shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Archive for November 2008

Cluster: Von der Zurichtung des Menschen zum Funktionieren in der postfordistischen Gesellschaft und der Perspektive des Widerstands

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Ich gestehe, ich werde rückfällig. Ich gebe nicht, wie geplant, meine endgültige Rezension des Buchs von Detlef Hartmann und Gerald Geppert erst nach vollständiger Lektüre zum Besten, sondern mache da weiter, wo ich jetzt bin. Auch wenn jene Textpassage, die Momorulez so aufbrachte, anderes anzudeuten scheint, aber die Autoren sind keineswegs die Seher auf dem Elfenbeinturm, sondern durchaus Empiriker. Empiriker im Sinne der militanten Untersuchung.

http://www.labournet.de/diskussion/geschichte/birke.html

In diesem Fall bestand diese im Bezug auf die teilnehmende Beobachtung am Streik bei Gate Gourmet. Auch die Frage, was in der sehr viele Schlagworte unerklärt und in höchst dramatisierender Sprache vortragenden Einleitung mit sich selbst neu erfinden bzw. einem gesellschaftlichen Zwang dazu gemeint ist, wird noch viel klarer, sowohl bei neuen Eliten, die sich selbst neu erfinden und viel unhierarchischer und sympathischer wirken, in ihrem tatsächlichen Wirken aber nicht besser sind als die alten Mächtigen, als auch im Anpassungszwang bei den Unterworfenen, die in McKinsey-geschulten Programmen zur Verinnerlichung marktwirtschaftlichen Denkens, schlanker, von eigenverantwortlicher Arbeitsweise geprägter Betriebsstrukturen und Effizienzdenken bis in ihre Gefühlsökonomie hinein angehalten werden. Selbst das Burn-Out-Syndrom wird in therapeuthischen Modellen zur Arbeitseffiziensteigerung sozusagen nach vorne kuriert, um nur ja keine Ursachen außerhalb der Verarbeitungsweise der eigenen Persönlichkeit erkennbar werden zu lassen. Der Mobbing-Gegner hatte mit solchen Strukturen seine speziellen Erfahrungen gemacht.

http://che2001.blogger.de/stories/349727/

http://che2001.blogger.de/stories/716362/

Schließlich wird dennoch eine Perspektive auf Widerstand durch Behauptung des Eigen-Sinns erkennbar. Ich möchte jetzt eng an Textauszügen arbeiten, vielleicht wird damit auch verständlich, was bislang beim lesenden und kommentierenden Publikum eher für Ratlosigkeit gesorgt hat.

„Nicht eiserner Rationalisierungszugriff charakterisiert exemplarisch die Mitarbeiter der neuen Spitzenunternehmen im Silicon Valley, sondern der sogenannte Googleness-Faktor: spitzenabschluss einer Spitzenuniversität ja, Führungserfahrung ja, aber keine Grabenkämpfe, kein Machtgehabe. Die Google-Gründer möchten das Universitätsflair erhalten, das sie als Stanford-Zöglinge genossen haben: Die Unbeschwertheit, den Mut, Unerlaubtes zu denken, kindlich neugierig und schlecht angezogen zu sein. Die Spiegel-Berichterstatterin Michaela Schiessel jubelt in ihrem Artikel: „Vielleicht ist das ja das wahre Erfolgsgeheimnis der Firma Google: Alphamännchen müssen draußen bleichen.“

Verfrühter Jubel. In der Transformation der innovativen Technologien und ihres Unterwerfungsmanagements haben sich periodisch immer neue Gestalten des Alphamännches hervorgebracht. Der Google-Typus ist nicht der alte servant of power der tayloristischen Stab-Linienhierarchien – Leittypus auch einer neuen Bürgerlichkeit. Google, Yahoo und ihre Konkurrenten stellen derzeit die Upstarts der neuen „social networks“ wie Flickr, Facebook, MYSpace, You Tube in ihren Dienst, deren kreative Innovateure diesem neuen Sozialtypus neue Gestalten und Gesichter geben. Ihr Charkater ist keine Maske. Sie sind die kreativen Unternehmer neuer Initiativen kapitalistischer Bemächtigung im Sinne Schumpeters. Wie sehr es neben Reich- und Herrentum auch der Drang zur Selbstverwirklichung ist, der sie treibt, enthüllt auch ein Bericht über die Eliten von Silicon Valley von Gary Rivlin, den die New York Times kürzlich im Rahmen ihrer Serie über das „Age of Riches, die Junior Mogule“ abdruckte. Nach dem Erfolg machen junge Unternehmer immer weiter, sagt er und zitiert einen am unteren rand der Milliardengrenze angekommenen Jungunternehmer: „Ich wüsste nicht, was ich machen sollte, wenn ich nicht Unternehmen gründen würde. Vielleicht würde ich daran denken, mir die Pulsadern aufzuschneiden.“ Dieser Typus bildet den hegemonialen Kern der „ganz kreativen Klasse“, die Holm Friebe und Sascha Lobo als führendes Element der prekarisierten Intelligenz ausmachen“

