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Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Zu den historischen Hintergründen des jugoslawischen Bürgerkriegs

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Nachdem auf meinem Blog der Jugoslawien-Band der Materialien für einen neuen Antiimperialismus wegen seiner hochgestochenen Sprache schlecht angekommen war, will ich es nochmal mit einem eigenen Beitrag versuchen, der inhaltlich das Gleiche sagt, sprachlich aber schlichter gehalten ist und von mir 1999, während des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien verfasst wurde.Wie gesagt, Stand 1999.

Die Geschichte des letzten Krieges in Jugoslawien beginnt spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg. Um sich eine Aufmarschbasis für den geplanten Überfall auf die Sowjetunion zu schaffen und den britischen Truppen potentielle Aufmarschgebiete in Südosteuropa zu nehmen, bezogen die faschistischen Achsenmächten (Deutschland/ Italien) den Balkan in ihre militärischen Operationen ein. Nach einer erfolglosen italienischen Invasion griff die deutsche Wehrmacht und Luftwaffe am 6.April 1941 Jugoslawien an. Der überlegenen deutschen Waffentechnik und der „Blitzkrieg“-Strategie hatten die jugoslawischen Streitkräfte nichts entgegenzusetzen und mußten am 17. April kapitulieren.

In Kroatien nutzte die faschistische Ustascha-Partei die Gunst der Stunde und rief schon am 10.April die „unabhängige“ Republik Kroatien aus. So unabhängig war diese allerdings nicht, war sie doch von deutschen und italienischen Truppen besetzt und seit dem Wirtschaftsabkommen vom Mai ’41 ein Satellitenstaat des deutschen Reiches. Die „unabhängigste“ Leistung der Ustascha war jedoch die Tatsache, daß sie von sich aus einen systematischen Völkermord betrieb. Mit dem Ziel, ein „ethnisch reines“ Kroatien zu schaffen, wurden in den KZ’s der Ustascha 750 000 SerbInnen, 60 000 JüdInnen und 26.000 Roma ermordet.

Der von PartisanInnengruppen getragene bewaffnete Widerstand gegen Besatzer und Ustascha bestand aus drei Fraktionen, die weitgehend getrennt kämpften. Dies waren zum Einen die KämpferInnen der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) unter Tito, zum Anderen die königstreuen, serbisch-nationalistischen Cetniks, die für ein unabhängiges Serbien kämpften und drittens die politisch pluralistische Slowenische Befreiungsfront. Darüber hinaus hatten sich unmittelbar nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee spontan zahlreiche lokale und regionale, unabhängige und ideologisch nicht festgelegte Widerstandsgruppen gebildet. Diese gerieten im Verlauf des Partisanenkrieges überwiegend unter kommunistische Führung. Aufgrund ihrer besseren Organisation und der Unterstützung durch die Sowjetunion nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die UDSSR waren die kommunistischen PartsanInnen den übrigen Widerstandsgruppen an Kampfkraft weit überlegen.

Ende 1941 stoppten unter der Androhung massenhafter Geiselerschiessungen die Cetniks ihre Widerstandsaktionen gegen die Deutschen, um kurz darauf, unter dem Einfluß deutscher Versprechungen und der Erwartung eines schnellen deutschen Sieges an der Ostfront, gegen die kommunistischen Gruppen vorzugehen. Ab Frühjahr 1943, als sich nach Stalingrad die deutsche Niederlage an der Ostfront abzuzeichnen begann, kämpften die Cetniks gemeinsam mit der Wehrmacht gegen die PartisanInnenverbände, um eine kommunistische Machtübernahme nach Kriegsende zu verhindern. Heutzutage nimmt die offizielle serbische Propaganda die Gleichsetzung Kroatische Armee = Faschisten mit Ustascha-Tradition, serbische Milizen = Cetniks = Antifaschisten vor. Aufgrund verbreiteter Ängste in der serbischen Bevölkerung, die durch die Ustascha-Vergangenheit bedingt sind, ist diese Propaganda ausgesprochen wirkungsvoll, politisch und historisch gesehen aber falsch.

Seit August 1944 stießen sowjetische Truppen auf den Balkan vor, die sich am 6.September mit Partisanenverbänden Titos vereinigten. Am 18.10. befreiten Titos Truppen Belgrad.

Im Zuge der sukzessiven Befreiung von Dörfern, Städten und Regionen durch die Partisanenarmee waren überall lokale Volksbefreiungskommitees gegründet worden, welche die Verwaltung in ihre Hände nahmen und die Interessen der Bevölkerung auch gegen die KPJ vertraten. Von Anfang an entwickelten sich in Jugoslawien Selbstverwaltungsstrukturen, die in deutlichem Kontrast zu der stalinistischen Ordnung in allen übrigen sozialistischen Staaten Europas stehen. Insgesamt läßt sich der sozialistische Staat Jugoslawien eher als zur Staatsmacht gelangte PartisanInnenbewegung denn als ein sozialistisches System im herkömmlichen Sinne begreifen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Tatsache, daß Jugoslawien sich selbst befreit und die Rote Armee nur in der Schlußphase des Krieges eine Rolle gespielt hat.

Da die Regierung Tito nicht bereit war, den Wiederaufbau der jugoslawischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Erfordernisse des sowjetischen Plansystems umzustellen, wurde Jugoslawien 1948 aus der Kominform ausgeschlossen. Gleichzeitig stieß die im Rahmen des Fünfjahresplans 1947-51 anvisierte Kollektivierung der Landwirtschaft auf bäuerlichen Widerstand, der zur Einrichtung bzw. nachträglichen Legalisierung von Selbstverwaltungsstrukturen in Industrie und Landwirtschaft führte.

