shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

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„Jede Idee, die sich nicht am Sozialen bricht und dabei verwirren, zerstören oder beglaubigen lässt, gibt es gar nicht.“ (Rainald Goetz)

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„Die Hypothese dieser kleinen Abhandlung lautet, dass sich schlechte Texte heute entweder durch einen haltlosen Subjektivismus oder einen stereotypen, Theoriemächtigkeit suggerierenden Jargon disqualifizieren. Die einen sagen zwar viel über die Selbstvermarktungsstrategien ihrer Autor/innen, aber wenig über ihre Gegenstände. Die anderen ersetzen Argumente durch Indizes für irgendwann und irgendwo anders geführte Debatten. Also gilt erstens: Texte, die zwar „Ich“ sagen, aber sonst nicht viel, sind keine guten Texte. Zweitens: Texte, die nur den Anschein erwecken, als würde in ihnen nachgedacht, sind es auch nicht.“

Ja, ertappt. Ich bekenne mich der schlechten Texte schuldig und stoße diese Selbstkasteiung in tiefer Dringlichkeit und Leidenschaft heraus. Christliche Sedimente trägt ja jeder in sich.

Er hat ja recht, der Herr Gutmeir. Auch wenn im verlinkten „Texte zur Kunst“-Text die Pointe sich doch eher auf den ökonomischen Strukturwandel bei den Zeitungsarbeitern bezieht, so gilt das doch wohl für die Blogosphäre nur noch mehr. Und in gesteigerter Form. Meine Güte, in elendig gesteigerter Form …

Seltsam ist, daß dieses „Ich“ beim Fernsehen nur Priveligierten vorbehalten ist: Wenn Gerd Ruge die Puszta bereist oder Gero von Boehm unterwegs ist. Ansonsten ist das Objekt der Berichterstattung „Ich“-Sager.

Was ja direkt zur Malerei überleitet: Die Kamera suggeriert ja so etwas wie eine Subjektive selbst dann, einen Blickwinkel, wenn sie nur statisch die Linse der Alten Meister reproduziert in all ihren Kompositionsversuchen. Obwohl so keiner guckt: Eher wie ein Schaufenster in die die Objektive nimmt das müde Volk den Blick in den Kasten wahr, trotz eindeutiger Perspektivik – oder eben als Unterhaltung, die ist zwar auch an Perspektiven gebunden, aber inwiefern sie Wahrheitsträger ist, das überforderte mich jetzt (ich!).

Läßt man hingegen den Blick schweifen mit der Kamera wie mit dem Auge, dann kann sich das eigentlich kaum jemand anschauen. Das macht einen irre, weil die immer da hinguckt, wo man gerade gar nix sehen will. Genau deshalb konnte es einen Rothko und diese solche auch erst geben, als es schon Film gab.

Mit Malerei hat das deswegen zu tun, weil eben deren interpretative Leistung die der Kamera immer toppt. Weil Malerei z.B. den Blick in Tessiner Dörfer räumlich verdichten und synthetisieren kann, viel besser als Sprache oder Linsen das je möglich wäre – oder selbst bei noch so dollen Postproduktionstechniken der Kamera es erlaubt: Diese Form der „Verdichtung“ kennt auch der „Herr der Ringe“ nicht.

Deshalb ist der folgende Satz aus dem verlinkten Text auch so traurig:

„Es war wohl kein Zufall, dass der Siegeszug der Verfallsformen des sogenannten Popjournalismus zur selben Zeit stattfand, als diese Entwicklung Fahrt aufnahm. Seine Vorläufer hatten mit dem Einnehmen eines subjektiven Blicks unter anderem das Unterlaufen der alten Grenzen zwischen Hoch- und Subkultur im Sinn gehabt. Alltagserfahrungen wurden vor kanonisiertem Wissen privilegiert, wobei es im besten Fall darum ging, theoretische Interessen und den genauen, so empathischen wie kritischen Blick auf popkulturelle Phänomene miteinander zu verbinden.“

Ach, heroische Zeiten. Wie kam’s eigentlich zu diesem Progarmm? Und wieso war das wichtig?

Ist ja schon so, daß man genau das einst aufgesogen hat und dann doch nie machen durfte, in meinem Feld eher, weil Regeln des Populären schon vorm Geschriebensein den Text infizieren wie ein Pilz und jeder Versuch, ein sprachliches Bild zu finden, das aufhorchen läßt, der Zensur durch den Markt sofort zum Opfer fällt. „Das ist fein, zu fein!“ bekam ich neulich mal wieder zu hören.

Umgekehrt gefragt: In welchen Feldern ist denn aktuell das Brechen des Kanonischen durch Alltagserfahrung relevant?

