shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Archive for the ‘Von Sternen und Sternbildern’ Category

Die Schrecken der Moderne(n)

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Gestern habe ich mir die – ich sag mal: mittelprächtige – Ausstellung „ENSOR – schrecken ohne ende“ im hier beheimateten nicht ganz unproblematischen Von-der-Heydt-Museum gesehen. Zu Ensor ließe sich ja auch viel sagen. Bekannt sind ja seine karnevalistischen BIlder mit Masken und Skeletten. (das wären ja zwei klassische topoi des Schreckens: die leere Maske und der Knochenschädel). Richtig gut fand ich aber seine Radierungen, die zumeist Massenszenen auf freiem Felde oder in Straßenschluchten zeigten. Die sind großartig. Wie auch seine Rochenbilder. Da sind die Formen von Hieronymus, aber auch eine Haltung, wie man sie bei Italo Calvino oder den Wimmelbildern der Kinderbücher finden kann. Die Ausstellung aber versucht das u.a. mit Gusatve Le Bon und seiner Massenpsychologie als Schrecken der Masse
zu kontextualisieren. Zitiert Cobra und die Gruppe „Les XX“, deren Mitglied Ensor war. Stellt ihn Dix, Scholz, Munch, Kollwitz, Ernst, Beckmann, Dali, Baselitz, Polke gegenüber, als bilde Ensor den Schnittpunkt aller Fluchtlinien der Moderne. Aber was sagt man denn, wenn man alle Kunst durch die Linse „Die Moderne produziere Schrecken ohne Ende“ zu lesen hat? Dass schließlich die Kontextualisierung beliebig sei, sofern es Moderne sei? Schlimmer noch: dass es dem Museum darum gehe, eigentlich nicht die Arbeit Ensors, sondern ihre eigenen Lagerbestände zu präsentieren? Mich lässt etrwas ratlos, dass ich selten so viel geschmunzelt und gelacht habe ob der ausgestellten Werke, was jedoch so gar nicht zum Ausstellungstitel zu passen scheint. Man kann ja mit gutem Grund Karneval unerträglich finden, wer ihn jedoch als Schrecken bezeichnet, nimmt die Perspektive des Souveräns ein, dem es um die eigene Ordnung bange geworden ist.

Written by lars

1. Dezember 2008 at 13:42

Die Kritik der Kritik und ihre Anwendung auf’s Fußballspiel

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„Oder ihr Essay „Against Interpretation“. Darin beschwört sie das Eigenleben der Kunst und verdammt die intellektuelle Suche nach „Bedeutungen“. Die Interpretation sei die „Rache des Intellekts an der Kunst“, denn wer das Kunstwerk auf seinen „Inhalt“ reduziert, der zähmt es. Es ist ein Hohelied auf die „sinnliche Erfahrung“. Es war, in gewissem Sinn, ein Angriff der Kritikerin auf ihr ureigenes Geschäft, der antiintellektuelle Wutausbruch einer Intellektuellen.

Es ist ein alteingesessenes intellektuellenfeindliches Vorurteil, dass das Denken lustfeindlich wäre. Wie falsch das ist, zeigen viele Intellektuellenleben. „Sinnliche Erfahrung“, „sensorische Fähigkeiten“, „Abstumpfung“, „Erotik der Kunst“ – es sind solche Formulierungen des reichen Erlebens, die Sontags „Interpretations“-Essay durchziehen.

Antagonistisch zum kritischen Räsonieren muss eine solche Sensitivität nicht sein. „Intellektuelles ,Begehren‘ wie sexuelles Begehren“, notierte sie in ihr Tagebuch.

Na gut. Als Kunstwerk war das Spiel gestern dezidiert anti-intensiv, aber auch fernab jeglicher Ironie.

Nur ist, was der Fan nach dem Spiel zum Spiel schreibt, für das Spiel eigentlich das, was die Ornithologie für Vögel ist? Ist es falsch, das Spiel auf seinen Inhalt zu reduzieren – okay, gewonnen, 3 Punkte, super, man muß ja nicht immer brillieren – oder gar Bedeutungen in ihm zu suchen? Vor allem, welche fände man dann eigentlich, wenn man sie suchte? Ist „Ich will ein Kind von Dir, Brunne“, dieser wohlverständliche Sehnsuchtsschrei, heute im St. Pauli-Forum niedergeschrieben, ach, könnte ich, würde ich auch wollen, all dieses pseudointellektuelle Rumschwadronieren hier ist ja der pure Gebärneid, Teil der Bedeutung des Spiels?

