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Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

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Dresden

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Bewegungslehre spezial

„»Ich habe ja nichts gegen ältere Menschen«, sage ich. »Aber sie sollen bitte nicht mit ihrem Rassismus unsere Sozialsysteme belasten.«“

Laura Meschede

Was bisher geschah: Letzte Woche wurde versucht, die hier vertretene Hypothese über die Entstehung von Bewegungen auch auf PEgIdA anzuwenden – was sich als nicht so ganz einfach erwies. Scheinbar entstand PEgIdA kontinuierlich und erwuchs nicht aus einem traumatischen Bruch der symbolischen Ordnung, wie das von meinem Modell postuliert wird. Um dennoch an meiner Hypothese festhalten zu können, hatte ich behauptet, daß das Trauma und der Bruch, der PEgIdA zu Grunde liegt, fünfundzwanzig Jahre zurück liegt – um PEgIdA zu verstehen, müsse man bis zum Untergang der DDR zurückgehen.

Als wichtiges Indiz für diese Hypothese hatte ich das sehr hohe Durchschnittsalter der PEgIdA-Demonstranten angeführt – was für Bewegungen sehr ungewöhnlich ist, da deren Durchschnittsalter in der Regel eher zwischen 20 und 30 Jahren zu suchen ist, nicht im Bereich um die 50. Für die PEgIdA-Demonstranten heißt wiederum, daß ein sehr großer Prozentsatz von ihnen bereits 1989 erwachsen war und seinen Platz in der symbolischen Ordnung der DDR gefunden hatte.

Nun war die DDR zweifellos größer als Dresden. Wenn es also das Trauma von 1989 ist, das die PEgIdA-Demonstranten heute auf die Straße treibt, dann muß man die Frage stellen: Warum gelang es in Dresden, eine rassistische Bewegung zu initiieren? Oder genauer: Warum konnte in Dresden ein kleiner rechtsradikaler Kern eine große Masse von Feld-, Wald- und Wiesenrassisten, die es überall gibt, mobilisieren, während derartige Massenkristalle in anderen Städten isoliert blieben und stattdessen eine Überzahl von Gegendemonstranten auf die Straße brachten?

Auch hier läßt sich nur eine Hypothese formulieren. Doch diese Hypothese scheint mir durchaus plausibel. Und den Kern dieser Hypothesen bildet das andere Dresdner Trauma: Die Luftangriffe, die die Stadt heute vor 70 Jahren verheerend trafen und bei denen rund 25.000 Menschen ums Leben kamen. Ein ganz wesentliches Problem der Dresdner Lokalgeschichte ist, daß dieses Trauma über Jahrzehnte nicht aufgearbeitet wurde. Schon das in den letzten Zügen liegende Dritte Reich schlachtete die Bombardierung der Stadt propagandistisch aus. Das von Goebbels formulierte Schema, nach dem die „Kulturstadt“ Dresden von alliierten „Barbaren“ in Schutt und Asche gelegt worden sei, wurde in der Zeit des Kalten Krieges von der DDR-Führung nahtlos übernommen. An die Stelle einer Aufarbeitung des Traumas trat die Identifikation mit ihm. Die Dresdner lernten über ein halbes Jahrhundert nicht, mit der Ambivalenz des Geschehens umzugehen, mit dem unleugbaren Faktum, daß die Stadt eben nicht nur einfach ein unschuldiges Opfer war. Über der Barbarei des Luftkrieges wurde verdrängt, daß das Böse auch mitten in der bombardierten Stadt saß. Stattdessen bezog die Stadt ihre Identität aus der Opferrolle.

Am deutlichsten belegt dies der kollektive Aufschrei, als eine Historikerkommission 2008 eindeutig und abschließend belegte, daß die realen Opferzahlen deutlich geringer waren als immer behauptet (wobei das eigentlich seit den 60er Jahren bekannt war). Statt froh zu sein, daß die Angriffe deutlich weniger Opfer gekostet hatten, fühlten sich viele Dresdner in ihrer Identität angegriffen.