Die weitere Entwicklung des jugoslawischen Modells wurde durch drei Faktoren bestimmt:

1) Der Ausschluß Jugoslawiens aus dem osteuropäischen Wirtschaftsraum und das damit verbundene Fehlen von osteuropäischen Wirtschaftshilfen machte das Land von der Devisenbeschaffung aus dem kapitalistischen Ausland abhängig. Dies bedeutete auch eine für den kapitalistischen Weltmarkt bestimmte Produktion nach den vom westlichen Ausland festgelegten Handelsbestimmungen.

2) Die Selbstverwaltungsstrukturen wurden weiter ausgebaut. Offiziell gehörten die Industriebetriebe Arbeiterräten, in der Praxis bildeten Manager und Betriebsleiter die gesellschaftliche Elite.

3) Beide Faktoren führten dazu, daß das bereits vor dem Zweiten Weltkrieg stark ausgeprägte Nord-Südgefälle in der industriellen Entwicklung Jugoslawiens weiter vertieft wurde. Der Aufbau Sloweniens und Kroatiens wurde weitgehend von BRD-Kapital finanziert. In Slowenien geschah dies durch Zulieferproduktion für deutsche Industriebetriebe, in Slowenien und Serbien durch die Kooperation der Volkswagengruppe mit dem Autohersteller Zastava/Yugo. Aus Kroatien wurden Kühlschränke und sonstige Küchengeräte in die BRD exportiert. Durch den Massentourismus vornehmlich deutscher UrlauberInnen an der dalmatinischen Adriaküste setzte sich die D-Mark als zweites Zahlungsmittel neben dem Dinar durch.

In Serbien und den „unterentwickelten“ Regionen Bosnien, Mazedonien, Kosova und Montenegro blieben außerhalb des Autobaus westliche Investitionen hingegen aus. Parallel zur Migration von ArbeiterInnen aus Slowenien, Kroatien und Serbien in die BRD und Österreich kam es in Jugoslawien selbst zu einer Binnenmigration. Aus Bosnien-Herzegowina gingen ArbeitsmigranInnen nach Slowenien und Kroatien, aus Montenegro und Kosova nach Kroatien und Serbien, wo sie als „GastarbeiterInnen“ entsprechend diskriminiert wurden.

Der Weg in die Krise

Vor dem Hintergrund weltwirtschaftlicher Entwicklungen Ende der 70er Anfang 80er Jahre, eine Zeit, die durch die Namen Reagan und Thatcher geprägt ist, muß auch die Vorgeschichte des Bürgerkriegs in Jugoslawien gesehen werden. Die jugoslawische Bundesbank hatte Anfang 1980 eine Auslandsverschuldung von fast 14 Milliarden Dollar, was hauptsächlich auf die Erhöhung der Energie- und Brennstoffpreise auf dem Weltmarkt und die gestiegenen Kreditzinsen zurückzuführen war. Die wesentlichsten Deviseneinnahmen des Landes, Überweisungen der ArbeitsmigrantInnen und im Tourismus erwirtschaftete Gelder, verschwanden zum größten Teil im grauen und schwarzen Markt und gingen somit an der Staatsbank vorbei. Angesichts des drückenden Schuldenbergs trat Jugoslawien 1980 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bei. Dieser gewährte dem Land 1981 den größten je gegebenen Kredit und führte für Jugoslawien die Umschuldungsverhandlungen mit ca. 600 westlichen Gläubigerbanken. Dafür forderte der IWF von der jugoslawischen Regierung Lohnbegrenzungen für zahlungsunfähige Betriebe, Freigabe der staatlich subventionierten Lebensmittel- und Gebrauchsgüterpreise, Zinserhöhungen und eine 25% tige Abwertung des Dinar. Aus diesen IWF-Auflagen leitete die jugoslawische Regierung eigene Maßnahmen zur Modernisierung der Industrie, zur Produktivitätssteigerung und zur Kostensenkung ab. Dazu gehörte insbesondere auch eine generelle Senkung der Arbeitslöhne, was nur über eine Zerschlagung der ArbeiterInnenräte möglich war.

Zum Anderen wurde eine Inwertsetzung der Armutsregionen im Süden, also des Kosova, Montenegros und Bosniens sowie der angrenzenden serbischen Randgebiete angestrebt. Das beabsichtigte Ziel war dabei die Schaffung riesiger Anbauflächen für die Zucht von Nutzpflanzen für den Weltmarkt gegen westliche Devisen. Durchsetzbar war dies nur durch die Zerstörung der traditionellen Strukturen, die auf dem Lande noch vielfach durch eine subsistenzwirtschaftliche, sich selbst versorgende Sippengesellschaft geprägt war. Diese hatte es bisher ermöglicht, in ziemlicher Armut, aber sehr autark zu leben, da fast nur das gegessen wurde, was man selber anbaute.

Die in den Achtziger Jahren geplante Landreform stand vor dem gleichen Problem wie die Kollektivierung der Landwirtschaft unter Tito: es regte sich heftiger bäuerlicher Widerstand. Daneben lief die Agrarreform auf Massenentlassungen in der landwirtschaftlichen Industrie hinaus, verbunden mit der Abwanderung oder Vertreibung der Entlassenen als billiges Arbeitskräftereservoir in die Großstädte.

Zwischen Klasse und Rasse: Die Ethnisierung des Sozialen

Noch ehe diese geplanten Maßnahmen zur Wirkung gelangten, setzte eine Welle heftigen Widerstandes vor allem der IndustriearbeiterInnenschaft gegen die rapide fortschreitenden Teuerungen ein. Mitte der Achtziger Jahre begann eine Kette von wilden Streiks von Slowenien aus das Land zu überziehen. 1987 erreichten diese den Höhepunkt. 1986 wurde in Belgrad Tausenden von Familien Strom und Gas abgestellt, weil sie die Rechnungen nicht bezahlten.

