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Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

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Das Trauma der politischen Elite

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Bewegungslehre spezial

„Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hat gesagt: Der Islam gehört zu Deutschland. Und das ist so. Dieser Meinung bin ich auch.“

Angela Merkel, Januar 2015

Was bisher geschah: Letzte Woche wurde anläßlich der Attentate auf die Redaktion von Charlie Hebdo und den Ermordeten im jüdischen Supermarkt darüber nachgedacht, welche Geschehnisse als bewegungsauslösende Ereignisse gelten können und welche nicht. Und diese Überlegungen endeten mit dem Hinweis, daß Beteiligung von über 40 Regierungschefs an der Trauer-/Protestkundgebung in Paris gesonderte Aufmerksamkeit verdient.

Um noch einmal meine Hypothese zu rekapitulieren: Wenn gesellschaftliche Ereignisse zu spontanen Massenaufläufen führen, dann ist dies ein Indikator dafür, daß solche Ereignisse als traumatisierende Störung der bestehenden Ordnung erfahren werden. Und die Massenbildung muß als ein Versuch verstanden werden, diese gestörte Ordnung durch die Bildung einer Masse zu negieren. In der Masse versichert man sich, daß die Störung der Ordnung eine Ausnahme ist, eine Singularität, und daß prinzipiell die Ordnung der Welt, wie man sie alltäglich erfährt, nicht grundsätzlich in Frage gestellt ist (das gelingt nicht immer, dann kann das Ereignis zum Auslöser einer Bewegung werden, die versucht, wieder eine Ordnung herzustellen; doch dies nur nebenbei).

Ich hatte dieses Phänomen schon vor einigen Folgen angesprochen – nicht anhand eines islamistischer Attentate, sondern anhand traumatisierender Verbrechen, die keinen unmittelbar gesellschaftlichen Hintergrund haben, beispielsweise wenn ein Kind entführt, mißbraucht und ermordert wird. Dann zieht es die Menschen als Masse auf die Straße, um Plüschtiere oder Kerzen an einem symbolträchtigen Ort abzulegen. Und ein analoges Gefühl dürfte auch die große Masse derer, die dann in Paris auf die Straße gingen, angetrieben haben. Doch das Verhalten der Regierungschefs verlangt nach einer komplexeren Erklärung.

Natürlich sind auch Politiker Menschen (meistens zumindest – bei Margaret Thatcher war ich mir da nie so ganz sicher). Und insofern ist es eine ganz natürliche Reaktion, sich der Masse anzuschließen. Aber über 40 Regierunschefs zusammen? Ich hatte letzte Woche schon erwähnt, daß das für die Sicherheitskräfte ein Alptraum gewesen sein muß. Als Staatschef kann man es sich eigentlich nicht leisten, solchen Emotionen einfach nachzugeben.

Man kann natürlich auch das Gegenteil annehmen: Daß das Ganze eine ganz typische politische Inszenierung war. Man muß als Politiker in einem solchen Fall Mitgefühl und Trauer zeigen, und natürlich wäre es für Hollande äußerst unklug gewesen, nicht auf der Kundgebung aufzutreten. Doch das gilt eigentlich nur für den französischen Regierungschef, nicht für die ganzen anderen. Hier hätten die üblichen Betroffenheitsfloskeln gereicht: Man kondoliert und gibt seinen Abscheu über die feige und hinterhältige Tat zu Protokoll. Im Normalfall war’s das.

Nach den Anschlägen in Madrid 2004 beispielsweise gingen 11 Millionen Menschen auf die Straße – doch es gab keinen Block der Regierungschefs. Im Gegenteil, die mitmarschierenden Politiker der Regierungspartei Partida Popular mußten die Demonstration unter Polizeischutz verlassen. Bei den U-Bahn Attentaten in Londen 2005 versammelten sich zwar Menschen auf dem Trafalgar Square zu einer Schweigeminute – doch dazu gesellten sich keine ausländischen Regierungschefs; und diese glänzten auch durch Abwesenheit beim Gedenkgottesdienst in der St. Paul’s Cathedral.

Die Anschläge von Paris müssten sich also von denen in Madrid und London deutlich unterscheiden, damit sie so vielen Regierungschefs so unter die Haut ging, daß sie sich zu dieser Geste entschlossen. Es ist ziemlich seltsam, daß sich darüber niemand wirklich Gedanken gemacht hat. Deshalb will ich hier versuchen, dieses außergewöhnliche Verhalten zu deuten. Und diese Deutung wird in eine andere Richtung gehen, als man spontan erwarten würde.

Ich weiß, daß ich inzwischen nur noch ein Gähnen ernten werde, wenn ich wieder einmal behaupte, daß es eine als traumatisch empfundene Störung der Ordnung ist, die die Reaktion der Regierungschefs ausgelöst hat. Doch diese Behauptung ist nicht so trivial, wie sie erscheint. Denn es ist offensichtlich nicht einfach die Tatsache eines islamistischen Anschlags, die zu dieser traumatischen Erfahrung geführt hat. Die Anschläge von Madrid oder London waren deutlich verheerender, haben aber auf Seiten der politischen Klasse nur zu business as usual geführt: Man drückte seine Abscheu über die „feigen“ Attentate aus und ging dann zur Tagesordnung über. Islamistische Attentate sind, zumindest nach 9/11 und für Politiker durchaus Teil der Ordnung. Ein häßlicher, tragischer Teil der Ordnung, aber leider etwas, mit dem man rechnen muß.

