shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Steiner auf den Index

with 11 comments

die hier zitiere ich ja eigentlich selten gerne:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,503647,00.html
aber das ist dann doch interessant.
War jemand auf einer Waldorfschule und hat damit Erfahrungen gemacht? Bitte melden.
ich selbst durfte mal in einem anthroposophisch geführten Krankenhaus genesen und habe in der Bibliothek haufenweise Riefenstahl-Bücher vorgefunden…

Written by blogmama

4. September 2007 um 17:32

11 Antworten

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  1. Ich glaube, daß derartige Absonderlichkeiten bei Steiner tatsächlich ziemlich bekannt sind? Auch, daß dessen Liaison mit allerlei esoterischem Kram eben auch die Schattenseiten genau dessen, da gibt’s ja viele Verbindungen zu rechtem Gedankengut, einigermaßen bekannt sind? Martin? Liest Du mit?

    Ich weiß allerdings nicht, ob das in die aktuelle Waldorf-Pädagogik hineinwirkt – mal abgesehen davon, daß dort eben auch z.B. „musische“, also kreative Fähigkeiten meines Wissens als alternative Erkenntnisformen gezielt gefördert werden, was ja völlig in Ordnung ist.

    momorulez

    4. September 2007 at 18:40

  2. Das ist eine ganz schwierige Geschichte. Ich hatte so mit 18-19 meine Eso-Phase und habe in der Zeit Steiner gelesen. Das Steiner´sche Weltbild lässt sich schlecht in Begrifflichkeiten fassen. Einerseits ist es rassistisch. Bei ihm tauchen eine semitische und eine arische Rasse auf, Letztere die „höchstentwickelte“ überhaupt, das hat aber trotzdem einen anderen Charakter als die Rassenvorstellungen der Nazis oder des Sozialdarwinismus. Steiner teilt die Entwicklungsphasen der Menschheit in 7 sog.“Wurzelrassen“ ein, die Impulsgeber für die unterschiedlichen Phasen der Kulturgeschichte gewesen seien. Die älteste davon wären noch während des Mesozoikums Wesen gewesen, die wie 2 Meter hohe über dem Boden schwebende Eier ausgesehen hätten, sie hätten noch keine materiellen Körper im heutigen Sinne gehabt, sondern aus „feinstofflicher“ Materie oder „Äther“ bestanden, dann wären Wurzelrassen wie Lemurer und Atlanter gefolgt. Das alles liest sich wie eine Mischung aus Tolkiens Silmarillion, den Vorstellungen der Neuplatoniker, Ron Hubbard und Science fiction.
    Der Mensch sei ursprünglich reiner Geist gewesen und erst allmählich in die Niederungen der fleischlichen Welt hinabgestiegen, bzw. zum Abstieg gezwungen worden. In diesem Sinne sind Steiners „Rassen“ zinächst kollektive geistige Zustände und erst in zweiter Linie Körper.
    Steiner gab an, seine Erkenntnisse aus der Akasha-Chronik gewonnen zu haben, die kein Buch im eigentlichen Sinne sei, sondern ein Bewusstseinszustand, in dem man in tiefster Meditation gelangen könne und alles sähe, was je passiert sei oder passieren würde.