Im jugoslawischen Armenhaus Kosova, wo sich die Krise am frühesten zugespitzt hatte und es bereits 1981 zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen war, eskalierte die Entwicklung zu einem Aufstand, auf den die jugoslawische Bundesregierung mit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo und der Verhängung des Ausnahmezustandes reagierte. Hier nahmen die Auseinandersetzungen erstmals ethnisch-nationalen Charakter an. Die jugoslawische Regierung schürte in ihrer Propaganda einen aggressiven Chauvinismus gegen die albanische Bevölkerung des Kosova, da sie die ökonomischen Ursachen des Konfliktes nicht zugeben konnte. Dies deckte sich mit serbischen Ansprüchen auf den Kosova. Das Gebiet ist zwar heute mehrheitlich albanisch besiedelt, aber die ursprüngliche Heimat der SerbInnen und durch die historische Schlacht auf dem Amselfeld Gegenstand nationalistischer Mythenbildung. Diese fand neue Aktualität, als der Kosova unter serbische Verwaltung gestellt wurde. Darauf reagierte die Führung der Aufstandsbewegung mit der Forderung nach sofortigem Austritt aus dem jugoslawischen Staatsverband und dem Anschluß an Albanien.

Die jugoslawische Staatsführung und die Regierungen der einzelnen Republiken blockierten sich gegenseitig bei der Umsetzung von Lösungsstrategien, zumal sie alle sich einer das ganze Land erfassenden Streikbewegung gegenüber sahen, die den Charakter einer proletarischen Revolte gegen einen formell noch immer sozialistischen Staat annahm.

Insbesondere die Regierungen von Slowenien und Kroatien waren nicht länger bereit, die Armut des Südens mitzufinanzieren. Bisher waren die dort getätigten Investitionen von den beiden reichsten Republiken getragen worden, ohne daß sie zu sichtbaren Erfolgen geführt hätten. Nachdem sich ein zunehmend aggressiver werdender serbischer Nationalismus am rüden Besatzungsregime im Kosova und der serbischen Annektion der bis dahin autonomen Vojvodina deutlich zeigte, setzten die Staatsführungen der beiden Republiken auf die nationale Unabhängigkeit. Dabei konnten sie auf die Unterstützung der österreichischen und der bundesdeutschen Regierung bauen, für die Slowenien und Kroatien wirtschaftlich interessant waren, der Rest Jugoslawiens hingegen überhaupt nicht. Schon seit Mitte der Achtziger Jahre wurde in osteuropäischen Arbeitskreisen der bundesdeutschen Industrie eine Abtrennung Kroatiens und Sloweniens als wünschenswert bezeichnet[1]

Einig waren sich die Führungen aller Republiken im repressiven Vorgehen gegen die Bewegungen von unten, die mit Polizeigewalt zerschlagen wurden. Propagandistisch wurden diese in den einzelnen Republiken als Machenschaften anderer Teilrepubliken oder bestimmter Volksgruppen dargestellt. Ethnische Konflikte waren es teilweise tatsächlich; dies aber in dem Sinne, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe mit einem bestimmten sozialen Status verbunden war. Ab 1987 kann von einer allgemeinen „Ethnisierung“ ursprünglich sozial bestimmter Konflikte geredet werden. Zunehmend begannen die AkteurInnen sich über ihre Volksgruppenzugehörigkeit zu definieren.

Die Bombe platzt

Zu den ersten bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen außerhalb des Kosova kam es Frühjahr 1991 in der Krajna. Dieses Gebiet, das die kroatische Adriaküste von der Herzegowina trennt, bessaß eine sehr spezielle Bevölkerungsstruktur. Noch zur Zeit der K.u.K.-Monarchie waren dort, entlang der damaligen Militärgrenze zum Osmanischen Reich, Wehrdörfer zur Grenzsicherung angelegt worden. Diese wurden mit SerbInnen besiedelt, die in dem Bewußtsein aufwuchsen, die militärische Vorhut des Abendlandes gegen den Islam zu sein. Bis zur Zerstörung der Krajna-Republik durch die kroatische Armee im Spätsommer 1995 hatte sich die Wehrbauernmentalität dort ungebrochen erhalten. Als sich Ende der Achtziger die Pläne der kroatischen Regierung zum kapitalistischen Umbau und zur Herauslösung aus dem jugoslawischen Staatsverband immer deutlicher abzeichneten, begannen von hier aus militante serbische Nationalisten ihre Aktionen gegen Kroatien. Sie wurden von Kroatien so rigoros niedergeschlagen wie ungefähr gleichzeitig unter serbischer Regie die Unruhen im Kosova.

Am 27. Juli 1991 trat der Konflikt ans Licht der Weltöffentlichkeit: Slowenien und Kroatien erklärten ihre Unabhängigkeit. Es folgte ein kurzer Krieg um die Unabhängigkeit Sloweniens und ein sehr blutiger und grausamer Krieg zwischen Kroatien und Rest- Jugoslawien einerseits und der Krajna sowie serbischen Volksgruppen in Ost- und West-Slawonien andererseits. Alle Seiten taten sich durch die Bestialität der sog. ethnischen Säuberungen hervor, die planmäßige Ermordung und Vertreibung der Bevölkerung ganzer Landstriche. Von Anfang an war die BRD aufgrund ihrer ökonomischen Interessen auf der Seite Kroatiens, während sich die übrigen westeuropäischen Mächte mit Parteinahme zurückhielten, Großbritannien und Frankreich hauptsächlich aus Rücksichtnahme auf ihre eigenen ethnischen Minderheiten. Als der Konflikt im Frühjahr 1992 mit der Anerkennung Kroatiens durch Rest-Jugoslawien beigelegt schien, explodierte er in Bosnien-Herzegowina. Serbische Separatisten riefen in der Furcht vor einer völligen Bevormundung durch die miteinander verbündeten Moslems und KroatInnen die unabhängige Republik von Pale aus. Ehe es zu einer Verhandlungslösung kommen konnte, begannen serbische Söldnermilizen die bosnische Hauptstadt Sarajevo mit Granatwerfern zu beschießen und von der Außenwelt abzuschneiden, um auf diese Weise die Unabhängigkeit der Republik zu erzwingen. Die bosnische Führung reagierte mit militärischen Mitteln. Es folgte ein langer, blutiger Krieg, in dem beide Seiten hauptsächlich wehrlose Zivilbevölkerung niedermetzelten.