Es muß also etwas anderes gewesen sein als die bloße Furcht, ein Anschlag wie der in Paris könnte sich in näherer oder fernerer Zukunft wiederholen, die die Politiker im Rudel auf die Straße trieb. Dieser terroristische Akt mußte die bestehende Ordnung auf eine andere Art und Weise in Frage gestellt haben, als es frühere Anschläge taten. Und meine Vermutung ist, daß der spontane Gedanke, der sich einstellte, als man von den Attentaten erfuhr, eben nicht war: „Oh Gott, schon wieder ein islamistischer Anchlag“. Sondern: „Oh Gott, diese Scheiße ist Wasser auf die Mühlen von Pegida“ – oder des Front National, oder der UKIP, oder was es, je nach Land, an rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen gibt, die ihre Anhänger mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Islamophobie ködern.

Wenn diese Hypothese stimmt – und sie scheint mir mehr als plausibel –, dann war dieser große Schulterschluß der Regierungschefs kein Signal an die Islamisten, sondern an die diversen Rechtspopulisten der verschiedenen Länder. In Frankreich wurde dies unverblümt ausgesprochen, als Marine Le Pen und ihrem Front National explizit deutlich gemacht wurden, daß sie auf der Trauerkundgebung unerwünscht seien. Aber auch in der BRD wurde gebetsmühlenhaft wiederholt, daß die Anschläge keineswegs Pegida nutzen dürften. Offensichtlich wird die politische Klasse von der Furcht umgetrieben, daß rechtspopulistische Bewegungen tatsächlich die bestehende politische Ordnung in Frage stellen könnten. Und es läßt sich nicht leugnen, daß der Front National in Frankreich oder die UKIP in Großbritannien auf einem unguten Weg sind, genau dies zu erreichen.

Von den Wahlerfolgen der französischen oder britischen Rechtspopulisten ist die AfD in der BRD noch weit entfernt; und ob Pegida die nächsten Wochen überlebt, ist doch sehr zweifelhaft. Dennoch ist die politische Elite auch hierzulande ziemlich verstört, wie man an den Reaktionen auf die Pariser Attentate ablesen kann. Denn es folgten eben nicht nur die üblichen und erwartbaren politischen Reflexe („Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung“ etc.). Diese gab es zwar auch, aber sie wurden übertönt von der mantrahaften Beschwörung einer Selbstverständlichkeit, nämlich der, daß die Muslime nicht pauschal für irgendwelche durchgeknallten islamistischen Kriminellen verantwortlich gemacht werden dürften.Merkel bekräftigte sogar noch einmal explizit Wulffs Diktum, daß der Islam zu Deutschland gehöre.

Der Schock für die politische Elite bestand also darin, daß sie fürchten muß, die Anschläge würden einer inneren Opposition nützen, die sich vom politischen Establishment auf die übliche Art und Weise nicht integrieren läßt. Fast könnte man diese Furcht sogar goutieren, wenn diese Opposition nicht so unappetitlich wäre. Denn tatsächlich ist es ja der Anti-Islamismus, der die verschiedenen Spielarten des Rechtspopulismus in Europa zusammenhält. Und es ist die Furcht vor dem Erstarken dieser gesellschaftlichen Kräfte, die meines Erachtens die Regierungschefs in Paris auf die Straße trieb.

Denn genau das ist die Differenz zwischen den Anschlägen in Madrid und London: Damals war der anti-islamistische Rechtspopulismus noch lange nicht so stark, als daß sich die politische Elite Europas darüber ernsthaft Gedanken machen mußte. Das hat sich im vergangenen Jahrzehnt geändert. Es gibt nicht mehr nur xenophobe Neonazis am rechten Rand, sondern die Ideologie des Anti-Islamismus reicht bis weit in die gesellschaftliche Mitte. Allein der Erfolg der kruden Thesen von Thilo Sarrazin belegt dies. Und deshalb werde ich mir nächste Woche Pegida etwas genauer anschauen.

Freuen Sie sich also auf nächste Woche, wenn Byung-Chul Han erklärt:

„Pegida lenkt die Öffentlichkeit vom Versagen der Politik ab.“ ([1])

Nachweise

[1] Han, B.-C., „Zuhören! Pegida ist kein politischer Protest, sondern ein Angstsymptom“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Jg.15 (2015), Nr.3 (18. Januar 2015), S.36.

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30. Januar 2015 at 17:04

Veröffentlicht in Ereignis

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Warum wir Charlie sind und nicht Yoan

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Bewegungslehre spezial

Was bisher geschah: Statt sich um Gegenwartsprobleme zu kümmern, trieb sich der Autor dieses Blogs mental in der Zeit des Bauernkriegs herum, um zu begreifen, wie gesellschaftsverändernde Bewegungen entstehen und wie sie sich im Verlauf transformieren. Doch der Schein trog: Was dort, mit gehörigem historischen Abstand, sichtbar wird, ist für eine Deutung gegenwärtiger gesellschaftlicher Phänomene außerordentlich nützlich.