Erst nach dem Zusammenbruch der DDR, rund ein halbes Jahrhundert nach dem eigentlichen Ereignis, begann eine kritische Auseinandersetzung mit dieser problematischen Form der Erinnerungskultur. Und diese Auseinandersetzung führte prompt zu einer Spaltung der Dresdner Bürgerschaft. Wobei dieser Bruch, wie ich glaube, komplizierter ist, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Denn es handelt sich meines Erachtens nicht einfach darum, daß auf der einen Seite verstockte Traditionalisten stehen, die sich ihre Identität als unschuldige Opfer nicht nehmen lassen wollen; und auf der anderen Seite die Kräfte des Guten, die souverän mit der Ambivalenz des Ereignisses umgehen können. Meine Vermutung ist, daß diese Auseinandersetzung einen Subtext hat. Und dieser Subtext verbindet das eine traumatische Ereignis, die Bombardierung, mit dem anderen Trauma, dem Kollaps der DDR.

Wir haben in den Jahren nach 1989 zunächst einmal die traumatische Erfahrung, daß die bestehende Ordnung praktisch von einem Tag auf den anderen kollabiert, eine Neuorientierung schwierig und schmerzhaft ist. Doch dies gilt für das ganze Gebiet der ehemaligen DDR. In Dresden kam jedoch noch etwas anderes hinzu: Das bisherige identitätsstiftende Moment der Dresdner, das kollektive Selbstverständnis als unschuldige Opfer eines angeblich barbarischen Kriegsverbrechens, wurde zur selben Zeit unterminiert. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, daß eine solche Umorientierung in der Art und Weise der Erinnerung sachlich geboten war. Wichtiger ist die subjektive Empfindung in einer sowieso als krisenhaft empfundenen Umbruchsphase. Ich bin mir ziemlich sicher, daß vielen Dresdnern die nun auf einmal abverlangte Selbstkritik primär als ein aufgezwungener Westimport vorkam. Besserwessis erklärten einem, wie man der eigenen Geschichte zu gedenken habe. Und das provozierte dann instinktiv eine Abwehrhaltung, die, so falsch sie auch faktisch war, dann fatale Folgen zeitigen sollte.

Hätte einfach nur die offizielle Gedenkkultur einen Schwenk gemacht, wäre diese ursprüngliche Abwehrhaltung mit der Zeit sicherlich abgeklungen. Man hätte sich daran gewöhnt, so wie man im Westen auch in jeder Stadt am 9. November routiniert irgendwo einen Kranz abwirft. Doch dann tauchten Ende der 90er Jahre die Neonazis auf, die das Ereignis für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchten. Und damals wurde ein schwerwiegender politischer Fehler begangen. Es wurde versäumt, bei den Gedenkveranstaltungen eine klare Kante zu zeigen und sich von den Nazis zu distanzieren – was sicherlich daran lag, daß die Form des Gedenkens sich damals noch im Umbruch befand. Wäre damals aus der Mitte der Dresdner Bürgerschaft ein friedlicher, aber bestimmter Protest gegen die Neonazi-Aufmärsche organisiert worden, hätte dies den rechten Rand mit großer Wahrscheinlichkeit schnell ziemlich isoliert. Doch dies wurde ein Jahrzehnt lang versäumt. Erst 2009 gründete sich das breite Bündnis Dresden Nazifrei, dem es dann gelang, die Versäumnisse des vorhergehenden Jahrzehnt langsam wieder gut zu machen. Das scheint auch weitgehend gelungen zu sein: Wie es aussieht, gibt es dieses Jahr in Dresden keinen Naziaufmarsch mehr.