Der weitere Verlauf des Konflikts bis zum Herbeibomben des Friedens von Dayton durch die NATO dürfte, abgesehen von den Verfälschungen durch eine allgemein antiserbische Ausrichtung in der deutschen Medienberichterstattung, zumindest in groben Zügen bekannt sein. Nach dem Friedensschluß in Bosnien eskalierte die Entwicklung im Kosova.

Zweierlei Imperialismus – ein Ausblick in die nahe Zukunft

Wenn nach dem Eingreifen von NATO-Kampfeinheiten der Eindruck entstanden ist, daß die Westmächte im Jugoslawienkrieg an einem Strang ziehen, so täuscht dieser. Die Interessen der verschiedenen NATO- und WEU-Staaten sind durchaus nicht deckungsgleich.

Das Interesse der BRD an einer Unabhängigkeit von Kroatien und Slowenien wurde oben bereits dargestellt. Die jetzige Interessenlage der BRD gestaltet sich komplex. Zunächst einmal fährt sie in ihrer Balkan- und Osteuropapolitik einen Kurs, der mit der Rest-EU nur wenig abgesprochen wird. Seit 1991 betreibt die Bundesregierung eine sehr aktive Ostpolitik, die auf die Schaffung eines eigenen „Hinterhofes“ in Osteuropa abzielt. Vorbild ist hierbei die Durchdringung Mittelamerikas durch US-Interessen. In Kroatien ist die BRD bereits gut im Geschäft; so gehört ein Großteil der kroatischen Energieversorgung der Firma Siemens, überhaupt der größte westliche Investor in Kroatien. Eine Rolle spielen auch deutsche Waffenlieferungen. Im Unterschied zur Lieferung von billigem NVA-Material in alle Welt wurden hier neuartige Waffen im Einsatz getestet, wie die neue Panzerabwehrrakete „Armbrust“. Ein Testfall ist ebenfalls der Einsatz deutscher Schiffe, Flugzeuge und Bodentruppen. Von den Alliierten wird er gewollt, um die BRD militärisch möglichst stark einzubinden, für die BRD ist er Teil eines Stufenplanes zur Erhöhung der Akzeptanz von deutschen Militäreinsätzen ganz anderen Ausmaßes. Fernziel ist die uneingeschränkte Möglichkeit zu weltweiten Dauerinterventionen nach dem Vorbild der USA und Frankreichs. Die BRD betreibt in Jugoslawien also Großmachtpolitik auf allen Ebenen. Damit die in Kroatien getätigten Investitionen sich lohnen, liegt es im Interesse des deutschen Kapitals, daß langsam Ruhe in die Region kommt oder daß die bewaffneten Auseinandersetzungen sich nach außen verlagern. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, daß in der Vojvodina der Bürgerkrieg noch bevorsteht.

Demgegenüber haben die USA eher ein Interesse daran, den Störfaktor Serbien auszuschalten, ohne daß BRD-Kapital allzuviel daran verdient, was vielleicht auch die besondere Gründlichkeit amerikanischer Bombenangriffe erklärt.

Großbritannien und Frankreich hatten lange gezögert, sich dem prokroatisch-promuslimischen Kurs der BRD anzuschließen. Dies geschah, wie gesagt, vor allem mit Rücksichtnahme auf die ethnischen Unabhängigkeitsbewegungen in diesen Ländern sowie vor dem Hintergrund, daß die ökonomischen Interessen der BRD nicht die Ihren sind. Mittlerweile steht die EU in Jugoslawien aber recht einheitlich da, militärisch von Großbritannien und Frankreich angeführt, zugunsten von BRD-Wirtschaftsinteressen. Militärisch kämpfen US-amerikanische und deutsche Einheiten zusammen, politisch teilweise gegeneinander.

Andererseits gibt es natürlich auch gemeinsame imperialistische Interessen. Sowohl die Durchsetzung imperialistischer Hegemonial- und Profitinteressen durch territoriale Aufteilung als auch die Kriegsweise finden sich auch anderswo wieder. Was Letztere angeht, handelt es sich um eine Mischung aus einer weltweiten Unterstützung völkermordender regionaler Heerführer, begrenzter Intervention durch eine multinationale Streitmacht und zeitweilige militärische Besetzung von Schlüsselzonen. Ähnliches fanden wir in Ruanda und Somalia vor, im Falle einer Eskalation der Auseinandersetzungen in Algerien zum offenen Bürgerkrieg wird sich dort unter französischer Führung die Fortsetzung abspielen.

Das Modell Jugoslawien ist charakteristisch für die noch kommende Neuaufteilung der Welt: Eine strikte Trennung von für das Metropolenkapital ökonomisch interessanten Regionen und Armutsgebieten, eine territoriale Abschottung notfalls mit militärischen Mitteln und die wirtschaftliche Neuerschließung durch völlige Zerstörung und anschließenden Wiederaufbau.

.

