen Überschwang im ersten Eifer des Gefechts verzeihlich finden. Doch am nächsten Tag wurde die Berichterstattung nicht besser, obwohl inzwischen präzisere Informationen zu den „Attentatsplänen“ bekannt waren. Zum einen hatte der Rechtsanwalt der Verhafteten, Horst Mahler, inzwischen erklärt, daß es sich nicht um Bomben und gefährliche Chemikalien, sondern um Rauchkerzen und Pudding gehandelt habe. Auch die Polizei ruderte insofern zurück, daß sie nicht mehr behauptete, die Festgenommen hätten Bomben hergestellt, sondern daß es mit den Materialien (unter anderem Kalimchlorat) möglich gewesen wäre, auch Sprengstoff herzustellen. Sie dementierte außerdem, daß die Chemikalien aus der chinesischen Botschaft stammten, und erklärte, diese seien ganz regulär in West-Berlin gekauft worden.

Doch die Springer-Presse ließ sich dadurch nicht beirren. Unter dem Titel „Die Verschwörer schalten auf stur“ berichtet die B.Z.:

„Ein Teil der Studentenschaft versuchte gestern, diese peinliche Angelegenheit als »hysterische Polizeiaktion« hinzustellen. Die Studenten behaupteten, die hochexplosiven Chemikalien in Plastikbeuteln hätten sich als deutsches Qualitäts-Weizenmehl herausgestellt. Und bei den Bomben habe es sich um Rauchkerzen nach Amsterdamer Vorbild gehandelt.
Dieser verniedlichenden Darstellung wurde gestern von der Polizei energisch widersprochen.“ ([7])

Auch das „seriöse“ Aushängeschild des Pressekonzerns, Die Welt, meldete sich nun zu Wort:

„Der Rechtsanwalt der Beschuldigten erklärte beschwichtigend, seine Mandanten hätten keineswegs die Absicht gehabt, das Leben oder Gesundheit des Vizepräsidenten zu gefährden; vielmehr sei es ihnen nur darum gegangen, Humphrey mit »Rauchbomben nach Amsterdamer Vorbild« zu erschrecken. […] Aber was die Studenten auch unternehmen wollten – fest steht, daß sie mit explosiven Chemikalien hantierten, um den Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten zu einer lautstarken und höchst gefährlichen Demonstration zu benutzen. […] Es ist klar, daß die festgenommenen Studenten vor Gericht gestellt und – soweit sich ihre Schuld erweist – ohne Nachsicht abgeurteilt werden müssen. Ein Ausschluß aus der Universität sollte ebenfalls selbstverständlich sein.“ ([1])

Lesen Sie nächste Woche weiter, wenn Die Zeit das Überwachungsprotokoll der Berliner Polizei leakt:

„Gustav 4 an Zentrale: Die Verschwörer haben im Supermarkt Zucker und Zimt besorgt. Erbitten weitere Anweisungen.
Zentrale an Gustav 4: Feststellen, ob auch Grieß.
Dora 3 an Zentrale: Die Verschwörer haben soeben in der Molkerei vier Liter Schlagsahne gekauft.
Zentrale an Dora 3: Schlagsahne gab es in Amsterdam nicht. Offenbar eine neue Waffe. Bleiben Sie weiter am Ball!“ ([2])

Literaturverzeichnis

[1] DIE WELT (Berlin), 07. April 1967: Co,vC., „Studenten mit Bomben“, S.2.

[2] Ebert, W., „Pudding-Mörder“, in: Die Zeit, Jg.20 (1967), Nr.15 (14. April 1967): S.7.

[3] Tagesspiegel, 06. April 1967: Eigener Bericht, „Elf Personen von der Polizei festgenommen“, S.1.

[4] Telegraf, 06. April 1967: Eigener Bericht, „Bombenattentat gegen Humphrey in Berlin vereitelt“, S.1.

[5] BERLINER MORGENPOST, 06. April 1967: Eigener Bericht, „Attentat auf Humphrey von Kripo vereitelt“, S.1.

[6] B.Z., 06. April 1967: Eigener Bericht, „Studenten planten Attentat auf Humphrey. 11 Festnahmen“, S.1.

[7] B.Z., 07. April 1967: Eigener Bericht, „Die Verschwörer schalten auf stur“, S.4.

[8] BERLINER MORGENPOST, 07. April 1967: HES, „Gefährlicher Sprengstoff“, S.3.

[9] BILD (Berlin), 06. April 1967: rb, „Berlin: Bomben- Anschlag auf US-Vizepräsidenten“, S.1.

[10] New York Times, 6. April 1967: „11 Seized in Berlin In a Reported Plot to Kill Humphrey“, S.1,5.

Written by alterbolschewik

3. Februar 2012 at 17:57