Dennoch hatte ich nicht vor, so schnell in die Gegenwart zurückzuspringen – noch fehlen wesentliche Bausteine, um die Dynamik auch heutiger Bewegungen zu verstehen. Ich habe mich dennoch entschlossen, zumindest für einige Folgen dieses Blogs auf die Gegenwart zurückzukommen. Zu drängend scheinen mir die Fragen, die von den jüngsten Ereignissen aufgeworfen werden, als daß ich stur meinem Plan folgen will. Deshalb wird es heute einige (vorläufige) Bemerkungen zur Gegenwart geben, zu den Attentaten in Paris und zu der „Je suis Charlie“-Euphorie, die dadurch ausgelöst wurde.

Für das, was ich im folgenden untersuchen will, ist es sehr wichtig, sich ins Bewußtsein zu rufen, daß nicht nur die Redaktion von Charlie Hebdo angegriffen wurde, sondern auch Kunden in einem jüdischen Supermarkt. Dabei will ich in dieser Folge gar nicht darauf eingehen, daß die Angreifer militante Islamisten waren. Die Bedeutung der islamistischen Bewegungen wird einer späteren Folge vorbehalten. Vielmehr geht es mir heute darum, die Attentate als Ereignis zu verstehen. Ich habe in diesem Blog schon öfter darauf hingewiesen, daß in den meisten Fällen, wenn eine Bewegung entsteht, am Anfang ein Ereignis steht; daß dieses Ereignis eine traumatisierende Wirkung entfaltet; und daß die daraus resultierende Bewegung ein Versuch ist, dieses Trauma zu bewältigen.

Die traumatisierende Wirkung der Ereignisse in Paris steht außer Frage. Dennoch sollten wir uns nicht so einfach mit dieser Feststellung begnügen, sondern dieses Trauma etwas genauer in Augenschein nehmen. Wenn wir uns die allgemeine Medienberichterstattung vor Augen führen, dann wird offensichtlich vor allem der brutale Überfall auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo als traumatisches Ereignis begriffen. Der Tod der Kunden in einem jüdischen Supermarktes spielte nur eine sehr untergeordnete Rolle (zumindest für den nichtjüdischen Teil der Öffentlichkeit): Die Parole der schnell entstehenden Bewegung war „Je suis Charlie“, manchmal auch „Je suis Ahmed“ – nach Ahmed Merabet, dem muslimischen Polizisten, der ebenfalls von den Attentätern hingerichtet wurde. Aber sie war beispielsweise nicht „Je suis Yoav“ nach Yoav Hattab, der im Supermarkt bei dem Versuch ermordet wurde, dem Attentäter eine seiner Waffen zu entwenden.

Warum gingen die jüdischen Opfer in der Berichterstattung weitgehend unter? Warum berührt ihr Tod uns nicht auf die gleiche Weise wie die der anderen Opfer (und ich nehme mich dabei nicht aus)? Um diese Fragen zu beantworten, will ich noch ein weiteres Ereignis hinzunehmen, das just am selben Tag stattfand wie der Anschlag auf Charlie Hebdo: Ebenfalls am 7. Januar massakrierte die islamistische Terrororganisation Boko Haram in der nigerianischen Stadt Baga geschätzte 2.000 Menschen. Im Gegensatz zu den Toten in Paris wurde dies kaum zur Kenntnis genommen. Doch warum? Warum wühlen uns die wenigen Opfer in Paris so viel mehr auf als 2.000 andere in Nigeria?

Die erste Hypothese, die sich aufdrängt, ist natürlich die, daß es einfach die Entfernung ist: Mit Menschen in Paris identifizieren wir uns leichter als mit Menschen in Baga (wo ist das überhaupt?). Doch dieser Hypothese widersprechen die toten Kunden im Supermarkt. Mit ihnen sollte uns eigentlich die Identifikation am leichtesten fallen. Sie haben das gemacht, was wir alle ständig machen: Sie haben im Supermarkt eingekauft. Verglichen damit sind die Redakteure von Charlie Hebdo weit von uns entfernt. Schließlich gehört es nicht zu unserem Alltag, Hohn und Spott über Religionen auszuschütten. Insofern sollte eigentlich der Identifikationsmechanismus mit den Menschen im Supermarkt unmittelbarer greifen als mit den Satirikern.

Weshalb eine zweite Hypothese naheliegt: Ist es vielleicht so, daß hier unterschwelliger Rassismus oder Antisemitismus zum Tragen kommen? Die einen Opfer waren Schwarze, die anderen Juden. Als solche, so könnten wir uns den Vorwurf machen lassen, werden sie als nicht zu uns gehörig betrachtet und verdienen damit auch nicht unsere Empathie. Ich halte das für falsch. Der Punkt ist nicht existierende oder fehlende Empathie. Wie können auch diese Attentate entsetzlich finden, aber wir reagieren anders auf sie. Sie treiben die wenigsten von uns dazu, einen Tweet mit Hashtag #jesuisjuif abzusetzen, und sie motivieren uns schon gar nicht, auf die Straße zu gehen.

Deshalb möchte ich eine dritte Hypothese zur Diskussion stellen, die ich für die plausibelste halte – obwohl so etwas natürlich schwerlich empirisch zu beweisen ist. Meine Hypothese ist, daß für uns – und das ist schwer zu schlucken – Attentate auf Juden und Massaker in Afrika einen festen Platz in unserem Weltbild haben, daß sie für uns in einem perversen Sinne „normal“ sind. Das soll nicht heißen, daß wir nicht zutiefst entsetzt sind darüber. Aber bei derartigen Ereignissen handelt es sich um Teile unseres Erfahrungschatzes, die fest in unserem Weltbild verankert sind. Es ist nichts wirklich Neues für uns, daß Juden von Terroristen ermordet werden oder daß in Afrika ganze Dörfer ausradiert werden.