In Jugoslawien hat die Vertreibung der Kosova – Albaner bzw. jetzt der Serben aus dem Kosova den Charakter, eine territoriale Neuaufteilung durch die „Schaffung“ einer auf das jeweilige Territorium zugeschnittenen Bevölkerung zu erreichen. Inwieweit dies dauerhaften Erfolg zeitigen wird und ob es den imperialistischen Mächten den erhofften Nutzen bringt, wird die Zukunft zeigen.


[1] vgl. Andreas Meurer u.a.: Die Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg, Köln 1992

23 Antworten

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  1. Danke für die Übersetzung ins Deutsche!

    MartinM

    19. März 2008 at 11:54

  2. Bittschön! Ich hoffe mal auf eine lebhafte Diskussion, denn das Thema hat ja nun auch Ausstrahlung auf andere Konflikte, vom Irak bis Kongo.

    che2001

    19. März 2008 at 13:39

  3. Was hatte es eigentlich mit diesem Amselfeld auf sich? Warum ist das ein so starker nationalistischer Mythos der Serben?

    lars

    19. März 2008 at 14:13

  4. Den Passus:

    „Das Modell Jugoslawien ist charakteristisch für die noch kommende Neuaufteilung der Welt: Eine strikte Trennung von für das Metropolenkapital ökonomisch interessanten Regionen und Armutsgebieten, eine territoriale Abschottung notfalls mit militärischen Mitteln und die wirtschaftliche Neuerschließung durch völlige Zerstörung und anschließenden Wiederaufbau.“

    … finde ich ja sehr plausibel, aber ist’s denn gerade im Falle Serbiens so simpel, auf „immanente Betrachtungen“ mehr oder weniger zu verzichten, einfach nur auf das „Antiserbische“ in der deutschen Berichterstattung zu verweise, die „Erbstreitigkeiten“ nach Zusammenbruch des Tito-Landes aber zu ignorieren?

    War ja meines Wissens nicht mal eben einfach nur so ferngesteuert, was der Milosovic da trieb. Jetzt mal Genschers Kroatien-Anerkennung hin oder her.

    Was ja dann auch auf das „Amselfeld“ verweist, wo ich jetzt auch nur erinnere, daß das irgendeine ganz entscheidende Schlacht stattfand, die sowas wie ein serbischer Gründungsmythos ist …

    momorulez

    19. März 2008 at 15:07

  5. Das ist ein 1a-Beispiel, wie die Ethnisierung des Sozialen funktioniert. Am 28.Juni 1389 war Zar Lazar Hrebeljanović dem türkischen Sultan Murad I. unterlegen. Beide Herrscher kamen in der Schlacht um. Lazar war der Befehlshaber eines christlichen, multiethnischen Heeres Heeres gewesen, die Schlacht war damals natürlich nicht als Schlacht zwischen Nationen wahrgenommen worden,sondern als Abwehrschlacht des christlichen Abendlands gegen den Islam. Lazar wurde als christlicher Märtyrer heiliggesprochen(der jüdische Name Lazarsfeld war im österreichisch-ungarischen Kaiserreich bei balkanischen Juden populär). Erst mit dem Aufkommen des serbischen Nationalismus im 19. Jahrhundert wurde daraus ein Nationalheld. Die serbisch-nationalistische Offiziersverschwörung Crna ruka (Schwarze Hand) verband Anfang des 20.Jahrhunderts den Heldenmythos mit der Märtyrerverehrung. Wie Lazar fürs Vaterland, d.h. ein Großserbien, das auch Bosnien-Herzegowina und das Amselfeld umfassen sollte zu sterben wurde als höchste Erfüllung für einen Mann gepriesen. Die Attentäter von Sarajevo, Gavrilo Prinzip und Muhamed Mehmedbasi, Mitglied der Ujedinjenje ili Smrt (Einheit oder Tod) wählten für das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand bewusst den Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld. Man wollte einen Weltenbrand heraufbeschwören, der das Ergebnis der Schlacht auf dem Amselfeld rückgängig machen sollte. Die Ujedinjenje ili Smr war eine Organisation, die wie Carbonari oder Dekabristen Revolution als etwas verstanden, das nur von einer winzigen logenartigen Geheimgesellschaft durchgeführt werden könnte und stark in Begrifflichkeiten von Verschwörungstheorien und Armageddon dachte -letztlich eine terroristische Organisation mit vormodernem Charakter, die keinesfalls als typisch für den serbischen Nationalismus angesehen werden kann. Im Gegenteil, sie planten auch ein Attentat auf den serbischen Thronfolger und späteren jugoslawischen Staatsgründer Aleksandar Karadjordjevic.

    Im sozialistischen Jugoslawien spielte (außer bei den wehrbauernhaften Krajna-Serben in Kroatien) der Amselfeld-Mythos keine Rolle mehr, eine Verachtung der Albaner durch Serben und Kroaten hatte eher soziale Gründe, da die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe oft auch mit einem bestimmten sozialen Status verbunden war. Erst während der Erosion Jugoslawien schuf der damals noch kommunistische serbische Premier Milosevic den Amselfeld-Mythos neu. 1987 fand im Kosovo eine Riesendemo statt, auf der Milosevic das Amselfeld zum heiligen serbischen Boden erklärte, und statt roter Fahnen sah man plötzlich riesige orthodoxe Kreuze.Mit allem, was der Propagandaapparat der Partei hergab,und mit allen Möglichkeiten moderner medialer Inszenierung wurde ein Nationamythos gepusht, der teilweise auf die paläofaschistischen Vorstellungen der Ujedinjenje ili Smr zurückgriff, das aber mit „antifaschistischem“ Anspruch verband (Serben als geschichtsnotorische Opfer des Islamismus,des Faschismus und des Imperialismus). Damals prügelte die jugoslawische Polizei noch auf serbische Demonstranten im Kosova ein, andererseits behauptete der jugoslawische Staatsfunk, serbisch-nationalistische Milizen in Kroatien seien eine Propaganda-Erfindung des kroatischen Fernsehens. Das Zusammenfallen nationalistischer Ideologien mit politischen Sezessionstendenzen in ganz Jugoslawien trat erst 1989 offen zu Tage. Milosevic verstand es binnen kürzester Zeit, aus orthodoxer Religiosität, altserbischem Rechtsextremismus und Fragmenten der alten kommunistischen Ideologie ein neues totalitäres Denksystem zu schmieden.

