shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Archive for März 2009

Solidarität im neuen Format

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Das war schon Klasse heute. Nicht nur eine gute Demo, sondern ein weltweiter Zusammenhang, ein internationaler Großkampftag sozusagen. Hoffe mal, dass das erst der Auftakt für einen heißen Frühling war!

http://www.28maerz.de/

Written by chezweitausendeins

28. März 2009 at 18:49

Generalstreik in Frankreich

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Im Gegensatz zum trüben Deutschland zeigt sich im Mutterland der europäischen Revolutionen, dass proletarischer Widerstand gegen Sozialabbau dort noch immer lebendig ist. Ein 34jähriger Briefträger als Schlüsselfigur einer Protestbewegung, eine politische Kraft links von der Linken – wo wäre das im teutonischen Universum denkbar?

http://derstandard.at/?url=/?id=1237227617214

Written by chezweitausendeins

18. März 2009 at 22:41

Welches Milieu trägt noch etwas aus?

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Nicos Poulantzas hatte Recht, als er den für den Sieg des Faschismus das Scheitern der Linken beim Versuch der Herstellung einer kulturellen Hegemonie verantwortlich machte. Gramsci folgend, stellte er fest, dass die Linke nach dem Ersten Weltkrieg einen solchen Versuch unternommen hatte, der einerseits die Erschütterung, welche die ästhetische Moderne für die bürgerlichen Denkgewohnheiten bedeutet hatte verstärkte und andererseits die kulturelle und solidargemeinschaftliche Stärke des Arbeitermilieus gegen die Bourgeoisie in Stellung zu bringen versuchte. Und über Gramsci hinausgehend konstatierte er, dass Ursache des Faschismus ein Scheitern der proletarischen Revolution einerseits und eine kulturelle Anomie, ein kulturelles Vakuum andererseits war. Ob in Italien, Deutschland oder Spanien – Der Faschismus kam zur Macht, nachdem die Revolution von links gescheitert war, die kulturelle Hegemonie aber keineswegs zurück in die Hände der Bourgeoisie gelangte, sondern sich im Gegenteil in Kunst und Ästhetik sich eine ungebändigte, zügellose Revolution abspielte, die in der gesellschaftlichen Realität eben nicht stattfand. Anders waren futuristische Faschisten und expressionistische Nazis nicht denkbar. Sie reproduzierten eine bürgerliche Herrschaft, aber sie taten dies teilweise mit den Mitteln einer ästhetischen Avantgarde, die sie andererseits, wo sie ihnen nicht passte, auch sang- und klanglos liquidierten oder als „entartet“ brandmarkten. Nicht das Ausfransen der Gesellschaft Weimars zu den extremen Rändern hin und ein daraus folgender Machtkampf Nazis gegen Kommunisten kennzeichnet nach Poulantzas die Situation 29-33, sondern die endgültige Niederlage der kommunistischen Revolution bei Fortbestehen einer starken kommunistischen Partei und eines Kampfes um die kulturelle Hegemonie, bei dem sich die Rechte, zuerst in Form der Konservativen Revolution, der Ästhetik und Methoden der Linken ein Stück weit bediente.

Es ist nicht nur zu fragen, ob sich diese Erkenntnisse auf die heutige Situation übertragen lassen und wenn ja, wie. Es stellt sich vor allem die Frage nach der Ausstrahlungskraft sozialer Milieus. Die alte, revolutionäre Arbeiterbewegung war nach dem Zweiten Weltkrieg Vergangenheit. Dennoch revitalisierte sich im Westen eine teils kommunistische, teils sozialdemokratische Arbeiterkultur, die der Bürgergesellschaft ihre eigene Gegenökonomie entgegenstellte, wie dies schon seit dem Kaiserreich der Fall gewesen war. Konsumgenossenschaften, ViVo-Läden, Volks- und Raiffeisenbanken, Wohnungsbaugenossenschaften, die Arbeiterwohlfahrt, der Reichsbund, all das waren honorige proletarische Organisationen, welche der Arbeiterbewegung eigene wirtschaftliche Macht verschaffen sollten. die daran gebundenen klassischen Arbeitermilieus, wie sie sich am Stärksten im Kohlenpott und in den Hansestädten sowie bei Bahnarbeitern zeigten mögen spießig und in ihren Strukturen der sozialen Kontrolle auch eng und disziplinierend gewesen sein, sie bildeten trotzdem auch einen Rahmen für Solidarität und kollektive Renitenz. Mit einer solchen Arbeiterschaft war nur Keynesiasnismus möglich, gegen Massenentlassungen und Neoliberalismus hätte die sich gewehrt.