– Ob prekarisiert oder tatsächlich mächtig, ob idealtypisches Muster neben anderen, teils ähnlichen, teils alternierenden Möglichkeiten, die Betrachtung typisiert eine Art von Unternehmertum einschließlich einer sich in ihrem ideologischen Schlepptau befindlichen Boheme, die für das digital-neoliberal-deregulierte Zeitalter so archetypisch erscheint wie liberale Bourgeoisie und klassische Boheme sowie keynesianische, teils industrielle, teils bürokratische Elite und in gesellschaftlichen Nischen sich einrichtende Alternativszene für das bürgerliche Zeitalter und die Nachkriegsgesellschaft des wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus. Diese tatsächlichen und vermeintlichen Eliten korrespondieren und wechselwirken mit einem veränderten Proletariat. Längst befasst sich eine Flut von Coaching-Literatur damit, wie Arbeitnehmer dazu gebracht werden können, sich zu „optimieren“ und, selbst angesichts persönlicher Lebenskrisen im Zusammenhang mit Überlastung das für den Job optimale Maximum aus sich herauszuholen, ja, Burnoutsyndrome als Herausforderungen zu betrachten. Das betrifft nicht etwa nur, wie in den Diskussionen zum Burnout in den Achtzigern Manager und Führungskräfte, sondern abhängig Beschäftigte bis zum HartzIV-Empfänger. „Die Komponente der geistigen Erschöpfung bezieht sich vor allem auf eine negative Einstellung im Hinblick auf das Selbst, die Arbeit und das Leben im Allgemeinen. Darunter fällt auch die Tendenz zur Dehumanisierung. Das Bild des idealen Arbeitnehmers mutierte vom angepassten Befehlsausführer hin zum unternehmerisch Mitdenkenden, Verantwortung übernehmenden Quasi-Unternehmer. … Orientiert an diesem Bericht aus der kapitalistischen Propagandaproduktion… bleibt es ein „Defekt“ der Seele unter den nur oberflächlich kritisierten Diktaten postmoderner Selbstoptimierungszwänge. Der Angriffscharakter wird ausgeblendet, der Antagonismus (der Klassenverhältnisse, Anm. d,. Verf) gerät nicht in den Blick und damit auch nicht der unergründliche Rückraum für die Herausbildung neuer Formen des widerständischen Selbst. Meditation, Qigong und Yoga, richtiges Atmen etc. gehören mit zur Rezeptur. Der Bezugsrahmen der wissensökonomischen Offensive leuchtet auch darin auf, dass der „Vertrag mit sich selbst analog einer persönlichen Zielvereinbarung nach dem Management-by-Objectives-Modell“ wie im Produktionsbereich und im HartzIV-Fallmanagement zu den Techniken therapeuthischer Selbsteinspeisungspraktiken gezählt werden. Neben und auch angeregt durch Microsoft haben eine reihe weiterer Unternehmen Work-Life-Balance-Coaching in ihre Personalmanagementprogramme aufgenommen…. Der innerbetriebliche Drucl, sich den Coachingprogrammen zu unterwerfen, erschließt dem Wissensmanagement neue Felder – Ressourcen und Labore in einem. hierin berühren und verweben sie sich mit den Strategien der Arbeitsressourcenerschließung im HartzIV-Fallmanagement. In dieser Zuspitzung inmitten der Krankheitssymptomatik der Selbstunterwerfungskrisewird gleichwohl deutlich, was die Geschichte der Klassenauseinandersetzungen – auch im Spiegel ihrer Arbeitspsychologie und Philosophie – imer wieder und nunmehr auf neuem historischen Niveau zeigt: Das Selbst ist nicht operationalisierbar, es sperrt sich in immer neuen Ausdrucksformen gegen die Strategien inwertsetzender Gewalt und Zugriffe.“

Dies wäre wahrscheinlich ein Satz für Momorulez und sozusagen Gegenpart zu der Kontextualisierung, mit der Hartmann weiter oben denBegriff des Sich neu Erfindens gebraucht hatte. Insofern bin ich auch nicht der Meinung, dass hier ein Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Am Beispiel des Streiks bei Gate Gourmet umreisst Hartmann dann,wie sich einerseits die McKinsey-induzierten Anpassungs- und Selbsterziehungzwänge anfühlen und wie gerade diese Zwänge zur Reibungsfläche wurden, an der der Widerstand etflammte: „Ob man das glaubt oder nicht: wir haben uns während des Streiks öfter darüber unterhalten: Ich kriege diesen Virus nicht raus. Wenn ich in meiner Küche einen Kaffee koche, dann überlege ich mir schon, welche Wege kann ich sparen, oder welche Sachen kann ich gleich mitnehmen, damit ich nicht dreimal laufe. Das Unterbewusstsein ist soweit festgenagelt, dass du dir jeden einzelnen weg überlegst: Was kannst du damit verbinden, wie kannst du noch optimaler deinen tag durchziehen und das im privaten Bereich – soweit sind wir!….Mit demStreik haben die Arbeiterinnen die Reißleine gezogen. Es ging auch , aber nicht allein um die Löhne. MENSCHENWÜRDE war ein Wort, das fast auf allen Transparenten stand. Im Laufe der Zeit wurden Beziehungen zu den Arbeiter/innen, die gegen Gate Gourmet auf dem Londoner Flughafen Heathrow streikten geknüpft, gegenseitige Besuche organisiert. es wurden Zugänge zu anderen Bereichen gesucht, in denen McKinsey ähnliche rationalisierungsstrategien verfolgt, wie zum Beispiel in Krankenhäusern. Es war der Streik selbst, in dem die Arbeter/innen ihre Menschenwürde zurückeroberten, ihre sozialen Zusammenhänge, ihr individuelles und kollektives Selbst wiederherstellten….Für kurze Zeit gewann das Gestalt, was Walter Benjamin in dem Satz ausdrückte: das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst. Es wurde deutlich, dass es keine Wissenschaftlichkeit, kein Gegenstandswissen zu diesen Prozessen geben kann, sondern das die einzige Wissenschaftlichkeit das im Kampf entwickelteGegenwissen ist, das erst die Bedeutung der neuen sozialtechnischen Strategien als Strategien des sozialen Kriegs offenlegt. Es verweist die Wissenschaftlichkeit der Beratungsunternehmen, der Arbeitswissenschaften und -soziologie in den Bereich der Kriegswissenschaften. Es gibt keine idealtypik, keine Paradigmen, diese stellen nur die wechselnde Leitbegrifflichkeit an den beweglichen Fronten der auseinandersetzungen dar. WISSEN ist das asus den Auseinandersetzungen hiermit gewonnene GEGENWISSEN. Es ist das Wissen nicht des Getriebes, sondern des Sands.“