Doch auch diese Bündnisaktionen hatten einen Schönheitsfehler. Stellenweise kam es zu Entgleisungen angereister Antifa-AktivistInnen, die sich als ziemlich kontraproduktiv erwiesen. Höhepunkt dieser Entgleisungen war letztes Jahr die Aktion einer Piratenpolitikerin, die sich mit entblößtem Oberkörper ablichten ließ, auf den sie „Thanks Bomber Harris“ gepinselt hatte. Ich hatte die Aktion bereits letztes Jahr analysiert. Mein kritisches Fazit damals lautete:

„Das politische Ziel einer solchen Provokation hätte es sein müssen, die Nazis von den wohlmeinenden Bürgern zu spalten. […] Die Bomber-Harris-Provokation hat das überhaupt nicht vermocht, ganz im Gegenteil. Wenn das Ganze überhaupt etwas vermocht hat, dann hat es Teile der unentschiedenen oder auch nur unreflektierten Masse den Nazis zugetrieben. Provokationen spalten – das ist ihr Sinn. Aber man hat definitiv etwas falsch gemacht, wenn danach das eigene Lager geschwächt dasteht.“

Ich will jetzt nicht behaupten, daß PEgIdA die Quittung für derartige dumme Aktionen ist. Aber sie verschob für eine nicht unerhebliche Masse die berühmte rote Linie, die Linie, mit wem man sich gemein macht und mit wem nicht. Es ist bezeichnend, daß PEgIdA das Antifa-Emblem übernommen hat, auf dem ein Hakenkreuz in einem Mülleimer entsorgt wird; in der von PEgIdA verwendeten Variante landet aber auch das Antifa-Logo mit im Müll.

In anderen Städten gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso viele Menschen, die die selben rassistischen Ansichten im Kopf haben wie die PEgIdA-Demonstranten. Aber anders als in Dresden würden sie sich damit nicht auf die Straße trauen, weil sie wissen, daß sie sich damit außerhalb des lokalen Konsenses stellen würden – was dann am Stammtisch immer mit der schwachsinnigen Parole kommentiert wird, man dürfe bestimmte Sachen nicht sagen. Tatsächlich darf man alles sagen – man muß nur darauf gefaßt sein, ordentlich Widerspruch zu ernten. Und sich dem zu stellen, dazu ist der normale Stammtischrassist einfach zu feige. In Dresden gehen diese Menschen hingegen auf die Straße – weil sie wissen, daß sie nur auf den Widerstand einer Minderheit gefaßt machen müssen. Wobei ich noch nicht einmal glaube, daß es in Dresden so viel weniger Menschen gibt als anderswo, die PEgIdA für absolut inakzeptabel halten. Aber diese Menschen lassen sich nicht in einem breiten antirassistischen Konsens mobilisieren. Sie haben nämlich keine Lust, sich von angereisten Antifas selbst als halbe Nazis beschimpfen zu lassen, nur weil sie die Bombardierung Dresdens nicht als ein rundum begrüßenswertes Ereignis abfeiern wollen.

Diese Bruchlinien und Verschiebungen in der Erinnerungskultur Dresdens machen meines Erachtens die Sonderstellung der Stadt aus, die dann eine Bewegung wie PEgIdA möglich machten. Damit ist allerdings noch lange nicht erklärt, warum das Trauma von 1989 sich fünfundzwanzig Jahre später in Form eines dümmlichen Rassismus artikuliert.

Freuen Sie sich deshalb auf nächste Woche, wenn der alte Bolschewik die Rolle des Rassismus bei PEgIdA zu erklären versucht, während die Bewegung selbst schon auf dem Müllhaufen der Geschichte verrottet.

Written by alterbolschewik

13. Februar 2015 at 17:34

Veröffentlicht in Antirassismus, Bewegung, Ereignis

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Stoppt die Deportationsmaschine!