Na, immerhin ist Fußball ja ein relevantes Thema. Schon wegen dieser Aufrufe gegen Rassismus und Homophobie vor dem Spiel, um das Lieschen Müller aus dem Politbüro unter den Lesern zu befriedigen. Und ich fand die auch richtig gut.

Und die Kategorie der Abstumpfung paßt ebenso auf den Stil des Fußballerns der Wehen-Wiesbandener, also, sowas leidenschaftsloses habe ich ja selten gesehen. Schön war’s trotzdem, als die beiden Wehen-Wiesbadener Mannen nach Matchende sich zu dem kleinen Rolli-Fahrer am Fuße unsers Blogs gesellten, der so vehement 120 Minuten lang die Wehen-Wiesbadener Fan-Flagge inmitten von lauter St. Paulianern geschwenkt hatte, und ihn feierten. Und klar, der eine der beiden hatte sich natürlich ein St. Pauli-Trikot geschnorrt, weil das ja auch viel cooler ist als seines.

Aber das ist ja wahrscheinlich auch schon wieder die Rache des Intellekts an der Fußballkunst, jetzt wie doof im Gedächtnis nach Randanekdötchen zu suchen, weil das Spiel so seltsam langweilig war. Bis zu diesem Doppelschlag von Brunnemann und Boll hatten sich alle wenigstens noch damit unterhalten können, gramvoll sicher zu sein, daß wir uns sowieso in der siebzigsten Minute nach einem Dutzend vergébener Chance das 0:1 vom Tabellenletzten fangen würde. Damit war man als St. Paulianer ja schon die ganze Woche beschäftigt, sich in lustvollem Fatalismus von Smalltalk zu Smalltalk zu begeben und die so anvertraute Leidensmine zu tragen, weil ja die Grundbefindlichkeit des Fanseins abgrundtiefe Enttäuschung ist, hat Hornby das nicht geschrieben?

Und dann wurde man das gar nicht, konnte trotz dieses einen, einzigen Pfostentreffers der Wehen-Wiesbadener sein intellektuelles Begehren ganz auf Björn Brunnemann richten, weil der Rest der Spieler es ja nicht wirklich brachte gestern – okay, Ebbers hat schon super gespielt, hätten die anderen Spieler das zwischendurch mal bemerkt, wie und was der eigentlich gespielt hat, hätten wir 7:0 gewonnen, aber die wollten ja durch plötzliche Vorstöße allesamt selbst brillieren. Na, und Hoilett ist natürlich ein Kleinod ohnegleichen. Was jetzt aber wohl wieder ein komplettes Verkennen des Eigenlebens der Fußballkunst meinerseits ist, hier rumzuinterpretieren. Dabei würde ich doch die Jungs nie zähmen wollen …

Würde ich mich künstlerisch dem Spiel annähern, dann müßte ich jetzt ganz ganz viel schreiben ohne jegliche Pointe, aber mit vielen Anläufen zu solchen, das kann ich gut, um dannn nach zwei Dritteln zwei Hammersätze rauszuhauen, solche, über die man noch in 2 Jahren in der Blogosphäre schreibt, um dann weiter zu labern, bis sich alle wundern, daß der Text plötzlich aufhört.

Aber das so zu sehen, das liegt wieder daran, daß ich die sinnliche Erfahrung der Spieler einfach nicht teile, so als Zuschauer, der überdacht sitzt –  die ganzen blauen Flecken, die man sich abholt, die müder werdenden Beine, dieses Gefühl der von Nieselregen und Schweiß getränkten Trikots auf dem durchtrainierten Körper (alleine schon die sinnliche Erfahrung durchtrainierter Körper ist mir etwas abhanden gekommen), das Horchen auf die gemeinen Sprüche der gegenerischen Spieler… obwohl, mal abgesehen von der 18, wenn die Wehen-Wiesbadener Sprüche so waren, wie die Fußball gespielt haben, dann war das bestimmt in der Hinsicht auch ein ödes Spiel – und ein Kritiker ist ja auch nur gut, wenn der Künstler und sein Werk als Antagonisten ihm wirklich was bieten, nicht wahr?