Das hat sicherlich viel mit der medialen Berichterstattung zu tun. Vom ganz normalen jüdischen Leben bekommen wir in der Regel nichts mit. Nur wenn wieder irgendwo ein antisemitisches Attentat verübt wird, tritt ihre Existenz in unser Bewußtsein. Und weil wir so etwas schon oft genug gehört haben, nehmen wir es nicht als überraschend wahr. Natürlich ist es entsetzlich, wenn wir von der Ermordung jüdischer Supermarktkunden hören – aber dieses Entsetzen ist keine traumatische Erfahrung, weil wir so etwas bereits kennen. So etwas ist zutiefst traurig, aber es ist nicht schockierend. Das selbe gilt für irgendwelche Massaker in Afrika. Wir haben das schon viel zu oft im Fernsehen gesehen, als daß das unser Weltbild erschüttern würde. Das hat nicht unbedingt etwas mit Abstumpfung zu tun, obwohl das sicherlich auch ein Teil davon ist. Der entscheidende Punkt ist, daß solche Ereignisse in unserem Bild der Welt ihren Platz haben. Wenn sie dann eintreten, nehmen wir sie eher als Bestätigung unseres Weltbildes denn als eine Infragestellung wahr.

Nicht Teil unseres Weltbildes ist es hingegen, wenn jemand wegen eines schlechten Witzes mit einer Kalaschnikow niedergemäht wird. Das ist eine Tat, die genau diese schockierende Wirkung entfaltet, die notwendig ist, um unser Bild von der Ordnung der Welt ins Wanken zu bringen. Bei solchen Ereignissen tut sich ein Abgrund auf, der uns zu verschlingen droht – völlig unabhängig davon, ob wir selbst betroffen sind. Und das setzt uns dann emotional und schließlich auch tatsächlich in Bewegung. Wir suchen die Straße auf, treffen uns mit Gleichgesinnten, für die das Ereignis die selbe schockierende Wirkung gehabt hat; und wir versuchen in der Masse diesen Riß zu kitten. Das ist es, was die Massen unter der Parole „Je suis Charlie“ auf die Straße gebracht hat, die Erschütterung der Ordnung. Man mag das, angesichts der Opfer, die keine solche Erschütterung auslösen, zynisch finden – doch das ist nicht der Punkt. Das ist keine Unterscheidung zwischen Opfern erster und zweiter Klasse. Es geht darum, die Mechanismen zu begreifen, die in solchen Situationen wirksam werden.

Das ist für die treuen Leserinnen dieses Blogs natürlich keine Offenbarung. Ich habe diesen Mechanismus schon an verschiedenen Beispielen durchexerziert. Doch die Ereignisse in Paris sind ein wirklich schlagendes Beispiel dafür, daß es Risse in der symbolischen Ordnung sind, die Menschen auf die Straße bringen. Gewalt oder Elend an sich bringen keine Massen in Bewegungen. Um Ereignis zu werden, müssen die Gewalttaten oder das Elend als etwas begriffen werden können, das die bislang akzeptierte Ordnung der Welt in Frage stellt.

In zugespitzter Form gilt das auch für eine andere, unzureichend gewürdigte Reaktion auf das Ereignis. Ich meine die Demonstration der Regierungschefs. Offensichtlich hat sich niemand darüber Gedanken gemacht, warum auf einmal Regierungschefs auf die Straße gehen. Stattdessen wurde herumgenörgelt, daß diese nicht mittenmang liefen, daß ihr Auftritt „inszeniert“ gewesen sei und daß die Tagesschau den Charakter dieser „Inszenierung“ nicht aufgedeckt habe. Das ist mehr als albern, denn das eigentlich Verblüffende ist, daß diese Demonstration innerhalb der Demonstration überhaupt stattgefunden hat. Für die Sicherheitsleute muß das ein totaler Alptraum gewesen sein, und ich bin mir sicher, daß es lange und harte Diskussionen gab, bevor die Verantwortlichen für den Personenschutz kleinbeigaben. Der Sicherheitsabstand zur eigentlichen Demonstration war wohl das Einzige, was den Regierungschefs abgetrotzt werden konnte. Doch warum überhaupt dieser riskante Gang auf die Straße? War das nur ein leerer Propagandacoup? Oder steckt da mehr dahinter? Ich glaube schon.

Warum ich das glaube und was diese Demonstration der Regierungchefs bedeutet, erfahren Sie nächste Woche in diesem Blog.

Written by alterbolschewik

24. Januar 2015 at 16:19

Veröffentlicht in Bewegung, Ereignis

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Nochmal sorry

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Der heutige Text ist fast fertig – aber nur fast. Er wird erst morgen erscheinen.

Written by alterbolschewik

23. Januar 2015 at 18:30

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Sorry

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Wichtige Termine haben mich heute leider gehindert, einen Text zu verfassen. Wir lesen uns wieder nächsten Freitag.