    http://www.anthroposophie.net/steiner/ga/bib_steiner_ga_011.htm

    Die gesamte Lehre der Anthroposophen beruht auf Steiners Lehre. Ich weiß allerdings nicht, inwieweit die für die heutige Waldorfpädagogik noch von Belang ist. Ich kenne eine Lehrerin, die auf einer Waldorfschule unterrichtet. Was die schildert, hört sich eher an wie ein gar nicht so schlechtes reformpädagogisches Konzept mit einer sehr hohen Wertigkeit von Kunst, Handaarbeit, Werken, Musik und Sport. Die politischen Inhalte, die dort im Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht vermittelt würden, könne man am Ehesten als undogmatisch links bzw. fundi-grün bezeichnen. Ich weiß allerdings nicht, ob das nur auf diese spezielle Schule zutrifft. Die Lehre der Anthroposophen halte ich für bizarren Schwurbel, die Umsetzung in Form von Waldorf-Pädagogik oder biologisch-dynamischer Landwirtschaft scheint mir aber auch sinnvolle Ergebnisse zu erbringen. Ich will mich da allerdings auch nicht festlegen; es gibt, so von Jutta Ditfurth, Kritik an der Wldorf-Pädagogik von links, die darauf hinausläuft, dass sie auf scheinbar sanfte Weise ein noch viel härteres Leistungsethos als das protestantische in den Köpfen verankere und ein inneres Zwangssystem aufbaue. Nur schildert das meine Bekannte, zu der ich großes Vertrauen habe, alles völlig anders – deren Darstellung einer Waldorfschule hört sich eher an, als würden Künstler gemeinsam mit Attac-Leuten eine Schule betreiben.

    che2001

    5. September 2007 at 6:41

  3. „als würden Künstler gemeinsam mit Attac-Leuten eine Schule betreiben.“ Linksfaschismus pur also! Wo’s sogar Leute gibt, die die „Cultural Studies“ als Ausfluß des Totalitarismus begreifen … würg …

    Der Sohn eines Kollegen, den Blogmama auch sehr gut kennt, ist auf ’ner Waldorfschule, und da haut nach allen Erzählungen sehr gut hin, was Du schreibst, Che. Hat aber schon auch diesen linkselitären Bildungsbürgertouch.

    momorulez

    5. September 2007 at 6:56

  4. Ein anderer gnostisch-esoterischer Autor schrieb ja mal zu Steiners und Blavatskis Lehren „Aus aller Völker mystisch-dunkler Lehre ein Ragout bereitet“. Was den Bildungsbürgertouch angeht: Otto Schilys Bruder ist da Funktionär, und meines Wissens hat auch Otto selber eine anthroposophische Ausbildung.

    che2001

    5. September 2007 at 7:24

  5. Ich lese mit, MomoRulez, und ich kann das, was Che über Steiner schreibt, voll und ganz bestätigen. Außerdem war Steiner ein extremer Vielschreiber, und da er „intuitiv“ schrieb, ohne sich groß um Quellen zu kümmern,wie mir eine Steiner-Kennerin versicherte, hat er einige Male seinen weltanschaulicher Kurs scharf geändert – im einigen Fällen um 180 Grad.
    Man kann mühelos mit Zitaten belegen, dass Steiner ein übler Rassist, Antisemit und Antidemokrat war – und mit anderen genau das Gegenteil.
    Seine Wurzeln hatte Steiner, auch wenn er es manchmal bestritt, ganz klar in der Theosophie Blavatskys.

    Zu den heutigen Steiner- und Waldorfschulen: da gibt es sehr „ver-steinerte“, also ideologisch auf Steiner festgenagelte und entsprechend autoritär und „sektenhaft“, aber auch solche, die eher reformpädagogische Ziele verfolgen – und bei Steiners verschwurbelte esoterische Lehren im Unterricht keine Rolle spielen. Bei denen rennt man offene Türen ein, wenn man auf die z. B. auf antisemitischen Ansichten Steinern hinweist. Es gibt aber auch ganz knallharte Rassisten unter den „Anthros“.

    Jutta Ditfurths Esoterik-Kritik ist ein Fall für sich. Im Prinzip hat sie damit recht, dass es tatsächlich esoterische Gruppen gibt, die ein härteres Leistungsethos als das protestantische Vertreten – Scientology ist ein klassisches und extremes Beispiel, Landmark-Education ein anderes. Und dass es in der „Eso-Szene“ zahlreiche „Gurus“ und „Sekten“ gibt, die innere Zwangssysteme vertreten, ist wirklich nichts Neues. An ihrer Kritik ist stellenweise was „dran“, aber sie ist zu stark generalisiert und außerdem überzogen.