    che2001

    19. März 2008 at 16:01

  6. Zu:

    Das Modell Jugoslawien ist charakteristisch für die noch kommende Neuaufteilung der Welt: Eine strikte Trennung von für das Metropolenkapital ökonomisch interessanten Regionen und Armutsgebieten, eine territoriale Abschottung notfalls mit militärischen Mitteln und die wirtschaftliche Neuerschließung durch völlige Zerstörung und anschließenden Wiederaufbau.

    Ich kann nicht ausschießen, dass es organisierte politische Kräfte gibt, die in irgendeiner Form ein „Modell Jugoslawien“ geplant oder erträumt haben. Zumal es tatsächlich Belege dafür gibt, dass es vor Beginn des Jugoslawienkonflikts aus dem Umfeld von US-Militärfirmen planerische Tätigkeiten in Jugoslawien gab (u.a. das systematische militärische Auskundschaften von Vor-Ort-Begebenheiten).

    (aber)

    Die Vorstellung, dass – quasi wie in einer Weltverschwörung – irgendwelche militärisch/politischen Planungsstäbe das Schicksal von Nationen nach irgendwelchen Modellvorstellungen bestimmen, ist im Fall von Jugoslawien a) unterkomplex und verkennt b), dass der Konflikt keineswegs vom Zeitpunkt und Verlauf „geplant“ war.

    Deutlich realistischer ist m.E. die Sichtweise, dass die Beteiligten (inkl. EU und NATO) in diese Angelegenheit zu einem guten Teil reingerutscht (!) sind – und ab einem bestimmten Zeitpunkt unter objektiven wie subjektiven Handlungszwängen standen.

    Mein Punkt ist also, dass das Gesamtgeschehen in Jugoslawien hochkomplex war, erhebliche – und oft überraschende – Eigendynamiken wirksam waren, und dass all dies damit fernab eines geplanten Modells steht, welches angeblich „charakteristisch für die noch kommende Neuaufteilung der Welt“ sei. Ich bestreite also die absichtsvolle Planung und das Bestehen eines übergreifenden Planungszusammenhangs. Ich bestreite, dass die Vorgänge in Jugoslawien ein generelles „Modell“ für den Verlauf künftiger weltpolitischer Ereignisse darstellen – auch wegen der in Jugoslawien zahlreich wirksamen erheblichen Sonderfaktoren.

    Bei sowas sollte man generell aufpassen: Schicce linksgerichtete extremistische Verschwörologie. Gerede von „Modellen“, die keine sind.

    (Blöderweise kommt es trotzdem vielfach auf der Welt zu Erscheinungen, welche z.B. zur Abschottung von Armutsregionen führen und zur Sonderbehandlung von vermeintlich oder tatsächlich ökonomischer interessanten Regionen.)

    (Im Fall Jugoslawien schließe ich überdies nicht aus, dass NATO-Planungsstäbe der vorschnellen Auffassung waren – und diese in den Prozess einbrachten – dass sich ein gespaltenes Jugoslawien in irgendeiner Weise günstig für die Hegemonialinteressen der NATO auswirken würde)

    Dr. Dean

    19. März 2008 at 16:18

  7. @“ Ich bestreite also die absichtsvolle Planung und das Bestehen eines übergreifenden Planungszusammenhangs. Ich bestreite, dass die Vorgänge in Jugoslawien ein generelles “Modell” für den Verlauf künftiger weltpolitischer Ereignisse darstellen – auch wegen der in Jugoslawien zahlreich wirksamen erheblichen Sonderfaktoren.“ — Ich behaupte einen solchen Planungszusammenhang gar nicht. Es ist auch nicht Sache der Materialien für einen neuen Antiimperialismus, so etwas zu behaupten, da versteht man uns permanent miss. Modell bedeutet hier viel eher die Abbildung, wie sich in einer bestimmten historischen Phase bestimmte Prozesse entwickeln, so, wie die Französische Revolution das Modell für bürgerliche Revolutionen im 19.Jahrhundert geliefert hat. Und es lässt sich auch wohl kaum bestreiten, dass Ethnisierung sozialer Unterschiede und „ethnische Säuberungen“ seit Saddams Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden und seit dem Jugoslawien-Krieg weltweit eine tonangebende Rolle in Kriegen überall auf der Welt spielten – Ruanda, Sierra Leone,Kongo. In den Kriegen der Ära zuvor ging es genau darum nicht.

    che2001

    19. März 2008 at 16:40

  8. @ Che
    Die Ethnisiserung sozialer Konflikte scheint tatsächlich ein aktueller weltgeschichtlicher Zug zu sein, wobei ich mir bei der Beurteilung unsicher bin (war es „früher“ nicht auch so?), und noch unsicherer hinsichtlich des dazu führenden Ursachenbündels.

    Aber gerade „Jugoslawien als Modell„?

    Dr. Dean

    19. März 2008 at 17:24

  9. Danke Che 😉

    @Dean: Die Frage ging doch anders rum: Was hat es mit dem Amselfeld auf sich? -> Beispiel einer Ethnisierung sozialer Konflikte. Was ja was anderes als ein Modell ist. Ein Beispiel ist typisch, ein Modell idealtypisch.

    lars

    19. März 2008 at 17:33

  10. Ethnisierung als Herrschaftstechnik.

    (warum aber ausgechnet das Amselfeld dafür als „Modell“?)