Es grüßt die Leserschaft recht herzlich

Der Alte Bolschewik

Written by alterbolschewik

16. Januar 2015 at 18:38

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Von der Abwehr zur Utopie

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Bewegungslehre (10)

„Die ersten Bauernaufstände auf deutschem Boden […] ware die Judenverfolgungen“

Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg

Was bisher geschah: Letzte Woche haben wir gesehen, daß die Bauern des 15. Jahrhunderts nicht in erster Linie über ihre miserable ökonomische Situation klagten, sondern daß sie sich darüber empörten, daß an die Stelle der alten Rechtspflege das neue römische Recht gesetzt werden sollte. Es ist diese Störung der Ordnung, die die Bewegung hervorrief, nicht unvermittelte ökonomische.

Nun ist es – zumindest für die Leserinnen dieses Blogs – keine besondere Neuigkeit, daß aufständische Bewegungen durch einen Bruch innerhalb der von allen geteilten gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen ausgelöst werden. Ich habe das hier schon an diversen Beispielen dargestellt. Und ich habe auch schon öfter darauf hingewiesen, daß es oft ein symbolisches Ereignis ist, an dem sich dieser Bruch der Ordnung für das Bewußtsein der Bewegten manifestiert. Das Ereignis, in dem der Bruch der bestehenden Ordnung sich exemplarisch aufscheint, mobilisiert dann schlagartig Energien, die die Gesellschaft fundamental verändern können.

Um kurz in die Aktualität abzuschweifen: Das Attentat auf Charlie Hebdo in Paris ist ein solches Ereignis. Noch ist nicht abzusehen, welche Kräfte es mobilisieren wird – ob es Muslime aufrüttelt, endlich einen klaren Trennungsstrich zwischen dem Islam und den islamistischen Mordbrennern zu ziehen; oder ob es die islamophoben Bewegungen der Rechten an die Macht spülen wird; oder ob es einer mobilisierten demokratischen Öffentlichkeit gelingt, ihre Grundwerte bedingungslos gegen ihre vielfältigen Gegner zu verteidigen. Für alle diese Szenarien sind heute, zwei Tage nach dem Attentat, Indizien zu finden. Welche Interpretation des Ereignisses und der zerbrochenen Ordnung sich durchsetzt, welche gesellschaftlichen Schlüsse daraus gezogen werden, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Wahrscheinlich sind Mobilisierungen in durchaus verschiedene Richtungen. Und es wird nicht an Rattenfängern mangeln, die versuchen werden, diese Energien in die eine oder andere Richtung zu manipulieren.

Doch zurück ins 15./16. Jahrhundert. Die Versuche der Herrschenden, das alte Recht durch ein neues, römisches Recht zu ersetzen, begannen nicht erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Verteidigung des alten Rechtes hatte schon über hundert Jahre lang immer wieder lokale Bewegungen inspiriert. Eine erste, wichtige Etappe war sicherlich die Schweizer Eidgenossenschaft, die sich gegen die Übergriffe der Habsburger zur Wehr setzte:

„Ihr erster Bund 1291 erkannte die überkommenen Abhängigkeiten, die Grund- und Leibherrschaft, ausdrücklich an. Man wollte nur das alte Recht gegen die Rechtsbrüche der Vögte verteidigen. Daher war die einzige Forderung des Bundesbriefes, daß kein Auswärtiger mehr Richter im Lande sein dürfte. Die Erhebung war keine Revolution, nur berechtigtes Einschreiten gegen gebrochenes Recht.“ ([2], S. 3)

Und so kam es während des gesamten 15. Jahrhunderts immer wieder zu kleinere Auseinandersetzungen, die als Vorgeschichte des Bauernkrieges interpretiert werden können. Wichtig dabei ist, daß diese Auseinandersetzungen im wesentlichen lokaler Natur waren. Manchmal wurden die Streitigkeiten auf dem Verhandlungsweg beigelegt, manchmal wurde auch zu den Waffen gegriffen, doch nie entwickelte sich ein Flächenbrand, wie wir ihn dann 1525 erleben. Wir haben also Bewegungen, doch diese Bewegungen waren weitgehend konservativ: Sie wollten einfach die bestehende Ordnung gegen Übergriffe von Seiten der Obrigkeit verteidigen. Manchmal gelang dies, manchmal nicht.

Eine Ausnahme stellte dann der etwas größere Konflikt dar, der als Aufstand des Armen Konrad 1514 das Herzogtum Württemberg erschütterte. Bemerkenswert bei diesem Aufstand war, daß es hier zum ersten Mal zu einem Bündnis von Bauern mit der städtischen Unterschicht kam, wie sie dann für den eigentlichen Bauernkrieg typisch werden sollte. Doch die Forderungen des Armen Konrad richteten sich ganz konkret gegen Steuern, die Herzog Ulrich zur Finanzierung seines aufwendigen Hofstaates durchsetzen wollte. Insofern war der Aufstand des Armen Konrad eine württembergische Ausnahme, die ebenfalls, wie die vielen lokalen Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts, keine neue, eigenständige Programmatik hervorbrachte.

Während der langen Zeit von über 100 Jahren hatten wir also kleine, lokale Bewegungen, die gegen den Bruch der bestehenden Ordnung aufstanden. Doch ihr einziges Ziel war, die vor dem Bruch herrschende Ordnung wieder herzustellen. Auf die Dauer war ein solcher permanenter Abwehrkampf allerdings nicht zu gewinnen. Es mußte über diese reine Verteidigungshaltung hinausgegangen werden. Doch diese Einsicht war recht wenig verbreitet.