    Ich habe die heutige Steiner- und Waldorfszene mal als „Theosophie light“ bezeichnet, „Theosophie heavy“ wären dann die Ariosophien, die großen Anteil an der mörderischen Weltanschauung der Nazis hatten. Wenn also „Nazi-Gedankengut“ bei Steiner auftaucht, dann deshalb, weil sie einige (in beiden Fällen gern verleugnete) „geistige Wurzeln“ gemeinsam hatten.
    Steiner ist schon ein autoritärer Knochen, was sich auch in der ursprünglichen Waldorf-Pädagogik niederschlägt. Seine Schriften haben in der Schule m. E. nichts verloren. Anderseits: wenn man Steiner auf den Index setzt, schaft das m. E. einen gefährlichen Präzedenzfall. Wenn man die gleichen formalen Maßstäbe anlegt, dann ist der Willkür der Indizierung „unliebsamer“ Schriften kaum noch Grenzen gesetzt.

    MartinM

    5. September 2007 at 7:45

  6. Theosophie heavy ist m.E. nicht die Ariosophie, sondern die ursprüngliche Theosophie, also Blavatsky herself. Das gibt dann eine Mischung aus Hinduismus, Buddhismus, Jainismus, Sikh, christlicher Mystik und Rosenkreuzertum bar jeder theologischen Systematik plus Gobineauscher Rassenlehre. Die Ariosophie führt dann allerdings geradewegs zu Heinrich Himmler.

    Jutta Ditfurths Esoterik-Kritik ist in der Tat überzogen und viel zu pauschalisierend, was ich ihr auch so gesagt habe. Sie hat einen eisenharten Begriff von Rationalismus, der bei Alt-Linken ihres Jahrgangs verbreitet ist. Das geht so weit, dass sie selbst Fantasy-Rollen-Spiele für linker Menschen unwürdig hält, man solle doch lieber rationalere Formen der Freizeitgestaltung finden.

    Die Stoßrichtung ihrer Esoterik-Kritik geht aber in eine andere und m.E. sehr richtige Richtung. Die Grundüberlegung ist folgende: Unter was für Umständen könnte sich in Deutschland ein neuer Faschismus entwickeln, der in den bürgerlichen Mittelschichten Akzeptanz findet und daher politisch zur Macht kommen könnte? Und die Antwort, die Ditfurth darauf findet, ist dann halt die, dass aus Esoterik, Astrologie, Veganismus, Ethnopluralismus und stark biologistisch fixierten Geschlechtsrollenbildern, die auch von Teilen der Neuen Frauenbewegung kolportiert werden (Hexenmystik-Fraktion) und der Ideologie bzw. den Diskurshegemoniebestrebungen der Neuen Rechten ein Faschismus entstehen könnte, der da seine Basis gewinnt, wo die Grünen ihren Wählerstamm haben. Oder andersherum, die oben genannten Versatzstücke sind alle bei der inzwischen arrivierten öko-alternativen MIttelschicht weit verbreitet und ergäben zu eunem politischen Programm zusammengefasst in der Tat einen neuen Faschismus.

    Ich glaube allerdings, dass das eine Bestandsanalyse und Gemengelage ist, die auf Mitte der 1990er zutrifft. Wir haben heute andere Probleme, und die liegen eher zwischen Islamophobie und Wohlstandsrassismus, bzw. in dem Feld, das ich auf meinem Blog mit der Serie „Elemente der Gegenaufklärung“ beschrieben habe.

    che2001

    5. September 2007 at 9:10

  7. Ich sehe die Ariosophen deshalb als „Theosophen heavy“, weil sie „Aktionsideologen“ waren, die zur „Tat“ drägten, mit einer rassistisch zugespitzten und dabei vereinfachten Doktrin, und deutlich politisiert, während es die „Normaltheosophen“ doch erheblich weniger zur Tat drängte.

    Ja, Jutta Ditfurths hyper-rationalistische (und absolut humorlose) Attacken auf die Rollenspieler im „FOLLOW“ kenne ich noch. Ist allerdings schon ein paar Jahre her. So Anfang der 90er.