Ein wenig war das Wehen-Wiesbadener Spiel sogar der antifußballerische Ausbruch von Fußballern, und immerhin habe ich jetzt eine echte Trend-Frisur, hat mein Friseur mir gestern gesagt. Der kam nämlich gerade aus London zurück, und jeder, der da was auf sich hält, hat so eine Frisur wie ich jetzt, was aber nix gegen die von Björn Brunnemann ist, in so einem blondierten Wuschel wühlt man ja eigentlich gerne mal rum, wenn man denn dazu käme. Und auch mein Friseur fragte als nun bestimmt Zehnter in den letzten Wochen, ob ich denn im Paul Weller-Konzert gewesen wäre, und auch ihm habe ich gesagt „Nee, ich war bei Joan Baez, war am gleichen Tag“, und auch der gackerte da überheblich vor lauter Eighties-Distinktionswille, weil er der sinnlichen Erfahrung beim Joan Baez-Konzert nämlich gar nicht gewachsen wäre, jawohl – ja liebe Leser, ist so: Mehr fällt mir zum Spiel gestern tatsächlich nicht mehr ein.

Mythos, Kunst, Kiefer

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Eigentlich darf man da nix rausreißen. Das ist ein durchkomponierter Text über die lauten, leeren Räume, in denen erst man sich aneignen kann, was war und was ist, eben weil sie leer sind, weilein Echo der Ereignisse eindringt und jeden durchdringt, der sie betritt – jene Rede Anselms Kiefers bei der Entgegennahme des Friedenspreises, in der er u.a. trauert, daß die ehemaligen Niemandsländer zwischen den Deutschländern nicht in Zen-Gärten verwandelt wurden. Kannte er den „Tresor“, der dort sich fand und Anarchie und Lärm ermöglichte?

Diese Forderung wurde dann, ganz, wie es sich gehört, allerorten zitiert, was schade ist, ist’s doch ein völliges Fehlgehen, da eine isolierte, quasipolitische Forderung herauszulösen: Tatsächlich wie ein Bild baut Kiefer seinen Stoff aus Schlaglichtern, der Reflexion auf Materialität und verschiedenen Schichten der eigenen Biographie und der Realgeschichte mit vielen Anspielungen und Ausführungen zu jüdischem Denken und jüdischen Geschichten – vom einsamen Radiohören in der Kindheit, als die Stimmen von Ernst Bloch und Nelly Sachs, letztere später, zu ihm drangen in einer Zeit ohne Internet und Fernsehen, bis hin zum Emporsteigen seiner Werke aus einer Unruhe, die ihn erfaßt und Wirklichkeit, also Bild werden will.

Gestern war die Rede ganz abbgedruckt in der FR, habe sie online leider nicht gefunden – denn so dolle auch gebaut ist, was Herr Kiefer da spricht, so richtig seine Angriffe auf die Annahme einer „Stunde 0“ ’49 und ’90  auch sein mögen, war ja allerorten zitiert  – irgendwas machte mich unruhig bei der Lektüre, vielleicht auch gerade, weil der Text selbst künstlerisch, nicht rational-diskursiv zu lesen ist, obgleich er Diskursives suggeriert.

Am vehementesten regte sich Widerstand in mir bei den folgenden Passagen:

„Nach dem Krieg stand die Beschäftigung mit der Mythologie unter Verdacht: Evident war, wie gefährlich es ist, wenn Politik die Mythen verwendet, missbraucht, als Handlungsanleitungen und Rechtfertigungen interpretiert. Aber ist es nicht noch gefährlicher, die Mythen gleichsam ins kollektive Unbewußte zu versenken, statt an ihnen – für alle sichtbar – weiterzuarbeiten?

Die Wissenschaften können nicht die mythischen Bilder und ihre Kraft ersetzen. Der Fortschrittsglaube der Wissenschaften ist womöglich selbst ein Mythos; wissenschaftliche Ergebnisse sind zumeist vorläufig; jede Entdeckung öffent eine weitere Tür zu einem größeren Feld des Unbekannten.“

Anselm Kiefer, In einem leeren Raum, FR 20. Oktober 2008, S. 20-21

Puuh. Da ist ja nix wirklich falsch dran, außer, daß so vieles, was bei den alten Griechen, den Mythologen, als Wissenschaft auftrat, auch heute noch gültig ist, vor allem in der Mathematik, oder irre ich?  – aber aus welcher Perspektive konstatiert man denn sowas? Aus der mythischen wohl kaum, die politische weist Kiefer explizit zurück, auf C.G. Jung spielt er an, jenen Psychoanalytiker, der mit seinen „Archetypen“ ungewollt ganz Hollywood renovierte, weil alle Drehbuch-Autoren sich an ihnen orientieren, an der „Heldenreise“, dem „Hüter der Schwelle“, dem „Gestaltwandler“  usw., „Star Wars“ ist so gebaut, weiß Kiefer das und meint er das?