Eine Konsequenz daraus war, daß versucht wurde, die Verhältnisse nicht im Rahmen einer allgemeinen Bewegung zu verändern, sondern durch einen kleinen Kreis von Leuten, die eingesehen hatten, daß man über die reine Abwehrhaltung hinausgehen muß. Es schlug die Stunde der Verschwörer. Die Bundschuhverschwörungen stellten die ersten Versuche dar, von der Verteidigung zum Angriff überzugehen. Doch all diese Verschwörungen scheiterten ziemlich kläglich – dazu in einem späteren Beitrag mehr.

Wir müssen uns also nach einer Alternative zur Verschwörung umschauen. Wir müssen eine Antwort auf die folgende Frage finden: Wie schaffen es Bewegungen, die ursprünglich nur den status quo verteidigen wollen, eine grundsätzlich neue Perspektive zu gewinnen? Woher kommt die Vorstellung, an die Stelle der alten Ordnung eine andere, neue Ordnung setzen zu wollen?

Die Antwort ist keinesweg trivial. Es muß Mechanismen geben, wie ursprünglich konservative Bewegungen urplötzlich umschlagen in utopische Bewegungen. Der Bauernkrieg ist dabei die Bewegung par excellence um eben diese Frage am Material zu untersuchen.

Beginnen wir mit der einfachste Voraussetzung. Am Anfang müßte die Einsicht stehen, daß der Bruch der Ordnung, der einen schockiert hat und der dann zu einer Mobilisierung führte, selbst der Ordnung entspringt. Doch diese Einsicht ist gar nicht so einfach zu gewinnen. Die ursprüngliche Annahme war ja die, daß die alte Ordnung gut und gerechtfertigt war. Dann aber tritt ein Bruch auf – wie aber kann das sein, wenn die Ordnung tatsächlich gut und gerechtfertigt war?

Die einfachste und dümmste Antwort ist dann in der Regel die, daß der Bruch der Ordnung von Kräften getragen wird, die von außen kommen. Die schlichten Gemüter der Pegida etwa nehmen an, daß es irgendwelche Flüchtlinge sind, die an der von ihnen wahrgenommen Störung der gesellschaftlichen Ordnung schuldig sind. Dies ist eine – man verzeihe mir den Zynismus – hervorragende Möglichkeit, die herrschende Ordnung selbst nicht in Frage stellen zu müssen. Und man hat sofort einen Schuldigen, dessen Vernichtung die Störung der Ordnung angeblich wieder rückgängig machen wird. Augenblicklich sind es „die Muslime“, die als Personifizierung für die Übel eines sukzessive abgebauten Sozialstaates herhalten müssen. Wären diese weg, so die einfache Annahme, dann würde alles wieder so sein wie früher.

Wenn aber die Störung der Ordnung offenkundig nicht von außen kommt, sondern von innen, dann wird es schwieriger. Wie kommt eine bestimmte Personengruppe, die bislang unangefochten Teil der Ordnung war, ja diese sogar garantierte, dazu, die bestehende Ordnung zu unterhöhlen? Auch hier gibt es eine schlichte Antwort, die ungeachtet ihrer Dummheit historisch weit verbreitet ist. Es wird ein dritter, äußerer Akteur konstruiert, der die Kräfte im Inneren manipuliert. Auch hier können wir im AfD/Pegida-Umfeld Beispiele finden. Die Bundesregierung wird dabei als von außen manipuliert dargestellt, sei es durch die USA, die Wallstreet oder gleich die Juden. Tatsächlich ist die perfideste Form dieser Konstruktion tatsächlich der Antisemitismus. Da man emotional an die eigenen Herrschenden gebunden ist, werden die Juden als die eigentlichen Drahtzieher imaginiert.

Und dieser Mechanismus ist ziemlich alt. Wir können das bei den bereits angeführten Aufständen vor dem eigentlichen Bauernkrieg häufig beobachten. Der Kampf für das alte Recht ging im 15. Jahrhundert oft genug einher mit antisemitischen Pogromen. Da muß man einmal dem nationalsozialistischen Historiker Günther Franz dankbar sein, denn dieser hatte naturgemäß keine Scheu, in seinem Buch über den Bauernkrieg die Massaker, die im 15. Jahrhundert an der jüdischen Bevölkerung verübt wurden, als Vorläufer herauszuarbeiten ([2], S. 43ff).

Erst wenn es eine Bewegung schafft, sich von derartigen Konstruktionen freizumachen, hat sie ein emanzipatorisches Potential. Sie muß erkennen, daß der Bruch der alten Ordnung nicht von außen kommt oder gesteuert ist. Das Bewußtsein muß entstehen, daß der Bruch der Logik der alten Ordnung selbst entspringt. Damit aber so etwas sichtbar werden kann, muß der bestehenden Ordnung ein kontrastierendes Bild entgegengesetzt werden. Es bedarf einer Utopie, deren Bild die Widersprüche der alten Ordnung sichtbar macht. Und im Gegensatz zu den ganzen Aufständen für das alte Recht, entstand im Bauernkrieg genau so eine Utopie, die Utopie des göttlichen Rechts.

Was es damit auf sich hat, erfahren Sie nächste Woche, wenn Peter Blickle schreibt:

„Im Wechsel vom Alten Recht zum Göttlichen Recht streiften die Aufständischen mit der Tradition auch alle konkreten Bindungen an ihre Herren ab.“ ([1], S. 81)

Nachweise

[1] Blickle, P., Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes., München 2012 (4. Aufl.).