Das Ausdünnen der Industriearbeiterschaft durch Rationalisierungsschübe, die Hochlohnpolitik und soziale Sicherheit in der Metallindustrie seit den 1970ern, der Aufstieg durch Bildung, der aus Arbeiter- und Kleinbürgerkindern massenhaft Akademiker machte, all dies ließ das klassische Arbeitermilieu erodieren. Als mit dem Neue-Heimat-Skandal um 1980 herum auch noch die völlige Korrumpiertheit eines der Vorzeigeunternehmen im Gewerkschaftsumfeld sichtbar wurde, führte den als proletarisch begriffenen Kampf gegen die Wohnraumspekulanten längst eine Bewegung, die nicht mehr aus den Arbeitermilieus hervorgegangen war.

Die alternative Bewegung der 70er und 80er Jahre war teils noch aus der 68er-Linken gewachsen, teils im Zusammenhang mit dem neuen Projekt der gerade entstehenden Grünen. Ein zweites Mal, ohne Kontakt zur klassischen Arbeiterbewegung, aber zum Teil deren Handlungsweisen auf frischere, oft auch improvisierte Art aufgreifend, entstand in jenen Jahren aus Landkommunen, Ökobäckereien, Food-Koops, linken Buchläden, Szenekneipen, Kulturzentren in besetzten Häusern, Fahradläden und sonstigen kollektiv betriebenen Handwerksunternehmen und Druckereien usw. eine Gegenökonomie der Neuen Linken. Diese finanzierte viele linke Projekte und fiel zeitlich und personell zusammen mit dem Zusammenwachsen von Anti-AKW-, Häuserkampf- und Friedensbwegung zu einer Art gemeinsamem sozialen Milieu. Die Grünen auf der einen und die Autonomen auf der anderen Seite stellten seinerzeit den gemäßigten und radikalen Flügel der gleichen Bewegung dar, die sich von den orthodoxen Kommunisten scharf abgrenzte, an die aber auch der KB noch andockte.

Reste dieser Szene, dieser Lebenswelt existieren bis heute, wie ich gerade bei den letzten Demomobilisierungen gesehen habe. Der größte Teil hat sich aber längst zu einem behäbigen und in vielen Fällen unsagbar selbstgerechten Ökospießertum entwickelt. Auf was für ein Milieu soll sich aber gesellschaftlicher Widerstand gegen staatliche Drangsalierung der neuen Armen, gegen weiteren Sozialabbau und Kampf für soziale Gerechtigkeit und Freiheit und Selbstbestimmung der ökonomisch Schwachen stützen? Wenn ich Karlo Roth folge (und ich habe guten Grund, dies zu tun), setzt sich die Unterklasse permanent neu zusammen, aus sozialen Milieus, die mit dem Begriff „proletarisch“ schwer zu fassen sind – vom outgesourcten 1-Mann-Job-Programmierer bis zur Aldi-Kassiererin, von Migranten-Milieus bis zur „Generation Praktikum“. Wie eine Perspektive all dieser Leute entwickeln (noch dazu durch diese Leute, also sie für sich selbst), wie das alles zu einer Bewegung zusammen bringen? Denn genau das tut Not.

Welcome to the seventies!

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Ich bin ja schon lange nicht mehr in der Mensa gewesen, und so wunderte ich mich, mit was für einem Outfit mir da ein paar Studenten entgegenkamen: Lange Haarmähnen, Fusselbärte, Jeans, Parka oder Cordanzug. So sahen die typischen Studenten aus, als ich noch Kind war. Ist das ein neuer Trend?