Und macht es Sinn, Wissenschaft und Mythos dergestalt zu verschlingen und zugleich gegeneinander auszuspielen? Ja, „Dialektik der Aufklärung“, trotzdem?

Written by momorulez

21. Oktober 2008 at 9:50

„Wer Keine Kraft Zum Träumen Hat, Hat Keine Kraft Zu Leben“ (Ernst Toller)

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„4.13 Uhr: Wer nicht auf der Party der unabhängigen Kleinverlage war, hat nicht gelebt. Junge Menschen tanzen zu Seal, und Wagenbach und Rotbuch geben sich über Treppengeländer hinweg die Hand. „Ist das nicht der Mann von Heidi Klum?“ fragt Jörg Sundermeyer, und das sagt ja wohl alles über den Stellenwert des Musikers in der heutigen Zeit. Oder jedenfalls beim Verbrecher-Verlag.“

„Mach das Licht aus, wenn Du gehst“: An Element of Crime habe ich immer schon geliebt die Aneignung untergegangener Welten auf fast verborgene Weise.

Schon damals, als sie noch englisch gesungen haben und mein erstes Konzert hier in Hamburg im Westwerk, wo ich ja neuerdings wieder ein- und ausgehe, gleich ein erstes Konzert-Highlight war: In der „Try to be Mensch“-Phase war das, Regener gab den kinskiesken Psycho und hatte eine saucoole Frisur, und mir kam’s vor wie eine Kombi von The Clash der „London Callin'“-Phase, Edgar Wallace-Filmen und Sartre-Romanen, was die da zelebrierten. Musikologisch wahrscheinlich völliger Quatsch, aber diese Kombi auf die zweite Hälfte der 80er zu beziehen, das ist noch nicht mal völlig falsch.

„Herr Lehmann“ halte ich ja immer noch für die gelungenste Thematisierung der 80er ausnahmsweise mal aus West-Perspektive, ansonsten haben ja Osis und VW-Werbe-Claims das Privileg, ihre Jugend aufzuarbeiten, ganz, als habe es West-Berlin nie gegeben und statt des Steigenberger und dieser doofen Privat-Klinik nie ’nen londonesken Parkplatz aus Schutt und Erde vorm Westwerk, direkt am Fleet.

Und dann kam dieses wundervolle, unerreichte „Damals hinter Mond“-Album, das erste von Element of Crime mit deutschen Texten, ich erinner mich noch gut an einen Artikel im ZEIT-Magazin, wo der sich lachend in’s Meer stürzende Dosenfisch zitiert sich fand.

Es war die Zeit von Haddayway und Dr. Alban, von Techno und auch Grunge, und dann kommen da diese ehemals von John Peel gespielten Berliner Musiker um die Ecke und bringen großartig zeitgemäße Chansons heraus: Perlen grantelnder Melancholie, und auf einmal steht ein Brecht im Zimmer, Musik aufersteht, diese wundervolle Tradition der Lieder der Zwanziger Jahre erwacht erneut und scheint mir rein formal ungleich politischer als jeder Politsong es je gewesen ist.

Hatten Element of Crime doch schon in ihrer englischsprachigen Phase auf einmal den „Surabaya“-Johnny auf die Bühne gebracht, nun retteten sie in einem phänomenalen Gegendiskurs zur „Wieder“-Vereinigung auf einmal genau jene Stränge der Ästhetik auf CD, die ein Neo Rauch bis heute nicht verstanden hat und die im Einheitsgedusel vor lauter Adenauerei und „Friede, Freude, Eierkuchen“ platt gewalzt wurden.

Ja, auch der hier gehört dazu, den kennt ja heute kein Schwein mehr, für mich mit 17, 18 ein immens wichtiger Autor, damals, als mir das sensationelle Buch „Die verbrannten Dichter“ in die Hände fiel und ein Toller, ein Mühsam, eine Else-Lasker-Schüler mir Welten eröffneten, die ein Konstantin Wecker zwar fortzuschreiben vermochte, nie jedoch auch nur irgendwer in der „offiziellen Kultur“.