Und aufgrund dieser Schlussfolgerng bin ich er Auffassung, dass Sennett allerdings Hartmann und Geppert nicht ersetzen kann.

Besuch der Tochter des Rabbiners

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Meine Mutter war in der Schulzeit mit der Tochter eines Rabbi befreundet gewesen. Sie hatte sie öfter in der Synagoge besucht, was damals nun nicht gerade als botmäßiges Verhalten angesehen wurde. Als Tochter eines Mannes, der 2 Jahre wegen „reichsfeindlicher Kontakte zu Juden“ im Knast gesessen hatte war sie allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung wahrscheinlich ohnehin jenseits von Gut und Böse. Kurz vor der Reichspogromnacht bekam der Rabbi von der Polizei einen Tipp, er sollte doch mal eine Auslandsreise antreten und es besser so einrichten, dass er nicht zurückkäme. So verschwand die Familie im Oktober 1938. Jetzt, 70 Jahre später, war sie zu Besuch. Es war wunderschön zu sehen, wie die alten Leute da zusammernsaßen, in Fotoalben aus den 30er Jahren und alten Schulzeugnissen kramten und sich gegenseiti ihre Lebensgeschichten erzählten. Einmalig!

Neue Minen

Es gibt auf SR verminte Areale. Butler ist eins, Erkenntnistheorie war ein zweites. Jetzt haben wir ein drittes: „Sich selbst neu erfinden“.

Die durch keine Besinnung mehr gebremsten Invektive gegen Che, die ihn aussehen lassen wie einen reaktionären Arsch, der auf der anderen Seite der Barrikade steht, sind intolerabel. Das muß aufhören. Auf der Stelle.

Momorulez kritische Zuckungen an den von Che begeistert zitierten Stellen sind auch meine. Die mehrfach von M. ablehnend zitierten Geppert-Passagen halte ich ebenfalls für problematisch, gelinde gesagt. Wie ein kritischer Geist wie Che den Geppert mit der „Dialektik der Aufklärung“ zu vergleichen vermag, aber bitte sehr, mein Herr; das kann doch wohl nicht wahr sein, denn zwischen Planeten, Staubkörnern und Galaxien möchte wir doch noch unterscheiden können.

Kommen wir nun zu „Sich selbst neu erfinden“. Das ist ein Topos, und als solcher ist er zu würdigen. Netbitch feiert, im Anschluß an Momorulez Lehre der Neuerfindung, den Topos als die schlechthinnige Essenz des Linksseins ab, was mir abermals einpaukt, warum ich kein Linker bin. Man ist ja geneigt, das für Koketterie meinerseits zu halten, sollte da aber nicht sich täuschen.

G-W-G‘ ist die Formel des Kapitals, worin es sich stets neu erfindet in der Produktion des akkumulierbaren relativen Mehrwerts, included der Treiber der materialen Innovation der auf Technik und Wissenschaft beruhenden Produktivkräfte, welche die Kapitalformel ihrerseits treiben. Es sollte darum dem Gedanken Raum gegeben werden, ob nicht die Sprache des sich selbst neu Erfindens nur ein blinder Reflex jener Formel selber ist.

Empirisch spricht dafür der von Che notierte Umstand der Verwendung des Selbsterfindungstopos durch institutionelle Stützkorsette des Bestehenden.

Wenn nun, wie gezeigt, logisch wie empirisch der Topos des sich selbst neu Erfindens aufgeht im Affirmativen, dann kann „Sich selbst neu erfinden“ nicht länger Gegenstand ernsthafter Erwägung einer Website sein, die sich „Shifting Reality“ nennt, es sei denn, die Shifts wiesen in den Abgrund, vorsätzlich.

Written by Nörgler

24. November 2008 at 4:49

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Wie man das auch beschreiben kann, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten …

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Written by momorulez

23. November 2008 at 13:31

Mal ’ne Lebensbeichte: Gibt ja so Sätze …

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… die so wichtig für mich sind, daß sie mein ganzes Leben prägen. Und paradoxerweise dann in der Kritik von Identitäts-Modellen sowas wie eine Identität generieren. Das ist hier sind solche für mich:

„Zur Zeit braucht die Schwulenbewegung eine Kunst des Lebens viel dringender als eine Wissenschaft oder ein wissenschaftliches Wissen (oder pseudo-wissenschaftliches Wissen) von Sexualität. Sexualität ist Teil unseres Verhaltens. Sie ist Teil unserer Freiheit. Sexualität ist etwas, was wir selbst schaffen – sie ist unsere eigene Kreation und viel mehr als das Aufdecken einer geheimen Seite unseres Begehrens. Wir müssen verstehen, daß in und durch unsere Begehren hindurch neue Formen von Beziehungen verlaufen, neue Formen der Gestaltung. Sex ist kein Schicksal; es ist eine Möglichkeit das Leben zu gestalten.