Written by chezweitausendeins

2. März 2009 at 16:50

Die subjektive Wissenschaft

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Objektive Wissenschaft gibt es nicht. Schon das physikalische Theorem von Schrödingers Katze, das quantenphysikalische Erkenntnisse vom Standpunkt des Betrachters abhängig macht zeigt dies eindrucksvoll. Umso mehr gilt dies für Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften, wo außer der subjektiven Wahrnehmung als Solcher noch der weltanschauliche Standpunkt eine Rolle spielt. Als Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftskritiker habe ich mich oftmals damit auseinandergesetzt, z.B. bezüglich sozialdarwinistischer Annahmen in der Biologie, Humangenetik, Medizingeschichte, Geschichtsforschung, Ethnologie und Anthropologie. Kürzlich aber stieß ich auf zwei bis heute höchst wirkungsmächtige Irrtümer. Einmal in der Ur-und Frühgeschichte, einmal in der Ethologie bzw. Tierverhaltensforschung. Ziemlich beeindruckend, wie hier Betrachterperspektive und Empirie auseinanderklaffen.

1) Ur- und Frühgeschichte: Bis heute taucht in Museumskatalogen, Geschichtsbüchern usw. regelmäßig die Behauptung auf, spezifisch für die Germanen wären große Langhäuser (Hallenhäuser) gewesen, die als Pfostenhäuser mit einem gemeinsamen Dach über Stallungen, Lagerräumen und Wohnbereich erbaut wurden. Die Außenwände (der Begriff „Wand“ kommt von „winden“) hätten aus miteinander verwundenen Weidenruten bestanden, die dann mit Lehm beworfen wurden. Im Gegensatz dazu hätten Kelten in überdachten Wohngruben (bzw. genauer gesagt Häusern mit über einem Keller errichteten Spitzdach und extrem niedrigen Wänden unter dem Dach), runden oder quadratischen Hütten aus Bruchsteinen mit Strohdach und Slawen in Blockhütten oder den keltischen ähnlichen, aber einfacheren Grubenhäusern mit nur 4-6 Pfosten gewohnt.

Nun, alle diese Hausformen existierten tatsächlich. Aber das Langhaus verbreitete sich seit der Jungsteinzeit in Europa und war schon von den Angehörigen der vorindogermanischen Donaukultur gebaut worden. Kelten wie Germanen wie Slawen errichteten weiterhin solche Häuser, aber eben nicht nur. Eine spezifisch keltische Hausform gab es gar nicht. Hallenhäuser, nun aber aus Balkenfachwerk errichtet, sollten in nachantiker Zeit zum Standardtyp des niederdeutschen Bauernhauses werden.

Die deutsche Ur-und Frühgeschichte, Siedlungsgeschichte und Ostforschung behauptete aber seit Kaisers Zeiten und besonders im NS das Langhaus als typisch germanische Hausform, um in Osteuropa nachzuweisen, dass in bestimmten Regionen Germanen gelebt hätten, um daraus Gebietsansprüche abzuleiten. Hausformen, Keramikformen oder Gürtelschnallen wurden als „artgemäß“ einer als biologische Abstammungsgemeinschaft, als „Volkskörper“ begriffenen germanischen Prä-Nation begriffen, nicht als Anpassungsform an eine Landschaft oder Wirtschaftsweise. Diese völkische Denke existiert heute nicht mehr, immer noch aber die aus ihr gezogenen falschen Schlussfolgerungen.

2) Verhaltensforschung: Es gibt keine Alpha-, Beta, und Omegawölfe. Das Wolfsrudel ist weitgehend hierachiefrei. Die angebliche Rangordnung der Wolfsrudel kam dadurch zustande, dass in Freigehegen miteinander nichtverwandte Wölfe in nach Wolfsmaßstäben drangvoller Enge zusammengebracht wurden. Dadurch entwickelten sich Konkurrenz- und Dominanzverhaltensweisen, die es in freier Wildbahn nicht gibt, die von den Verhaltensforschern aber allen Wölfen angehängt wurden. Es ist so, als ob man aus den beobachteten Verhaltensmustern von Gefängnisinsassen Rückschlüsse auf Menschen an sich ableiten würde.

Zwei äußerst beeindruckende Irrtümer, finde ich.

Written by chezweitausendeins

1. März 2009 at 23:51