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Anfang 2009 hat die Bundesrepublik Deutschland mit der arabischen Republik Syrien ein Rückübernahmeabkommen zur Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien geschlossen. 7000 „Geduldeten“ droht durch dieses Abkommen die Abschiebung. Das ist möglich, obwohl selbst vom Auswärtigen Amt und bundesdeutschen Gerichten massive Menschenrechtsverletzungen in Syrien bestätigt werden. Mindestens drei Abschiebungen nach Syrien, die durch das neue Abkommen ermöglicht wurden, endeten damit, dass die Abgeschobenen am Flughafen sofort verhaftet wurden. Gegen dieses skandalöse Abschiebe-Abkommen müssen wir uns wehren! Es dürfen keine weiteren Abschiebungen nach Syrien stattfinden!

Ein Folterstaat in den Diensten der deutschen Abschiebe-Bürokratie

Während der letzten Jahre gab es eine zunehmende Annäherung zwischen Deutschland und Syrien in politischen, wirtschaftlichen und sogenannten „sicherheitspolitischen“ Belangen – bis hin zu Verhören angeblicher „Terrorverdächtiger“ in syrischen Folterkellern. Teil der Zusammenarbeit ist auch, dass der syrische Staat Unterstützung bei der Abschiebung von Flüchtlingen und bei der Bekämpfung von Flucht und Migration aus den Ländern des nahen und mittleren Ostens leistet. Die Menschenrechtslage in Syrien ist unterdessen katastrophal: Folterungen und „Verschwindenlassen“ von Oppositionellen sind an der Tagesordnung, die Gefängnisse sind voll von politischen Gefangenen. 400000 Kurd/innen wurden in Syrien zu völlig rechtlosen Staatenlosen gemacht. Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragt haben, müssen grundsätzlich damit rechnen, dass sie nach einer Abschiebung nach Syrien hohe Strafen wegen „Verbreitung falscher Informationen“ und „Beschädigung des Ansehens Syriens im Ausland“ bekommen. Erste Folgen der anlaufenden Abschiebungen sind alarmierend: Der Kurde Khalid Kenjo sitzt seit seiner Abschiebung am 1. September im Gefängnis, wochenlang galt er als verschwunden. Auch die Familie Cindo sowie Frau Abta Houran wurden direkt nach der Abschiebung vorübergehend inhaftiert.

Wir werden nicht zulassen, dass die deutschen Behörden massenhaft Menschen in die Gefängnisse des syrischen Folterstaats abschieben.

DEMONSTRATION
5. DEZEMBER 2009 HANNOVER

SCHLUSS MIT DEN ABSCHIEBUNGEN NACH SYRIEN!
WEG MIT DEM DEUTSCH-SYRISCHEN ABSCHIEBE-RÜCKÜBERNAHMEABKOMMEN!
BLEIBERECHT JETZT!

Stellungnahme abschiebebedrohter Menschen aus Syrien:

Das deutsch-syrische Abschiebe-Rückübernahmeabkommen
ein skandalöses Vertragswerk

• Das deutsch-syrische Abschiebe-Rückübernahmeabkommen betrifft alle syrischen Staatsbürger/innen, aber auch alle syrischen Staatenlosen, die ohne sicheren Aufenthalt, also zum Beispiel mit einer „Duldung“, in Deutschland leben.

• Für viele Syrische Staatenlose besteht sogar dann das Risiko einer Abschiebung, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz haben. Der Grund: Sie hatten die Aufenthaltserlaubnis nur bekommen, weil es bisher für die deutschen Behörden nicht möglich war, Staatenlose nach Syrien abzuschieben. Das ändert sich nun mit dem deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommen.

• Nach dem Abkommen können auch Transitflüchtlinge nach Syrien abgeschoben werden, die keine Syrer/innen sind, aber sich vor der Einreise nach Deutschland in Syrien aufgehalten haben oder durch Syrien durchgereist sind.

• Wenn auf die Anfrage, ob jemand zu der Personengruppe gehört, die nach Syrien abgeschoben werden darf, von den syrischen Behörden keine Antwort kommt, dann gilt dies als Zustimmung.