[2] Franz, G., Der Deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 1962 (6. Aufl.).

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9. Januar 2015 at 17:02

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Das alte Recht

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Bewegungslehre (9)

„Zu(o)m neünten seyen wyr beschwertt der grossen frefel, so man stetz new satzung macht, nit das man vnß strafft nach gestalt der sach, sunder zu(o) zeyten auß grossem neyd vnd zu(o) zeytten auß grossem gunst.“

12 Artikel der Bauern vom 20. März 1525

Was bisher geschah: Letzte Woche hatte ich gegen die marxistische Auffassung gestänkert, daß sich Bewegungen daraus erklären ließen, daß es einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe ökonomisch schlecht gehe. Das ist eine Erklärung ex post: Wenn eine Bewegung entstanden ist, wird man möglicherweise auch ökonomische Ursachen dafür finden. Doch wichtiger als diese ökonomischen Gründe sind die Bewußtseinsformen, in denen diese reflektiert werden. Und darum wird es uns in der Folge anhand des Bauernkrieges von 1525 gehen.

Ich weiß, daß ich versprochen habe, den Bauernkrieg vor allem deshalb heranzuziehen, weil ich das Verhältnis von Bewegungen zu Medien darstellen will. Dazu werden wir auch noch kommen – aber um die Rolle der Medien zu beleuchten müssen wir uns erst einmal ansehen, was denn die Inhalte sind, die durch die Medien transportiert und vor allem auch transformiert werden. Deshalb wird es zunächst einmal darum gehen, wie sich die gesellschaftlichen Veränderungen des ausgehenden 14. Jahrhunderts im Bewußtsein der Menschen darstellten. Das heißt, es geht nicht nur um Fakten, sondern vor allem darum, wie diese Fakten interpretiert wurden.

Richten wir zu diesem Zweck noch einmal den Blick zurück auf die Spiegel-Affäre, die ich vor ein paar Wochen hier abgehandelt habe. Damals hatte ich die Hypothese aufgestellt, daß sich Bewegungen dann bilden, wenn etwas passiert, das als fundamentaler Bruch in der bestehenden Ordnung aufgefaßt wird. Im Falle der Spiegel-Affäre war es die „Nacht und Nebel“-Aktion, bei der die Redaktionsräume der Zeitschrift und auch Privatwohnungen von Angestellten durchsucht wurden. Die Empörung darüber hatte ich so interpretiert, daß die Regierung (zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigungsministerium wurde nicht groß unterschieden – zu Recht, wie sich herausstellen sollte) den grundsätzlichen Konsens der Bundesrepublik aufkündigte, der da hieß: So etwas wie das Dritte Reich durfte sich nie mehr wiederholen. Und dann griff die Exekutive zu Mitteln, die als „Gestapo-Methoden“ interpretiert wurden. Die Bewegung, die sich sofort und spontan zur Unterstützung des Spiegels formierte, tat dies auf Grund des Schocks, den diese einseitige Aufkündigung eines grundlegenden Prinzips auslöste.

Wenn wir also verstehen wollen, was den großen Bauernaufstand auslöste, dann müssen wir unseren Blick darauf richten, auf welche Art und Weise die Herrschenden gegen die bestehende Ordnung verstießen. Denn der zentrale Punkt ist eben nicht der, daß die Herrschenden die von ihnen Beherrschten ausbeuteten – das alleine genügt nicht. In einer so hierarchischen Gesellschaftsform wie der des ausgehenden Mittelalters war die bloße Existenz ausbeuterischer Verhältnisse (zunächst) kein Grund um aufzubegehren. Zumindest nicht für die große Masse. Die Ausbeutung war Teil der gesellschaftlichen Ordnung und ihre Berechtigung wurde nicht in Frage gestellt, auch nicht in den berühmten 12 Artikeln, wo es gleich im zweiten Artikel über den Zehnten („zehat“) heißt:

„Zu(o)m andern, nach dem der recht zehat auff gesetzt ist im alten testament vnd im neuen als erfüldt, nichts destminder wo(e)llen wir den rechten korn zehat gern geben, doch wie sich gebürt.“ ([1])

Die grundsätzliche Legitimationsgrundlage der feudalen Gesellschaft, der christliche Glaube und die daraus erwachsenen gesellschaftlichen Spielregeln werden nicht prinzipiell angezweifelt. Und da sich der Zehnte aus der Bibel legitimieren läßt, wollen die Bauern ihn gerne geben. Allerdings bauen sie gleich eine Einschränkung ein, wobei sie die eigentliche Grundlage aber nicht verlassen, denn sie wollen den Zehnten nur soweit zahlen, wie es sich gebührt. Und was sie damit meinen, führen sie dann in der Folge genauer aus. Aber das soll uns an dieser Stelle noch nicht interessieren. Hier ging es nur darum zu zeigen, daß die Aufständischen sich durchaus als Bewahrer, nicht als Zerstörer der Ordnung verstanden.

Denn es waren die Herrschenden selbst, die nach Auffassung der Bauern die Ordnung untergruben. Dabei ging es im wesentlichen um zwei Punkte, die nur indirekt etwas mit der mißlichen ökonomischen Lage der Bauern zu tun hatten. Es ging um die Frage der Gerichtsbarkeit und um die Frage der Leibeigenschaft.