Darauf läuft es hinaus, wenn Du davon sprichst, daß wir versuchen sollten, schwul zu werden – und uns nicht nur als schwul zu bestätigen.

Ja, genau. Wir müssen nicht entdecken, daß wir Homosexuelle sind.

Oder was die Bedeutung davon ist?

Genau. Eher müssen wir ein schwules Leben entwerfen. Werden. […]

Wenn man sich anschaut, wie verschiedene Leute ihre sexuellen Freiheiten gelebt haben – wie sie ihre Kunstwerke geschaffen haben – müsste man sagen, daß Sexualität, so wie wir sie kennen, zu einer der kreativsten Quellen unserer Gesellschaft und unseres Seins geworden ist. Meiner Meinung nach sollte man es umgekehrt sehen: Im allgemeinen wird Sexualität als das Geheimnis des schöpferischen kulturellen Lebens angesehen; sie ist aber viel eher ein Prozeß, in dem wir ein neues kulturelles Leben entwerfen, das tiefer geht als sexuelle Wahlmöglichkeiten zu haben.

(…) wenn Identität zur Frage sexueller Existenz wird, und wenn Leute glauben, daß sie ihre „eigene Identität aufdecken“ müssen und daß diese zum Gesetz werden muß, zum Prinzip, zum Code ihrer Existenz; wenn sie beständig die Frage stellen „Entspricht das meiner Identität?“, dann kehren sie zurück zu einer Ethik, die der der alten heterosexuellen Männlichkeit sehr nahe ist. Wenn wir zur Frage der Identität Stellung nehmen müssen, dann sollte es um eine Identität zu unserem eigenen Selbst gehen. Aber die Beziehungen zu uns selbst, sind keine identitären; viel eher sind sie Beziehungen von Differenzierung, Kreierung und Erfindung. Stets dasselbe zu sein ist wirklich langweilig.“

Michel Foucault

Diese späten Interviews mit Foucault haben einst tatsächlich mein Leben verändert, meine Haltung, meine Praxis, mein Denken. Sehr weit über das Thema „Sexualität“ bzw. „schwul“ hinaus: Das betrifft auch den Umgang mit allen „Wurzeln“, seien es „kulturelle“ oder „familiäre“, seien es Szene- und Schicht-Zugehörigkeiten oder Berufs-„Identitäten“. Für mich war das der Abschied, ja, die Befreiung vom Freudomarxismus, von der vulgärpsychoanalytischen Hermeneutik des vorgängigen Selbst, von allen Entfremdungsmodellen, die Formen der „Eigentlichkeit“ (Heidegger) in sich selbst aufspüren wollen, um handeln und sein zu können.

„Ästhetik der Existenz“ wurde dann ja Schlagwort mit fataler Wirkungsgeschichte, nichtsdestotrotz: Meiner Ansicht nach kann man Foucaults Kritik der Macht nicht lesen, ohne sich zu fragen, was ihn zu diesem dubiosen, aber großartigen Spätwerk trieb.

Wer diesen und ähnlichen in den späten Interviews geäußerten Gedanken Foucaults nicht folgen will, kann ja gerne „authentisch“ bleiben … klar ist: Eine Kritik der politischen Ökonomie konnten sie nie ersetzen, und auch nicht eine Kritik der „entfremdeten Arbeit“. Aber wollten sie auch nie. Auch wenn Herr Welsch das gerne so gehabt hätte …


Written by momorulez

22. November 2008 at 11:05

Sperma ist ekelhaft!

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Na, da kann man ja mal wieder verfolgen, wie heutzutage Bevölkerungsbestandteile sortiert werden: Plötzlich ist die Konfession wieder Trumpf.  Keine Angabe dazu, um was für Schulformen es sich handelt, oder zur Schichtzugehörigkeit, zu politischen Präferenzen, Lieblingspopstar, Berufsgruppen der Eltern oder sonst irgendeinem relevanten Merkmal – nö, die Welt besteht jetzt aus der Kreuztabelle: Mann/Frau und evangelisch/katholisch/muslimisch/atheistisch.

„Mittel zum Erkenntnisgewinn war eine Meinungsumfrage unter 968 Schülern des Schulzentrums und der benachbarten Gesamtschule Ost. Dabei zeigte sich, dass 40 Prozent der muslimischen, 23 Prozent der katholischen und zwölf Prozent der evangelischen Jugendlichen Homosexualität immer noch für eine Krankheit halten. Bei den Nichtgläubigen waren es knapp elf Prozent.

Zumindest unmoralisch ist Homosexualität für 62 Prozent der befragten Muslime, 39 Prozent der Katholiken, 26 Prozent der Protestanten und immerhin 20 Prozent der Nichtgläubigen.

Noch höher stieg der Wert bei der Frage, ob Homo-Küsse in der Öffentlichkeit „ekelhaft“ seien. „Ja“, fanden 85 Prozent der Muslime und immer noch 46 Prozent der Nichtgläubigen. (…) Auffällig ist, dass Jungen und Migranten etwa doppelt so homofeindlich sind wie Mädchen beziehungsweise „Ur-Deutsche“.