So ähnlich könnte Ihre Abschiebung angekündigt werden:

—————————————————————————————————————–
„Sehr geehrte Familie X,

Es wurde Ihnen bereits schriftlich mitgeteilt, dass Ihr Antrag auf Durchführung eines weiteren Verfahrens abgelehnt wurde. Gemäß dieser Entscheidung liegen keine Hinweise auf eine schwerwiegende Gefährdung im Falle Ihrer Rückkehr nach Syrien vor. Aufgrund des Rückübernahmeabkommens mit der arabischen Republik Syrien ist Ihre Ausreise möglich und vollziehbar. Damit sind Sie zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet.Sie sind verpflichtet, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 14 Tagen zu verlassen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, wird nach Ablauf dieser Frist wird ohne weitere Ankündigung die Abschiebung in die Wege geleitet.

Hochachtungsvoll,

I.A. Manfred Biedermann
Landratsamt x-burg, Abteilung Ausländerangelegenheiten“

Ist es einfach, so eine Entscheidung zu treffen?

Ja, es ist einfach, aber für uns ist es nicht einfach, weil wir seit Jahren hier sind, weil wir hier fast unser ganzes Leben verbracht haben, weil wir hier integriert sind und fast nur die deutsche Sprache sprechen.

Es ist nicht einfach für uns, wenn wir durch ein Gesetzt abgeschoben werden, das nicht menschlich ist!

Wenn wir abgeschoben werden, dann kommen wir nicht in unser Heimatland. Dort ist für uns
jetzt ein fremdes Land. Die Frage für uns ist, ob wir dort weiterleben können und ob man uns nicht ins Gefängnis wirft oder uns umbringt.

Deswegen werden wir für unsere Rechte kämpfen, damit wir hier bleiben können!

LEUTE, KÄMPFT MIT UNS AUS GRÜNDEN DER MENSCHLICHKEIT! GEMEINSAM KÖNNEN WIR ES SCHAFFEN! EGAL WER DU BIST UND WOHER DU KOMMST, KOMM ZU UNSERER DEMO, UM MIT UNS ZU KÄMPFEN!

Cordula Meyer sagt, wie es nicht ist

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Was diese Frau uns so bietet im SPIEGEL ist schon ein sehr starkes Stück.Muss man eigentlich, um heute beim SPIEGEL erfolgreich schreiben zu können (ich schrieb da auch mal, aber das ist echt lange her und war auch nur kurz) dieses neoliberal/neocon-Neusprech draufhaben?

„Er eignet sich als Galionsfigur für Protestbewegungen gegen die Todesstrafe, gegen Rassismus, gegen Unrecht im US-Justizsystem, gegen Globalisierung, gegen alles, was Linke weltweit an Amerika hassen.“

Wenn ich jetzt mal im Netbitch-Style eine logische Umkehrung anwende, bedeutet das also links=antiamerikanisch, und proamerikanisch sei es, für Todesstrafe, für die US-amerikanische Vergeltungsjustiz, für Globalisierung und Rassist zu sein. Für solches Phrasendenken dürfte in seriösen Medien eigentlich kein Platz sein, das ist Bild-Niveau. Vielleicht sollte sich der SPIEGEl hinsichtlich Journalistendeutsch mal an Dotcomtod orientieren, wo auf Phrasendenken noch regelmäßig die Drohung des Nörglers folgte, eigenhändig in den Häcksler gesteckt zu werden.

Weiter im Text: „Er gehörte zum Umfeld der Kultbewegung Move. Die Mitglieder dieser Schwarzenkommune propagierten die Revolution und das unbedingte Lebensrecht von Kakerlaken. Zum Schluss trugen die Sektierer dann Waffen.“ — Aus der Tatsache, das MOVE zeitweise mit den Positionen radikaler Tierrechtler liebäugelte, wird ein Satz konstruiert, der rein semantisch radikale Schwarze mit langen Rasta-Locken in die Nähe von Ungeziefer rückt. Na ja, und für Ungeziefer gab es ja schon immer die Gaskammer, nicht wahr?