    Dr. Dean

    19. März 2008 at 18:01

  11. Nein, das Amselfeld ist für gar nichts Modell, das war eine andere Frage, die ich da behandelt habe. Ethnisierung als Herrschaftstechnik, Zerschlagung föderaler Strukturen und Parzellisierung von Ländern nach Maßgabe ökonomischer Verwertbarkeit in Kombination mit Zuweisung an ethnische Kollektive (funktioniert auch im Irak und im Kongo, wenn auch ohne Teilung in unterschiedliche souveräne Staaten), schließlich Zerschlagung regionaler Ordnungsmächte und stark regulierter korporatistischer regionaler Märkte zur Durchsetzung von Globalisierung (noch nach dem Zusammenbruch das Warschauer Paktes war Jugoslawien einer der wichtigsten Handelspartner Griechenlands, das den größten Teil seines Außenhandels auf den Balkan beschränkte, für Rumänien gilt Ähnliches). Und, wie gesagt, nicht als Masterplan, sondern im Sinne von „es dampfmaschint, wenn das Zeitalter der Dampfmaschine gekommen ist.“.

    che2001

    19. März 2008 at 18:49

  12. Die Ethnisierung von Konflikten lässt sich in den angesprochenen Fällen m.E. als Legitimationskrise von Herrschaft deuten bzw. als Antwortoption auf verfallende Herrschaftsstrukturen.

    Die (vermeintliche, angezüchtete, propagandierte oder echte) ethnische Identität dient dann zur Mobilisierung und und Legitimierung politischer Herrschaft – und entfaltet zugleich eine Distinktion verstärkende Eigendynamik.

    Aber die daraus folgende Parzellierung von Herrschaftsbereichen folgt – meiner Meinung nach – eben nicht ökonomischen Erfordernissen, noch dient sie ökonomischen Interessen.

    Im Fall von Jugoslawien mag zusätzlich hereinspielen, dass hier militärstrategische Interessen (z.B. Schwächung potentieller Partner Russlands) eine Rolle spielen – eine Gegenthese wäre hier allerdings, dass ein geeinigtes und friedliches Jugoslawien für die politischen Interessen der NATO und EU nützlicher gewesen wäre als die Aufspaltung in Kleinstaaten, bei denen ein bedeutender Teil sich nunmehr recht massiv an Russland orientiert.

    Eine weitere These – leider recht stark verschwörologisch – wäre die Annahme, dass der militärisch-industrielle Komplex generell auf die Förderung von regionalen Konflikten und folglich militärischen Interventionsgelegenheiten abzielt. Das wäre damit aber – insgesamt – eine geradezu anti-ökonomische Motivation. Ich presönlich neige dieser These sogar leicht zu, zwar nicht in ihrer direkten Gestalt (als unmittelbare Absicht militärstrategischer Planer), aber als strategisches Ergebnis des typischen Denkens von hegemonial denkenden „foreign affairs“-Strategen, Militaristen, Militärindustriellen und den mit ihnen in einem gemeinsamen politischen Umfeld agierenden Exekutivkräften und Politikern.

    In diesem Zusammenhang, sollte dieser stichhaltig sein, wäre die Denkfigur „nach Maßgabe ökonomischer Verwertbarkeit “ eine, sorry, üble Karikatur.

    Tatsächlich glaube ich, dass es im Umfeld von NATO-Militärplanung und außenpolitischer Strategiebildung durchaus bedeutsame Einflussfaktoren z.B. in Gestalt verdrehter bzw. teilmanipulierter Öffentlichkeiten (Stichworte: Agenda Setting, Spin) gibt, z.B. aus dem Umfeld von „Think Tanks“ heraus, die (eine beachtliche Penetrationstiefe!) sogar die Ausbildung und den Karriereweg von zahlreichen Journalisten mitprägen (u.a. über stille und offene Stipendien), sofern diese im Bereich „foreign affairs“ oder „Sicherheitspolitik“ tätig sind.

    Es gibt also ein massives und auch wirksames (!) Einflussinteresse, welches sich auch und gerade in Bezug auf derartige Konflikte auswirkt, allerdings ist das Zustandekommen dieser wirksamen Einflusszusammenhänge m.E. am ehesten als eine Form der politischen Mode innerhalb politischer Elitenstrukturen zu deuten – und dann eben nur sehr geringfügig als Ausdruck von „Verwertungsinteressen“ eines Strategien verfolgenden Planungszusammenhangs.

    Dr. Dean

    19. März 2008 at 20:23

  13. Die Ethnisiserung sozialer Konflikte hat in der Zeit des „kalten Krieges“ kaum eine Rolle gespielt, in der soziale Konflikte bevorzugt durch die bipolare Brille des Systemkonflikts zwischen „West“ (Kapitalismus) und „Ost“ („real exististierendem Sozialismus“ ) betrachtet wurden. Zeitweilig blühte die „Agententheorie“ sozialer Konflikte – besonders bizarr in der DDR (Darstellung der Ereignisse um den 17. Juni 1953) auch in der BRD (Standardvorwurf an praktisch alle Protestbewegungen, sie seien „aus Moskau ferngesteuert“) – an deren ideologisch-paranoidem Charakter der tatsächliche Einsatz von „Agenten“ (die manchmal, wie im Falle der DKP, eher „möchtegern-Agenten“ waren) wenig änderte.

    Dass während und vor dem „kalten Krieg“ gerne ökonomisch oder sozial bedingte Konflikte nationalistisch verbrämt wurden, ändert meiner Ansicht nichts daran, dass das „Model Jugoslawien“ typisch für die ökonomisch-politische „aktuelle Moderne“ nach 1990 ist.