Was sich dann aus dem „Migrationshintergrund“ offenkundig kausal ergibt, und wieso der bei Mädchen nicht die gleiche Rolle spielt wie bei Jungs, das erfährt keine weitere Kommentierung – dafür werden zum Schluß wieder die „schwulen Pinguine“ gezückt.

Dabei gibt’s bestimmt auch schwule Vogelspinnen. Und sich achtbeinig umarmen, wie sich das wohl anfühlt? Na, auf jeden Fall pelzig.  Und intensiv. Aber die könnte man ja eklig finden. Pinguine kommen da irgendwie „schwuler“ rüber … schon wie die trippeln, hähähä. Ach, Damon, rette mich!

Written by momorulez

20. November 2008 at 20:46

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Für das sich episodisch neu erfinden!

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Wo ich mit schon andernorts mit Mitbloggern heftig über das unten stehende Zitat streite, sei es doch noch mal hoch geholt, vielleicht steckt da ja mehr drin, als es mir auffällt:

“Erfolgte die Stabilisierung des Selbst im sozialdemokratischen Zeitalter vielfach durch konsumtive Attribute, die aufgrund der Ausbeutung einer zerstreuten Millionenzahl von Weltmarktarbeiterinnen erschwinglich war, so mindern nun andere, noch billigere Räusche die Scham des Herabgesetztseins und das Gefühl der Entwertung. Unterhaltung, Konsum, Porno und Halbwissen werden zu einem Elixier vermengt, wie es uns täglich aus dem Fernsehen und aus den Portalen entgegenschwallt. Kommunikation erfolgt im Takt der Billigtarife, nach bestimmten, vonNetz und Telefonie gepräögten Abläufen. Der Einzelne erfindet sich episodisch neu, sehr wohl in der Ahnung, dass die Bausteine seines Selbst außerhalb vorfabriziert werden. Eine Welt genormter Individualisten und medial geformter Lebensstile ersetzt die postnazistische Forderung nach Konformität. Heute weicht jeder genüsslich von der Norm ab. Das Biedere, Langweilige, Komplizierte wird argwöhnisch beäöugt. Gleichwohl sind dem spaßigen treiben staatlich enge Grenzen gesetzt, wie jüngst die Rostock-people knüppeldich zu spüren bekamen. Bei ernsthaft renitenter Individualität besteht Terrorismusgefahr! Aus all diesen Facetten wird ein unternehmerisches Selbst formiert, mit allen individuellen Freiheiten ausgestattet, und nur der einzigen Drohung ausgesetzt, im kreativen Rattenrennen nicht schlapp machen zu dürfen. That´s the mystery!”

Ich frage mich ja bei solchen Expertisen über das post-post-moderne Leben immer, aus welcher Perspektive sie formuliert sind.

Woher wissen die das? Wieso können sie dem totalen Verblendungszusammenhang entrinnen – oder ist der Text selbst Ausdruck von „Unterhaltung, Konsum, Porno und Halbwissen“ ? Worin unterscheidet sich denn diese „“noch billigere“ Form von der davor? Daß es früher ein schärferes Pornographiegesetz gab? Und man sich beim Amusement so schön schämte?

Wie kommt es denn, daß in den 80ern allerlei Leute, z.B. Lydia Lunch und der Herr Thirwell, in der Pornographie progressives Potenzial witterten, und wann haben Alice Schwarzer und Andrea Dworkin trotzdem recht? Wäre ja interessant, darüber was zu erfahren, aber ganz wie Evangikale in den USA stellen sie dann „Porno“ in’s Zimmer und gucken’s böse an. In New York führte solche Denke dazu, daß es sehr schwierig ist, eine Lizenz für’s Tanzlokal zu erhalten, weil schon Arschwackeln irgendwie anrüchig sein könnte und vielleicht sogar Spaß macht … na ja, Grönemeyer kann ja auch nicht tanzen. Und die Autoren haben dem Rest der Menscheit Ganz-Wissen voraus, offenkundig, und flüchten vor jeder Unterhaltung. So kommt dann ein Monolog bei raus.

Gegen so eine latent debile Reihung von Assoziationen –  „Kommunikation erfolgt im Takt der Billigtarife, nach bestimmten, vonNetz und Telefonie geprägten Abläufen“, das ist doch selbst nur „Ich gucke Werbung und halte das dann für die Welt“ – verfügt selbst „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ über mehr Potenzial zur Diagnostik, weil man da wirklich sehen kann, wie man Kids in einem annähernd surrealen Raum zu trimmen versucht, nur zu was ganz anderem, als hier suggeriert wird: Das ist die ganz klassische Konformität ohne alle dialektischen Schlenker. Natürlich gibt es nur Wahl zwischen Coca und Pepsi Cola, aber das ist ja das Schlimmste an diesen Versatzstücken: Das haben Horkheimer, Adorno und Marcuse alles schon und alles schon besser formuliert.

Wo nimmt denn der Großteil der Bevölkerung an einem „kreativen Rattenrennen“ teil? Lange nicht mehr auf’m Dorf, auf’m Flughafen, auf’m Bahnhof gewesen …. und selbst beim DSDS-Casting auf Malloca stehen ja keine 80 Millionen Schlange.

Wieso sind die „Rostock-People“ wahrhaft individuell – was haben die Fragen nach legitimer, politischer Aktion mit jenen der „Individualität“ zu tun?