Nicht auf der reinen Faktenebene, sondern in gewissen sprachlichen „Besonderheiten“ liegt das Üble dieses Artikels, dessen Tendenz dann eben auf eine Befürwortung der Todesstrafe für Mumia hinausläuft, aber so geschickt formuliert, dass die Autorin direkt niemand festnageln kann. Und die eigentlichen Hammer-Aussagen kommen dann eben auf Metaebenen, da mit Assoziationen und nicht mit klaren Bekenntnissen zu dem Ungeheuerlichen gearbeitet wird, das da latent mitschwingt. Man kann diesem Kommentar nur zustimmen:

„Was also will nun die Dame Cordula Meyer mit ihrem Geschreibsel? Will sie uns damit vermitteln, daß man den einen Schwarzen ruhig noch vergasen/totspritzen/verbrennen kann, bevor man endlich mal wieder eine ernsthafte Diskussion über „Sinn und Nutzen“ der Todesstrafe in einem „G8-Staat“ anregen kann? Oder wie? Warum kein empörter Artikel über dieses Thema Todesstrafe insgesamt?
So kommt es für mich leider so rüber, wie oben schon erwähnt: Die Frau hat Recht auf ihre Rache, der Schwarze ist schuldig, bringt ihn um!“

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,645083,00.html

Nachtrag zu einer alten Debatte

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Zu den Mucken und Tücken eines Ansatzes, um dessen Richtigkeit, Plausibilität und Reichweite Momorulez, Nörgler, T.Albert und ich uns heftigst gefetzt hatten kommt hier nochmal eine Perspektive, die das Ganze in eine neue Richtung aufspannt; ist allerdings reichlich sperriger Stoff.

http://www.wildcat-www.de/wildcat/66/w66hartm.htm

Steht der Iran vor einer neuen Revolution?

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Bezeichnend, dass sich in der Blogwelt bislang eher wenige Leute dazu Gedanken zu machen scheinen, außer halt IranerInnen.

Nachschlag: Zur angeblichen Erblichkeit von Intelligenz

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Ein interessanter Artikel in der New York Times:

http://www.nytimes.com/2009/04/16/opinion/16kristof.html?_r=1&em

Written by chezweitausendeins

19. April 2009 at 10:33

Solidarität im neuen Format

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Das war schon Klasse heute. Nicht nur eine gute Demo, sondern ein weltweiter Zusammenhang, ein internationaler Großkampftag sozusagen. Hoffe mal, dass das erst der Auftakt für einen heißen Frühling war!

http://www.28maerz.de/

Written by chezweitausendeins

28. März 2009 at 18:49

Welches Milieu trägt noch etwas aus?

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Nicos Poulantzas hatte Recht, als er den für den Sieg des Faschismus das Scheitern der Linken beim Versuch der Herstellung einer kulturellen Hegemonie verantwortlich machte. Gramsci folgend, stellte er fest, dass die Linke nach dem Ersten Weltkrieg einen solchen Versuch unternommen hatte, der einerseits die Erschütterung, welche die ästhetische Moderne für die bürgerlichen Denkgewohnheiten bedeutet hatte verstärkte und andererseits die kulturelle und solidargemeinschaftliche Stärke des Arbeitermilieus gegen die Bourgeoisie in Stellung zu bringen versuchte. Und über Gramsci hinausgehend konstatierte er, dass Ursache des Faschismus ein Scheitern der proletarischen Revolution einerseits und eine kulturelle Anomie, ein kulturelles Vakuum andererseits war. Ob in Italien, Deutschland oder Spanien – Der Faschismus kam zur Macht, nachdem die Revolution von links gescheitert war, die kulturelle Hegemonie aber keineswegs zurück in die Hände der Bourgeoisie gelangte, sondern sich im Gegenteil in Kunst und Ästhetik sich eine ungebändigte, zügellose Revolution abspielte, die in der gesellschaftlichen Realität eben nicht stattfand. Anders waren futuristische Faschisten und expressionistische Nazis nicht denkbar. Sie reproduzierten eine bürgerliche Herrschaft, aber sie taten dies teilweise mit den Mitteln einer ästhetischen Avantgarde, die sie andererseits, wo sie ihnen nicht passte, auch sang- und klanglos liquidierten oder als „entartet“ brandmarkten. Nicht das Ausfransen der Gesellschaft Weimars zu den extremen Rändern hin und ein daraus folgender Machtkampf Nazis gegen Kommunisten kennzeichnet nach Poulantzas die Situation 29-33, sondern die endgültige Niederlage der kommunistischen Revolution bei Fortbestehen einer starken kommunistischen Partei und eines Kampfes um die kulturelle Hegemonie, bei dem sich die Rechte, zuerst in Form der Konservativen Revolution, der Ästhetik und Methoden der Linken ein Stück weit bediente.