Erinnerung marginalisiert Kulturen, und bis heute ist „Grün ist die Heide“ ja wirkungsmächtiger als „Die kleine Freiheit“, „Einsam bist Du sehr alleine, aus der Wanduhr tropft die Zeit“, na, vielleicht weiß ja der eine oder andere Kommentator, was ich meine.

Regener ist keiner, der je so platt politisch drauflosspazieren würde, wie ich das hier das tue, aber selbst so eine hingebloggte Miniatur wie die oben eröffnet mir gleich ganze Welten: Da höre ich nicht nur „Kiss from a Rose“ und Terence Trent d’Arby gleichzeitig, da habe ich auch das Gefühl von diesen schwarzgerandeten Wagenbach-Bändchen und  „Schon bist Du ein Verfassungsfeind“, war, glaube ich, im Rotbuch-Verlag erschienen, zwischen den Fingern.

Die fühlten sich ja anders an als dtv oder rororo, die Bücher. Da vergegenwärtigt man sich plötzlich die DDR-Buchausgaben von Mühsam aus dünnem Papier, den im Westen kaum jemand verlegte, „Ich bin verdammt zu warten, in einem Bürgergarten“ war so ein Gedichtbändchen aus dem Osten, und man sieht sich wieder durch die Niedersächsische Landesbibliothek spazieren und mit seltsamen, grün-schwarzen Computer-?, ja, wie hießen denn diese Dinger, die man in die Lesegeräte geschoben hat?, hantieren, um nach alten Ausgaben der „Weltbühne“ zu suchen.

Panther, Tiger & Co, das immerhin gab’s auch in Großverlagen, und bis heute empfinde ich tiefe Demütigung, wenn ich mich zurückerinner, wie ausgerechnet Helmut Kohl, der Ernst Jünger hofierte, Tucholsky zitierte – ja, ein paar Sätze von Regener und eine Welt geht auf, die andere wohlverschlossen halten wollen

Wenn jedoch am anderen Pol der Blogosphäre sich auf Picasso besonnen wird, dann besteht ja noch Hoffnung. Bei der Lektüre habe ich mich gefreut heute morgen.

Written by momorulez

19. Oktober 2008 at 9:44

„Kunst ist ein Luxus, auf den verzichtet werden kann“

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Written by momorulez

16. Oktober 2008 at 9:46

Von romantischer zu neoliberaler „Kunstproduktion“

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Ja, ja, die Risikolebensversicherung. Weil: Ohne die Kreativen geht’s ja nicht. Kaufmänner kann man austauschen, mich nicht.

Da waren sie sich einig, die Kaufmänner, Banker und „städtisch“ angestellten Bürgen. Weiß gar nicht, ob das formal-rechtlich ’ne öffentliche oder eine private Institution ist, irgendwie hängen da alle mit drin, Banken, Sparkassen, Handelskammern undsoweiter; immerhin gibt es sie, und das ist ja sehr gut so.

Nichtdestotrotz ein komisches Gefühl, wenn sie sich um einen scharen, wohl wissend, daß sie Kasper und Hofnarren wie mich brauchen, um ihre Geldmaschinen anzuwerfen. Ein gutes Gefühl gab das nicht. Und ja, sie waren voller Resepkt.

So als „Kreativer“ darf man dann auch der ohne Anzug sein, Sacco reicht, das Unfrisierte stützt Erwartungshaltungen; so’n Schwatter an der Seite vermittelt Pop-Appeal.

Verstanden sich gut, so alle miteinander, während sie beratschlagten, was sie wohin auf welche Fläche meines Lebens tätowieren wollen und wo sie ggf. angreifen und amputieren können.

Die städtischen Bürgen: Sachlich, pragmatisch, offen, konstruktiv und hilfsbereit, wirklich, ihre Verstümmelungs- und Zeichnungswünsche tatsächlich überraschend Mittellosenfreundlich, die waren super und gehen gravierend mit in’s Risiko, was mich überraschte – freilich so, daß sie selbst auch noch ein gutes Geschäft dabei machen. Egal, sowas finde ich gut.