Das würde man ja gerne erfahren, das sind wichtige, brandaktuelle Fragen, aber: Sie sagen’s nicht und klagen an wie die Haßpriester auf Trinidad, die „Homosexualität“ niederpredigen wollen – und sich wahrscheinlich kurz danach mal wieder ordentlich durchficken lassen. Wurde mir zumindest bereichtet, daß das da gelegentlich so läuft.

„Der Einzelne erfindet sich episodisch neu“ – ja, zum Glück, schön wär’s, wenn’s denn so wäre … die Möglichkeit dazu nennt man Freiheit. Und genau die ist’s doch, die aktuell fehlt.

Tausch und Markt als Mensch als solcher

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Interessanterweise ging der von Stefanolix als realistisch gelobte Salt nicht auf diesen Einwand von earendil ein: „Erstens ist nicht jeder Tausch gleich Markt, und zweitens war der Markt in vorkapitalistischen Gesellschaften nicht die zentrale Instanz, die sie im Kapitalismus ist.“

Die Argumentation der Jünger der Frohen Marktbotschaft geht ja so:

Tausch und damit Markt – Markt ist schließlich Tausch – gab es schon immer. Dadurch ist bewiesen, dass der Tausch der conditio humana konstitutiv ist. Tausch und Markt sind offensichtlich anthropologische Grundkonstanten des Menschlichen an sich, und daher von überhistorischer Geltung. Es ist daher unsinnig und gegen das Menschliche selbst gerichtet, wenn am Markt Fundamentalkritik geübt wird. Die Verteidiger des Marktes dagegen sind die wahren Verteidiger des Menschlichen, gegen die Linken, die die Natur des Menschen leugnen. Der Kapitalismus als die höchstentwickelte Form von Tausch und Markt ist der Höhe- und Endpunkt der Geschichte. Das Telos aller vorherigen Geschichte ist der Kapitalismus. Eine Überwindung des Kapitalismus wäre daher nicht Fortschritt, sondern Rückfall hinter das durch den Kapitalismus Erreichte.

 O.K., so schön wie der Nörgler hätten sie es selber nie formulieren können, aber man hilft ja gern. Doch auch in sprachlich optimaler Aufbereitung bleibt es falsch.

Getauscht wurde keineswegs schon immer. Der Tausch hat nämlich zwei Voraussetzungen: a) Ich habe etwas, was andere nicht haben. b) Ich habe mehr davon, als ich selber brauche.

Das heißt, der Tausch setzt a) Arbeitsteilung und b) Mehrprodukt voraus. Beides entsteht aber erst, je nach Weltgegend, vor 15.000 bis 4.000 Jahren durch die Seßhaftwerdung, während die ältesten Jagdspeere 400.000 Jahre alt sind. Wenn aber keine drei (!) Prozent der bisherigen Menschheitsentwicklung auf die Tauschphase entfallen, dann sieht das nicht nach einer anthropologischen Grundkonstante aus.

Im Unterschied zur Familie Feuerstein, die bereits im Pleistozän alles hat, was wir heute haben, ist der Markt ein spätes Phänomen der Entwicklung.

Es kommt hinzu: Tausch ist noch lange nicht Markt. Getauscht wurde zuerst an den Rändern der Gemeinwesen/Gentes/Sippen/Stämme, und zwar zufällig und unsystematisch. „Markt“ hingegen ist begrifflich wie historisch eine systemisch geregelte und gefestigte Organisation von Angebot und Nachfrage. Das setzt nicht Seßhaftigkeit allein, sondern die Seßhaftigkeit in Form von Städten voraus. Historisch gilt: Keine Märkte ohne Städte. Damit landen wir von den oben genannten 3 Prozent bei unter 1 Prozent. Überhistorische Konstanten sehen anders aus.

Die historisch kontrafaktische Essentialisierung des Marktes folgt dem alten Modell von Apologie und Affirmation. Herrschaft, die überhistorische Konstante schlechthin, wußte stets aus der Transzendenz sich zu begründen: Götter, Gottkönige, Gott waren die ersten Chiffren der Übermacht, mit denen die Herrschenden den Beherrschten deren Ohnmacht erklärten. Seit das Fortschrittsmoment der Aufklärung das nicht länger zuließ, müssen andere Transzendentalien herhalten: Die Natur habe im Ameisenstaat Vorbildhaftes geschaffen für den Menschenstaat, wo sie nicht als genetische Determination gleich die Dummen von den Klugen scheidet, und dass die Dummen nicht herrschen können, sagt doch schon Platon. Kein Wunder, dass Ende der 60er einige Jugendliche diesen Käse nicht mehr hören konnten und die Antwort per Farbbeutel gaben.

 Nachdem auch jener Schwindel zerging, bleibt tatsächlich nur noch die fundamentalontologische Lehre vom marktlichen Sein. Menschen verfügen in ihrer anthropologischen Grundausstattung offenbar über ein Tausch-Gen. Sperrt man zwei Menschen in einen Raum, fangen sie sofort an zu tauschen wie die Blöden. Der Tausch entspricht der Natur des Menschen, so die These, die gesellschaftliches Menschenwerk abermals aus Naturtranszendenz und Geschichtsmetaphysik gleichermaßen ableiten möchte. Der über das erkenntniskritische Ontologie-Problem noch hinausweisenden Frage, wieso ein der Menschennatur selbst entquellendes Prinzip Mensch und Natur gleichermaßen ruiniert, begegnen die liberalen Zwangskonformisten, die besinnungslos bejahen, was ohnehin der Fall ist, mit fröhlicher Verdrängung.