Es ist nicht nur zu fragen, ob sich diese Erkenntnisse auf die heutige Situation übertragen lassen und wenn ja, wie. Es stellt sich vor allem die Frage nach der Ausstrahlungskraft sozialer Milieus. Die alte, revolutionäre Arbeiterbewegung war nach dem Zweiten Weltkrieg Vergangenheit. Dennoch revitalisierte sich im Westen eine teils kommunistische, teils sozialdemokratische Arbeiterkultur, die der Bürgergesellschaft ihre eigene Gegenökonomie entgegenstellte, wie dies schon seit dem Kaiserreich der Fall gewesen war. Konsumgenossenschaften, ViVo-Läden, Volks- und Raiffeisenbanken, Wohnungsbaugenossenschaften, die Arbeiterwohlfahrt, der Reichsbund, all das waren honorige proletarische Organisationen, welche der Arbeiterbewegung eigene wirtschaftliche Macht verschaffen sollten. die daran gebundenen klassischen Arbeitermilieus, wie sie sich am Stärksten im Kohlenpott und in den Hansestädten sowie bei Bahnarbeitern zeigten mögen spießig und in ihren Strukturen der sozialen Kontrolle auch eng und disziplinierend gewesen sein, sie bildeten trotzdem auch einen Rahmen für Solidarität und kollektive Renitenz. Mit einer solchen Arbeiterschaft war nur Keynesiasnismus möglich, gegen Massenentlassungen und Neoliberalismus hätte die sich gewehrt.

Das Ausdünnen der Industriearbeiterschaft durch Rationalisierungsschübe, die Hochlohnpolitik und soziale Sicherheit in der Metallindustrie seit den 1970ern, der Aufstieg durch Bildung, der aus Arbeiter- und Kleinbürgerkindern massenhaft Akademiker machte, all dies ließ das klassische Arbeitermilieu erodieren. Als mit dem Neue-Heimat-Skandal um 1980 herum auch noch die völlige Korrumpiertheit eines der Vorzeigeunternehmen im Gewerkschaftsumfeld sichtbar wurde, führte den als proletarisch begriffenen Kampf gegen die Wohnraumspekulanten längst eine Bewegung, die nicht mehr aus den Arbeitermilieus hervorgegangen war.

Die alternative Bewegung der 70er und 80er Jahre war teils noch aus der 68er-Linken gewachsen, teils im Zusammenhang mit dem neuen Projekt der gerade entstehenden Grünen. Ein zweites Mal, ohne Kontakt zur klassischen Arbeiterbewegung, aber zum Teil deren Handlungsweisen auf frischere, oft auch improvisierte Art aufgreifend, entstand in jenen Jahren aus Landkommunen, Ökobäckereien, Food-Koops, linken Buchläden, Szenekneipen, Kulturzentren in besetzten Häusern, Fahradläden und sonstigen kollektiv betriebenen Handwerksunternehmen und Druckereien usw. eine Gegenökonomie der Neuen Linken. Diese finanzierte viele linke Projekte und fiel zeitlich und personell zusammen mit dem Zusammenwachsen von Anti-AKW-, Häuserkampf- und Friedensbwegung zu einer Art gemeinsamem sozialen Milieu. Die Grünen auf der einen und die Autonomen auf der anderen Seite stellten seinerzeit den gemäßigten und radikalen Flügel der gleichen Bewegung dar, die sich von den orthodoxen Kommunisten scharf abgrenzte, an die aber auch der KB noch andockte.