Welcher Kanon regiert denn eigentlich gerade? Der Einbürgerungstest? Nach bald zwei Jahren der Klassiker-Exegese habe ich nicht mehr das Gefühl, daß diese selbst es sind, sondern daß das Behaupten, es seien Klassiker, den Zugang zu ihnen versperrt, ansonsten haben die wenig beigetragen zum real-existierenden Kanon – manche haben ja eigentlich sehr viel zu erzählen. Pro Hochkultur!

Nun ist diese Position selbst schon wieder klassisch, und so dreht man sich ein in die Frage, ob diese Darstellungsformen denn nun wirklich die Relevanz haben, die Schreibende und sonstwie Darstellende ihnen zugestehen – aber was hast denn sonst Relevanz? Was ist dringlich und mit Leidenschaft anzupacken? Dann kommen nämlich die nächsten Sätze in der Abhandlung des Herrn Gutmeir, die einen völlig fertig machen, weil sie wahr sind:

„Dabei können sie gar nichts dafür, dass sie sich als Germanisten, Kulturwissenschaftler oder Kuratoren in der Welt der Exzellenzinitiativen und unter dem Regime von Bachelorstudiengängen in einer ständigen Konkurrenz um Drittmittelprojekte, Fördergelder oder Kunstmarktanteile befinden. Das zwingt sie dazu, sich plötzlich als Experten zu Klimakatastrophe, Nachhaltigkeit oder interkulturellem Austausch äußern zu müssen. So werden sie gleichermaßen zu Opfern und Akteuren eines Prozesses, in dem Kunst und Kultur als Diskursagenturen für eigentlich politische Fragestellungen missbraucht werden. Nur die Benennung und „Thematisierung“ gesellschaftlich drängender Probleme scheinen den Organisatoren von Tagungen und Veranstaltungsreihen und den Kuratoren von Ausstellungen heute Fördergelder und Aufmerksamkeit zu bescheren.“

Der Autor drüben endet ja selbst damit, daß auch die Alltagserfahrung, irrelevante, in Zeiten, da Geld für die Recherche fehlt, dann eben der einzige Stoff sei, der übrig bleibt, das billigste Material halt – für die Print-Medien. Für’s Fernsehen ja eher Archivschlachten mit Interviews vor Blau oder schwarz, Einrichtungs-, Garten- und Traumhaus-Soaps und „Mein neues Leben XXL“. Na, und Ranking halt. Und „Das Model und der Freak“.

Ja, aber was bleibt dann eigentlich noch? Außer Disco-Musik aus den 70ern, dem FC St. Pauli und der Kritik der politischen Ökonomie? Das kann doch nicht alles gewesen sein ….

Ja, wie is’n das nun?

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Wie ist denn nun die Relation dieser Formel zu dem, was sie – ja, was denn nun? Aussagen? Abbilden? Beschreiben? Erzeugen? – will?

Wieso macht sich jemand die Mühe da noch diesen – ja was denn nun? Feuerball? Sonne? Supernova? – dahinter zu peppen im hübschen Rot? Und in welcher Hinsicht ist die Formel denn „wahrer“ als das Bild, und warum?

Wieso jedoch läßt das Bild noch die Möglichkeit zu, das ganze als abstrakte Kunst sehen können zu wollen, während es unmöglich ist, hat man die Zeichensysteme gelernt, aus denen die Formel besteht, diese nicht als Formel aus Buchstaben und mathematischen Zeichen zu sehen?

Und worin besteht die Differenz zwischen einem Satz wie „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!“ und der Formel? Wieso kann der Satz „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!“ auch dann wahr sein, wenn er von ganz vielen verschiedenen Leuten geäußert wird, obwohl doch „ich“ dann jeweils jemand und was ganz anderes meint, ebenso „hier“, und wieso ist das eine andere Ebene als die Aussage, daß doch auch „Mensch“ je nachdem, wer da spricht, etwas ganz anderes meinen kann? Kann man am Kreuz der Domina ebenso ausrufen wie beim Briefe abstempeln oder während man sich in’s Gras fallen läßt, oder nicht, den Satz? Und wieso ist der olle Goethe-Satz nicht im selben Sinne überprüfbar wie „Alle Schwäne sind weiß“?

Wenn ein Text beginnt mit „Am Anfang war das Wort“ oder „Es war einmal“, wieso können sehr viele das Textgenre sofort unterschieden und zuordnen, das die jeweiligen Sätze bestehen? Und wieso gewinnt der Satz dann erst in diesem Kontext seine Relevanz, ebenso wie „Er ging heim“ zunächst mal keinerlei Relevanz verspricht, im Kontext eines Romans jedoch sowohl das Agieren eines Serienmörders als auch die Rückkehr von einem, der seine Familie verließ, bedeuten kann oder auch den Tod eines Priesters -oder eine Trauerrede desselben?

Und wieso sollen solche Fragen nichts mit Sozialwissenschaften zu tun haben? Oder gar mit Freiheit?

Written by momorulez

29. Juli 2008 at 19:36