Bekanntlich kehrt das Verdrängte zurück. Wenn in einer förmlichen Maximalismen-Explosion Mensch, Natur und Geschichte simultan zur Absicherung herangezogen werden müssen, dann scheint der totale Sieg des totalen Markts dessen Freunden brüchiger als jedem Salonmarxologen. Zweifel, ob am Ende die Rechnung aufgeht, werden übertäubt durch die metaphysische Versicherungspolice.

Dagegen hilft nur, wodurch Denken schon einmal half:

Aufklärung gegen die unwahre Transzendenz.

Written by Nörgler

20. November 2008 at 18:44

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Sie können’s nicht lassen – ganz, als sei die Zeit reif für Maggie Thatcher

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Written by momorulez

20. November 2008 at 10:12

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Selbstbild, Stigmata und Selbst-Vermarktung

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„Einfach einmal selbstkritisch hinterfragen, weshalb man denn eigentlich gegen den “bösen Kapitalismus” ist. Anschliessend dann die infantile Furcht vor der “Selbstvermarktung” in sich bekämpfen und nach erfolgreicher Selbsttherapie dann etwas vernünftiges lernen, sich ein nettes Frauchen anlachen und in einem gut bezahlten Job Karriere machen und endlich Frieden mit der Aussenwelt schliessen, die gar nicht so böse ist, wie zuvor geglaubt.“

Wahrscheinlich fehlt mir einfach nur die Lust auf’s Frauchen – wieso nur habe ich immer, wenn ich auf den Seiten der Reaktion lese, das Gefühl, es mit Eltern aus den 70er Jahren zu tun zu haben, die ihren Söhnen zuriefen, sie sollten sich gefälligst erst mal die Haare schneiden lassen, bevor sie das Maul aufmachten?

Hatte das dazu passende Erlebnis letzten Freitag ausgerechnet beim so großartigen Spiel gegen Ahlen am Millerntor (danke hiermit noch mal an die Mannschaft des FC St. Pauli!).

Die Ahlener Spieler applaudierten noch uns Publikum, hat sie wohl beeindruckt, wie laut wir waren alle miteinander, und einer mit einem blondierten Schweinsteiger-Iro kam noch auf die Haupttribüne zu und plauderte mit dort Sitzenden.

Und dann steht sie da, diese dürre, ganz außerordentlich schlecht frisierte Post-Öko-Frau in Block 11 und brüllt voller Selbstgefälligkeit „Schneid Du Dir erst mal die Haare!“ Aaaaaaaaaaargh, da bin ich richtig ausgerastet und habe dieses repressive Miststück quer über den Block aber sowas von angebrüllt, daß ich mich im Nachhinein richtig über mich selbst wunderte: „Laß Du Dir doch erstmal die Haare schneiden!“ und schimpfte wie ein Rohrspatz. Bekam mich erst mal gar nicht mehr ein.

Gut, war auch der Alkohol, war auch das Abtauchen in dieses tolle Buch von Simon Reynolds über Postpunk und die heroischen zeiten, als Werber noch keine Chance hatten, ihren Dreck zur Kunst zu erklären – aber nicht nur das: Da steht man in DEM Postpunk-Stadion nicht nur Deutschlands, sondern der ganzen Welt,  und solche verblödeten Weiber rufen Sprüche aus wie Nazi-Väter in den 70ern – und das dann auch noch bezüglich eines nicht genehmen Haarschnitts.

Keine Ahnung, vielleicht tragen sowas ja auch ganz schlimme Jungs und ich hab’s nicht mitgekriegt, ich kenne da eher die Sprüche „Ey, sieht ja voll schwul aus!“ bei sowas.

Nun kann man Frisurendiskussionen auch oberflächlich finden, aber wenn die Linke schon nicht die Revolution hervorgebracht hat, dann doch wenigstens zeitweise eine ansatzweise mögliche Diversifizierung von Lebensstilen und Mentalitäten, die dann Ausdruck fanden in dieser Abfolge jugendkultureller Styling-Formen. Haben sich Kettcar auf ihrem letzten Album äußerst prägnat drüber lustig gemacht, „Das ist Graceland, Baby, keiner wird erwachsen“, aber der „Berufsjugendliche“ geisterte auch schon durch das Geschwätz von ’82, trotzdem: Das war mehr als ein Oberflächenphänomen und auch mehr als „Wohlstandverwahrlosung“, wie mancher das gerne hätte, der ja de facto gegen Arbeitslager auch nix einzuwenden hätte.

Daß dann Lebensstil-Totalitaristen wie Emmett Grogan um die Ecke kriechen und selbstverliebt ihre jämmerliche Scheißwelt altväterlich zum Way of Life erheben wollen, das treibt mir schon wieder die Zornesröte in’s Gesicht: Wahrscheinlich war’s ja gewollt, daß er jene Kritik im vom Che zitierten Text einfach nur bestätigt.

Genau darum geht’s ja in dem Text: Wenn Verhalten bis in’s Detail normiert wird und Subjektivität extern geformt wird, ist Selbstbestimmung und Mündigkeit längst in die Utopie gerutscht. Und genau das ist aktuell der Fall.