Der Banker chronisch skeptisch, aktuell ja auch keine lustige Zeit für die; so richtige „Start Ups“ kriegen eh keinen Kredit aktuell wie ja eh kaum noch wer – außer den Banken selbst, vom Staat. Als jemand mit langjähriger Berufserfahrung hat man noch geringe Chancen auf Kreditvergabe, so’n „richtiger Start up“ ist man dann unter Umständen gar nicht. Unter Umständen.

So diskutierten sie, wie sie die Luft zum Atmen nehmen können und in langfristige Abhängigkeiten treiben. Klar, machen ja auch nur ihren Job, so ist das System. Nicht zufällig ist die „Selbstauskunft“ bei Banken ja sehr analog zum Ausziehen, Bloßstellen und mit dem Finger drauf zeigen bei den Arbeits-Agenturen, „Tanz, tanz an der Stange, tanz!“; klar, die Gewinnchancen sind für mich gegeben, Chancen überhaupt, noch wirklich zu gestalten und auf Unterwerfung nicht reduziert zu werden, und nötigen kann einen auch niemand dazu. Aber wenn man’s nicht macht, ist man entweder Söldner und zieht mit den „Kreativen“-Karawanen durch’s Land, oder man ist bald schon anderswo genötigt, sich auszuziehen und bloß gestellt zu werden, auf den Agenturen halt. Und dann doch lieber so.

Welcher Idiot ist eigentlich je auf die Idee gekommen, Kapitalismus mit „Freiheit“ zu identifzieren? Und den Topos „negativer Freiheit“ exklusiv auf den Staat zu beziehen?

Die Bürgen immerhin wollen ermöglichen, die öffentlich-rechtlichen, positive Freiheit – knebeln will der Banker.  Aber der tut ja auch die eigentliche Kohle raus, und wer Kohle raus tut, darf gänzlich skupellos knebeln, so ist das auf dem Strich. Obwohl da solche Praktiken wenigstens extra kosten … und Banker, so raunt man, ja lieber geknebelt werden wollen bei der Domina.

Klar, bin kein Künstler, allenfalls Kreativ-Handwerker, trotzdem, der Diederichsen hat schon recht:

„Heute existieren mindestens drei Modelle, die das Verhältnis von Kreativität bestimmen sollen: Entweder setzt man seine Vermögen schlau und angemessen ein (bürgerliche These), verwirklicht sich, indem man sich ohne Kalkül hingibt und verschwendet (romantisch, Antithese), oder investiert sich selbst mit Haut und Haaren (neoliberal, Synthese).“

Diedrich Diederichsen, Eigenblutdoping, Köln 2008, S. 119

Nun also vom Romantiker zum Neoliberalen werden. Na, tolle Aussichten … aber vielleicht gibt die Bank ja auch gar keinen Kredit, weil sie die Staatsknete lieber nutzt, sich erstmal selbst zu sanieren und hübsche neue Produkte für Finanzmärkte zu erfinden – und dann söldner ich mich halt runter bis zur Arbeitsagentur …

Written by momorulez

14. Oktober 2008 at 9:36

Hatte ich gestern glatt vergessen …

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Mangelnde Männliche eMphatie

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Den Neoliberalen ihre Rhetorik mit Beuys entreißen: “ … dass jeder Mensch über schöpferische Impulse verfügt, die ihn befähigen, verantwortlich und frei zu handeln.“

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Ach, das entspannt ja richtig nach dieser Beat Wyss-Kulturkampf-Rhetorik weiter unten, was Gabriele Walde heute in DIE WELT schreibt über Joseph Beuys:

Als der Mann mit dem Hut 1971 dieses Motto „Die Revolution sind wir“ unter ein Foto schrieb, das ihn in energischer Pose eines schreitenden Aktivisten zeigt, war das die Zeit der Aufrufe der RAF zum „revolutionären Kampf“ gegen das „Schweinesystem“. Sein Entwurf eines „erweiterten Kunstbegriffes“ war eine Antithese zum marxistischen Revolutionspostulat. Seine Maxime der „sozialen Plastik“ basierte auf Gewaltfreiheit, er setzte auf Evolution aus dem Geiste der Kunst. Eine neue Pädagogik und die Formung der Sprache galten ihm als Basis für eine sich verwandelnde Gesellschaft. Eine Vision, die sich für die Galionsfigur der Grünen nicht erfüllen sollte. Auf 40 Videoschirmen räsoniert, philosophiert und doziert er nun in allen Ecken und Räumen des Hamburger Bahnhofs. Seine Sprachartistik war ein wesentlicher Teil seines Werkes. Bei einer Beuys-Ausstellung in der Londoner Tate vor einigen Jahren hockten tatsächlich junge Leute auf Sitzkissen vor den Monitoren und lauschten dem Meister, als seien sie auf einem Sit-in der Sechzigerjahre.