Reste dieser Szene, dieser Lebenswelt existieren bis heute, wie ich gerade bei den letzten Demomobilisierungen gesehen habe. Der größte Teil hat sich aber längst zu einem behäbigen und in vielen Fällen unsagbar selbstgerechten Ökospießertum entwickelt. Auf was für ein Milieu soll sich aber gesellschaftlicher Widerstand gegen staatliche Drangsalierung der neuen Armen, gegen weiteren Sozialabbau und Kampf für soziale Gerechtigkeit und Freiheit und Selbstbestimmung der ökonomisch Schwachen stützen? Wenn ich Karlo Roth folge (und ich habe guten Grund, dies zu tun), setzt sich die Unterklasse permanent neu zusammen, aus sozialen Milieus, die mit dem Begriff „proletarisch“ schwer zu fassen sind – vom outgesourcten 1-Mann-Job-Programmierer bis zur Aldi-Kassiererin, von Migranten-Milieus bis zur „Generation Praktikum“. Wie eine Perspektive all dieser Leute entwickeln (noch dazu durch diese Leute, also sie für sich selbst), wie das alles zu einer Bewegung zusammen bringen? Denn genau das tut Not.

Das knutschende deutsch-türkische Pärchen an der Ladenkasse

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Beim Einkaufen im Supermarkt wartete vor mir in der Schlange ein junges hetersosexuelles Pärchen, so um die 17, 18 Jahre alt, beides Kinder türkischstämmiger Familien aus der Nachbarschaft. Sie beichtete ihm gerade, dass sie einen anderen, deutschen Jungen geknutscht und sich dabei eine Erkältung geholt hätte, und dann diskutierten die beiden ausgiebig und ziemlich entspannt über ihre Beziehung und inwieweit Knutschereien mit Dritten erlaubt seien oder nicht, alles in Mithörlautstärke für den Supermarkt, während sie sich wechselseitig abknutschten und befummelten. Ich wünschte mir in diesem Augenblick all jene Kurzdenker herbei, für die die Begriffe „Türken/Muslime/Sex-Beziehungen“ nur im Zusammenhangmit Zwangsheirate und Ehrenmorden thematisierbar erscheinen. Vor allem aber beneidete ich sie um ihre Lockerheit und Offenheit, die mir in all den Jahren leider gründlich ausgetrieben wurde. Sollen sie glücklich damit werden. Aber den Eindruck machen sie ja gerade.

Written by chezweitausendeins

11. Februar 2009 at 15:41

Gewesene Linke, heute: Die Phantom-Antifa

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Als Anfang der 1990er die hier ja schon behandelte Autonome Antifa (M) für sich beanspruchte, mit der von ihr vorangetriebenen Schaffung einer bundesweiten Antifa-Organisation die führende Kraft in der autonomen Linken in Westdeutschland zu sein, begab sich eine wundersame Kundgebung. Ein Sprecher der M betonte in martialischem Tonfall, seine Gruppe sei der wesentlichste Faktor in der autonomen Szene Niedersachsens im Allgemeinen und Göttingens im Besonderen. Als aus der Menge der Hinweis auf eine sehr aktive andere Antifa-Gruppe kam, die nicht zu der noch virtuellen bundesweiten Organisation gehörte, kam von ihm die süffisante Bemerkung, diese Gruppe sei ein Phantom: Es gäbe sie wohl, man sähe sie aber nie. Bei der nächsten größeren Antifa-Demo liefen dann haufenweise Leute mit, die T-Shirts trugen, auf denen das Phantom der Oper abgebildet wurde mit dem Spruch darunter: „Phantom-Antifa“. Köstlich!l