Beginnen wir zunächst mit der Frage der Gerichtsbarkeit. Es war ausgerechnet ein Nazi-Historiker, der auf diesen entscheidenden Grund für den Aufstand der Bauern aufmerksam gemacht hat, nämlich Günther Franz. Was war geschehen? Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde Deutschland zu einem wichtiges internationalen Handelszentrum, denn wichtige Handelsrouten verliefen durch das Land. Die Städte Nürnberg und Augsburg – nicht zufällig im Zentrum der Bauernaufstände gelegen – waren europäische Handelsmetropolen. Diese Ausweitung des Handels verlangte nach Rechtssicherheit, was aber nach einer Rechtsordnung verlangte, die auf Gesetzen beruhte. Aus diesem Grunde wurde flächendeckend versucht eine neue Ordnung einzuführen, die auf dem römischen Recht beruhte.

Diese historisch notwendige Modernisierung widersprach aber der Rechtsordung, wie sie faktisch auf dem Land existierte. In der Interpretation des nazistischen Bauernkriegsforschers Franz las sich das dann so (und zwar in der für die Bundesrepublik von den übelsten Nazismen bereinigten 6. Auflage, die in der wissenschaftlichen Buchgesellschaft seines Nazi-Freundes Ernst Anrich erschien):

„Germanische Rechtsauffassung hat sich am ungebrochensten im deutschen Bauerntum fortgeerbt. Für den Germanen aber war das Recht ein Stück der Weltordnung, von Gott oder den Göttern geschaffen und darum letztlich unerschütterlich. Es war heilig und wurde daher von der Priestern gehegt, die die Thingversammlungen eröffneten.“ ([3], S. 1)

Das klingt heute eher lächerlich und verführt dazu, Franz‘ Darstellung in Bausch und Bogen zu verwerfen. Doch trotz der Beschwörung von Germanen und Thingversammlungen hat Franz einen wichtigen Punkt herausgearbeitet. Die Rechtsprechung auf dem Land funktionierte nicht nach den uns heute vertrauten Regeln. Es gab zwar einen gewissen Kanon, doch dieser wurde weitgehend frei und auf den konkreten Sachverhalt hin bezogen ausgelegt. Exemplarisch und ohne Rekurs auf mythische Germanen hat dies Peter Blickle für das Koster Ochsenhausen beschrieben:

„Die Rechtsprechung in der Klosterherrschaft erfolgte durch ein Gericht, das von Bauern aus allen Klosterdörfern als Schöffen besetzt wurden. Die Quellen nennen sie Richter. Grundlage der Rechtsprechung waren offenbar alte, nicht kodifizierte Gewohnheiten, vermutlich auch das Schwäbische Landrecht in Form des Schwabenspiegels. In Zweifelsfällen wandten sich die Ochsenhausener Richter an den Rat der nahen Reichsstadt Ulm und erbaten sich dort den Vorschlag für ein Urteil. Das Verfahren war also mündlich und entschieden wurde von Fall zu Fall, angelsächsischen commen law-Gewohnheiten ähnlich.“ ([2], S. 70)

Der Abt von Ochsenhausen versuchte nun, eine Art Gesetzbuch zu verfassen, in dem Gebote und Verbote festgelegt wurden, auf die er die Richter verpflichten wollte. Diese protestierten:

„Das sei »inen schwer und undleidenlich«, klagten die Richter und baten, »sie bleiben zuo lassen, wie von Alter Herkommen sei, nemlich das sie nach irer Gewissen und Guotbedünken achten, was ainer verwirkt oder verschuldt hab.“ ([2], S. 71)

Indem der Abt versuchte, die Rechtsprechung auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, verstieß er gegen das „alte Recht“ und damit die bestehende Ordnung. Und das war keine Kleinigkeit, wie die Begründung der Ochsenhausener Richter zeigt, die so gar nichts mit dem Hinweis auf germanische Traditionen zu hatte:

„Das Verfahren des Abtes laufe auf »Zerstörung gutter Sitten« hinaus und gefährde ihrer „Sell Säligkeit“ und bringe sie somit um ihr ewiges Heil.“ ([2], S. 71)

Offenbar empfanden es die Richter als eine hochgradig persönliche Bedrohung, wenn sie nicht mehr gemäß ihrem Gewissen und in Kenntnis der Personen und der besonderen Sachlage urteilen sollten, sondern anhand abstrakter Gesetze. Was der Abt vorhatte wurde als tiefreichender Bruch im bestehenden Ordnungsgefüge begriffen. Und dieser Bruch verlangte danach, gekittet zu werden. Allerdings nicht auf konservative Weise, indem man einfach zum „alten Recht“ zurückkehrte. Sondern indem man einen neue Rechtsordnung entwickelte, die sich auf ein neues, ein „göttliches Recht“ stützte.

Doch dazu nächste Woche mehr, wenn Peter Blickle schreibt:

„Die Bauern und Bürger wollten Ordnungen, aber solche, die nicht die herkömmlichen Verfahren auf den Kopf stellten und nicht nur herrschaftliche Interessen berücksichtigten.“ ([2], S. 78)

Nachweise

[1] Anonym: „Zwölf Bauernartikel 1525“, URL: http://stadtarchiv.memmingen.de/918.html, abgerufen am 2. Januar 2015.

[2] Blickle, P., Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes., München 2012 (4. Aufl.).

[3] Franz, G., Der Deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 1962 (6. Aufl.).

Written by alterbolschewik

4. Januar 2015 at 13:43

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