    Die Stoßrichtung der „New Age“-Kritik Jutta Ditfurths (und der Peter Kratz‘ – sein Buch „Die Götter des New Age“ geht bei ähnlicher Argumentation noch über Ditfurth hinaus) traf meines Erachtens schon zu „Blütezeiten“ des „New Age“ (also in den 80ern) nicht zu. Zwar gab – und gibt – es Diskurshegemoniebestrebungen der Neuen Rechten, die gerade bei inhaltlich von der Theosophie her kommenden „New Agern“ (die oft nicht ahnen, dass ihre sprirituelle Doktrin erz-theosophisch ist) auf fruchtbarem Boden fielen. Gerade in der „Hexenmystik-Fraktion“ (in der ich mich recht gut auskenne) bildeten sich recht früh eher „linke“ und ökofeministische Gruppen heraus, deren Weltanschauung mit dem „neurechten“ Metapolitiker und ihren von Benoist ausgehenden Vorstellungen eines „neuen europäischen Heidentum“ schlicht inkompatibel sind. (In der – allerdings zahlenmäßig unbedeutenden – deutschen „Heidenszene“ hatten die „neuen Rechten“ mit ihren optisch modernisierten „Blut und Boden“-Theorien („Metagenetik“) um so mehr Erfolg.) In der arrivierten öko-alternativen Mittelschicht sind „post-new-age“ Vorstellungen zwar ziemlich weit verbreitet, aber es sind in der Regel nur Versatzstücke, die sich aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit nicht zu einem „öko-faschistischen“ politischen Programm zusammenfassen lassen. Ich erkenne zwar starke autoritären Tendenzen bei den „Ökosprituellen Netzwerken“ und auch beim tendenziell politisch konservativen „Weltzukunftsrat“ – aber in Richtung eines neuen Faschismus dürfte sie nicht gehen.

    Was schon für die Gemengelage um die Mitte der 1990er nicht zutraf, ist heute m. E. völlig überhohlt.
    Was die heutigen Probleme angeht, gebe ich Dir recht, wobei die „Islamophobie“ als „Klammer“ für die bestehende rechtsextreme Szene nicht taugt, weil z. B. der „neuheidnische“ Rieger-Flügel und Teile der „Neuen Rechten“ die Fronten im „Kampf der Zivilisationen“ völlig anders ziehen, als die „traditionellen Nationalisten“ und das „schwarz-braune Übergangsfeld“. Sagen wir mal so: die eher in Richtung „Neuheidentum“ tendierenden Nazis sind gern bereit, mit Islamisten taktische Bündnisse einzugehen – im „völkisch-antisemitischen“ Konzept sogar noch mehr. In der Hamburger NDP hat das Anfang dieser Jahres zu heftigen Machtkämpfen geführt und dazu, dass der Rieger-Flügel sich auf gegen die „bürgerlich-sittenchristlichen“ und islamophoben NPDler, durchsetzen konnte. In der Folge gab dann die für Christian Worch blamable „40-einsame-Figuren-Demo“ gegen den Bau einer Moschee in Hamburg-Bergedorf. (Von Protesten gegen diesen Moscheeneubau habe ich in den letzten Monaten nichts mitbekommen – und ich komme praktisch jeden Tat am Bauplatz vorbei. Rohbau steht schon. Allerdings ist dieser Bau eher „norddeutsch-schlicht“, in Backstein, und nicht „repräsentativ“ mit hochragenden Minaretten.)
    Das größte Problem sehe ich aber im Wohlstandsrassimus – weil der nämlich ein echter „Radikalimus der Mitte“ ist und in nahezu allen Gesellschaftsschichten, bis zum „neuen Subproletariat“, weit verbreitet ist.

    MartinM

    5. September 2007 at 18:35

  8. Gibt es zu diesen Attacken auf Rollenspiele eine Quelle? Würde ich mir gerne mal ansehen, ,,

    paule

    8. November 2008 at 13:00

  9. Ich kenne das nur von Jutta Ditfurth im persönlichen Gespräch, sorry…

    chezweitausendeins

    8. November 2008 at 15:06

  10. Ok, trotzdem danke!

    paule

    8. November 2008 at 15:28

  11. „überhohlt“ (Martin) ist der coolste Rechtschreibfehler seit langem.

    T. Albert

    8. November 2008 at 15:48


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