(…)


Keines seiner Zitate führte zu solchen Missverständnissen wie dieser Satz. Fortan entfremdete so manches Psychoseminar oder manche Häkelgruppe Beuys‘ Credo für eigene Zwecke. Er selbst verstand diesen Satz als Folge seines „erweiterten Kunstbegriffs“, der besagt, dass jeder Mensch über schöpferische Impulse verfügt, die ihn befähigen, verantwortlich und frei zu handeln.


(…) der Düsseldorfer hat allgemeingültige Fragen formuliert, die heute vielleicht aktueller sind als noch vor zehn Jahren: nach dem Verhältnis von Natur und Mensch, den Strategien der Ökonomie, der geistigen Grundlage einer Gesellschaft: Kurz: die Frage nach unserer Zukunft. Und wie sagte Beuys so schön: Wer nicht denken will fliegt raus.“

Dankeschön! Ergänzend jedoch ist zu erwähnen: Ein TV-Screen-Design zum Beispiel ganz auf Warhol aufzubauen, das finden alle toll. Eines aus Filz, Fett, Honig und toten Tieren, das widerstrebt dann doch dem Publikum und den Sendern auch.

Ganz anders jedoch andere, mediale Praktiken, von den beiden Großkünstlern favorisiert: „Big Brother“ einst als „soziale Plastik“ zu begreifen, das fällt nicht schwer. Bemerkenswert jedoch, daß nach dem ersten Schock, der großen Kontroverse dann allen Machern auffiel, wie öde unter Fernseh-Bedingungen es ist, einfach so Leuten beim Rumhängen zuzuschauen (was Voyeur Wahrhol in „Flash“ ja eigentlich auch nur gemacht hat). Kurz: Trotz Schamanengestus und Künstlerpriesterrollenspiel steht Beuys doch quer zur konevntionellen Dramarturgie, und das spricht für ihn.

„Big Brother“ wurde drum im „Dschungel-Camp“ dann fortgeschrieben, kurioserweise ja mit ziemlich eigenwilligen „Materialien“ und als Komplett-Verdrehung eines „Zurück zu Natur“ – fern läge es trotzdem nicht, das Ganze als Perfomance zu begreifen. Als gewaltfreie allerdings nicht, und somit steht’s schon quer zu Beuys. Und ist’s Wahrhols „Für 15 Minuten ein Star sein“, das „Deutschland sucht den Superstar“ befruchtete?

Ist das der Unterschied zwischen der Suppendose, der Marilyn und selbst dem elektrischen Stuhl bei Warhol und dem, was Beuys proklamierte – daß bei Warhol das Nachsingen von Hits für Soul-Diven rauskommt, Beuys hingegen die Freiheit aus schöpferischer Tätigkeit wirklich ernst nahm?

Aber wahrscheinlich ist die Fragestellung wirklich anachronistisch, wer Schönberg am Piano spielt, ist ja auch schöpferisch tätig – oder?

Die Population der Dramatiker

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Wo der Herr Zettel schon immer hier rumschaut, uns die Wahrheit aufzuzeigen, derer wir bis dato ja nicht habhaft wurden, sonst wären wir ja kein linkes Blog, wir autoritär-linksfaschistischen Antiimps (versuche nur gerade, das Bad Blog anzuflirten), verlinke ich ihn doch noch mal   – wie kommt’s, daß Shakespeare, die alte Rampensau, noch heute so viel „wahrer“ ist als manches, was „Wissenschaftler“ zu seiner Zeit so vertraten?

„Zu Shakespeares Zeiten tat man darum gut daran, den niedergekämpften Gegner mindestens ins tiefste Verlies zu werfen, besser aber aufs Schafott zu bringen. Da sind wir zivilisierter geworden.“

Ja, wie kommt’s? Die Wirkung wissenschaftlichen Experimentierens? Und das, wo der Mensch doch genetisch auch nur Aasfresser und Raubtier ist?