Allein schon „infantile Furcht vor der Selbstvermarktung“, so spricht die Regression, die Adorno in den „Studien zum autoritären Charakter“ beschrieben hat: Daß sich das geknechtete Selbst auch noch einen drauf runterholt, die nur scheinbar freiweillige Selbst-Unterwerfung als ganz besonders erwachsen zu begreifen.  „Infantile Furcht vor der Selbstvermarktung“, ha, seit 15 Jahren betreibe ich täglich 8-14 Stunden  „Selbst-Vermarktung“, durchaus „erfolgreich“, und nur in sehr gewachsenen Beziehungen in meinem Berufsleben ist das meistens nicht mehr nötig. Da greift dann plötzlich Solidarität, und das fühlt sich sehr, sehr gut an – ansonsten muß ich ja manchmal sogar beim Bierchen mit Ring2 nach dem Spiel vor der Domschänke aufpassen, mich nicht aus Versehen selbst dann noch selbst zu vermarkten mit meiner Aktualitätsberichterstattung.

Ich tu’s konstant, und abends auf dem Sofa oder beim Bloggen leide ich dann darunter, weil es so nicht gut ist. Weil’s permanente Hochspannung ist, ein dauerndes auf-der-Hut-sein, diese „Selbstvermarktung“. Weil sie dazu erzieht, sich zu verstecken, zu lügen und geballte Emotionen auf das Heimspiel alle zwei Wochen zu vertagen.

Gibt diese herrliche Anweisung für Drehbuchschreiber „Männer reden über Status, Frauen über Beziehungen“, und Leute wie Steffen H. naturalisieren das dann, damit keiner merkt, wie’s dazu kommt.

Dazu haben ja nicht nur Östro 430 einst so treffend gesungen „Die merken nicht, die merken nicht, daß sie selber stinken, vor lauter Selbstzufriedenheit, die wägen sich in Sicherheit“.

Aber fragen wir doch einfach mal Hauptschüler, wie die das sehen, die Sache mit der „Selbstvermarktung“, dem „Frauchen“ (!!! gab mal den Kampf gegen das Wörtchen „Fräulein“, und das völlig zu recht!) und der Karriere im so gut bezahlten Job:

„Knigge befragte nun rund 900 Hauptschüler in Berlin, wie die Gesellschaft sie wahrnimmt. Ihre Antwort lässt kräftig schlucken: Dumm, faul, unsozial. So, glauben sie selbst, urteilen andere über sie. „Hirnamputiert und nicht in der Lage, irgendwas zustande zu bringen.“ So bringt es einer der befragten Schüler auf den Punkt. „Eigentlich reicht die Skala negativer Beurteilungen, wie sie in meiner Befragung vorgegeben waren, gar nicht aus“, hat Knigge beobachtet. „Sie hätte nach Einschätzung der Hauptschüler noch viel weiter gehen können.“

Und lesen dann wieder in den Kommentaren nebenan:

„Ist auch eine tolle Sache, weil man natürlich kein saufendes, randalierendes Stück Schlägerscheiße ist, sondern ein echter Held des proletarischen Widerstands. Was man daran erkennen kann, daß man arbeitende Leute für Idioten oder Kapitalistenknechte hält, die man durch Saufen, Prügeln und Randalieren von ihren Ketten namens Arbeit, Wohlstand und Sonntagsruhe befreien muß. Der natürliche Feind des proletarischen Widerstands ist dementsprechend auch nicht ganz zufällig der vom proletarischen Widerstand als Proll verachtete Proletarier. Denn der hat meistens keinen Bock, daß ihm saufende, prügelnde Randalierer das Auto abfackeln oder auf ähnliche “kreative” und “kämpferische” Weise ihren proletarischen Widerstand leisten.“

Und jetzt wieder die Hauptschüler:

„Knigges Studie haut damit in die gleiche Kerbe wie die Untersuchung der US-Psychologen Claude Steele und Joshua Aronson. Diese hatten in den 90er Jahren die Bedrohung durch Stereotype am Beispiel junger Afroamerikaner nachgewiesen: Obwohl erfolgreiche Studenten an der renommierten Stanford University, sanken ihre Leistungen bei einem Test, nachdem sie zuvor Auskunft über ihre ethnische Herkunft erteilt hatten. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich auch bei naturwissenschaftlichen Prüfungen von Frauen, die zuvor ihr Geschlecht angaben. „Gerade das Stereotyp, das über die eigene Gruppe besteht und das man eben nicht bestätigen möchte, wird wirksam“, so Knigge. Auch bei den von ihm untersuchten Hauptschülern zeigte sich: Unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit wird das Stigma vom schlechten Schüler zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Das gilt auch für die Bereitschaft, auf eine höhere Schulform zu wechseln: Da das Image des Hauptschülers besonders dann auf ihm lastet, wenn er sich in der Minderheit fühlt, reizt ein Wechsel an Realschule und Gymnasium nur wenig: Jeder weiß ja hier, woher der oder die Neue kommt. Am stärksten leiden die Hauptschüler unter dem Klischee, sie seien unsozial, gar aggressiv: „Damit wird ihnen ja auch ihre Menschlichkeit aberkannt und das empfinden sie als besonders bedrohlich“, sagt Knigge.“

Aber die hat der große Califax ja gar nicht gemeint, sondern punkige Autonome und so, menschliche Probleme also, die schon Ministerpräsident Börner mit der Dachlatte lösen wollte.

Und da behauptet noch irgendwer, links sei von gestern?

Written by momorulez

18. November 2008 at 20:21