    Ich sehe auch Konflikte bzw.Ideologien innerhalb westlicher Staaten unter diesem Gesichtspunkt. Die italienische „Lega Nord“ ist m. E. das offensichtlichste Beispiel dafür, wie ein ökonomisch bzw. wohlstandschauvinistisch bedingter Regionalismus nachträglich etnisch bzw. regionalkulturell „unterfüttert“ wird.

    MartinM

    19. März 2008 at 20:45

  14. @ „Dr. Dean“: Ein geeinigtes und friedliches Jugoslawien für die politischen Interessen der NATO und EU nützlicher gewesen, wenn es klar „prowestlich“ orientiert gewesen wäre. Wenn es einen „Masterplan“, etwa im NATO-Oberkommando, gegeben hätte, wäre das vermutlich sein Ziel gewesen. Aber die Verhältnisse, sie waren nicht so – und es gab wahrscheinlich nicht nur keinen Masterplan, sondern auch keine vorbereiteten Langzeitpläne für den „Jugoslawischen Bürgerkrieg“ – es wurde halt improvisiert, nach opportunistischen Maßstäben.

    Dieser (ökonomische) Opportunismus scheint mir das typische Merkmal der politischen Welt nach dem Ende des kalten Krieges zu sein. Das ist auch der Grund, weshalb China in Tibet „durchkommt“ und sich bei uns kaum jemand mit dem Tschetschenien-Krieg befasst.

    MartinM

    19. März 2008 at 20:56

  15. @“Aber die daraus folgende Parzellierung von Herrschaftsbereichen folgt – meiner Meinung nach – eben nicht ökonomischen Erfordernissen, noch dient sie ökonomischen Interessen.“ — bitte? Die einzigen ökonomisch für den Westen wirklich interessanten Teile Ex-Jugoslawiens, Slowenien und Kroatien, befinden sich auf EU-Kurs, ihre Telefonnetze und Stromerzeuger gehören zumindest in Form von Beteiligungen inzwischen deutschen Konzernen (schon seit den späten 70ern hatten deutsche und österreichische Wirtschaftskammern eine solche Entwicklung befürwortet und angeregt, darauf hinzuarbeiten), das immerhin touristisch hochinteressante Montenegro gehört zur Euro-Zone, die Armutsrepubliken Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sind im Wortsinn ausgegrenzt, und Du siehst keine ökonomischen Interessen? Wie kann man noch blinder sein, mit Verlaub?

    @MartinM, da stimme ich Dir völlig zu, zumal das Modell das Gleiche ist: Die Lega Nod, ursprünglich Lega Lombarda entstand mal aus dem Unwillen von Norditalienern, die Armut des Mezzogiorno und Siziliens, Apuliens und Kalabriens zu subventionieren, und der Sezessionismus Sloweniens und Kroatiens aus der gleichen Haltung gegenüber Rest-Jugoslawien.

    che2001

    19. März 2008 at 23:13

  16. Es ist doch so: niemand bestreitet, dass die Wirtschaftsinteressen der Großmächte im Zeitalter des klassischen Imperialismus zu der Ausgangssituation des Ersten Weltkriegs führten. Auch die imperialistischen Interessen am Öl des Mittleren Ostens seitens des offensichtlichen Öl-Lobbyisten Bush werden in Teutschland schon anerkannt. Aber dass europäische Staaten in Kriegen irgendwelche Eigeninterressen verfolgen würden??? Igittigitt, das ist linksextreme Propaganda, wir sind doch die Guten, das machen wir nie nich. EU-Staaten verfolgen keine Interessen wie die gesamte übrige Welt. Imperialismus ist immer nur die Sache der Anderen. Wirf mir die Augenbinde runter und den Stirnverband, es herrscht wieder Frieden im Land.

    netbitch

    20. März 2008 at 0:07

  17. @ Netbitch
    Ich bezweifele sogar, dass es vor Beginn der jugoslawischen Verwerfungen überhaupt eine einheitliche europäische Linie in der Politik gab. Selbst, wenn ich davon ausgehe, dass Machtinteressen Außenpolitik beeinflussen, oft sogar sehr stark, gibt es keinen Automatismus, der zu Imperialismus führt. Im Fall von Jugoslawien kann ich es einfach nicht erkennen.

    Wenn Du so firm bist in der Thematik, wenn Dein Urteil so fest und starr ist: Dann liefer doch Belege – oder wenigstens eine nachvollziehbare Argumentations – dafür, dass die bösen EU-Imperialisten die Entwicklung Jugoslawiens genauso so beabsichtigt haben, wie sie gekommen ist!

    (Das kannst Du nicht)

    Ich bezweifle sehr stark, dass die Klein- und Kleinststaatenstruktur einem Interesse eines „EU-Imperialismus“ folgt. Noch mehr bezweifele ich, dass die Eroberung von Geschäftstätigkeit in Kroatien und Slowenien überhaupt ein Motiv waren bei der Teilung Jugoslawiens.

    Was Du schreibst und als Zusammenhang für gesichert hältst, ist im Wesentlchen eine Verschwörungstheorie. Dann müsste allerdings auch der serbische Nationalismus, der den ganzen Prozess sehr stark befördert hat, vor allem ein Ergebnis der bösen EU-Politiker gewesen sein.

    Ich glaube, es war anders.

    Der KP-Vorsitzende Milosevic hatte 1989 quasi als erste Amtshandlung (!) die „antibürokratische Revolution“ ausgerufen, im Wesentlichen ein Euphemismus für großserbisch-nationalistische Politik. Schon deutlich davor (1983 und früher) war er als serbischer Nationalist aktiv. Auch in Kroatien, Kosovo und Slowenien gab es einen wachsenden Nationalismus.

    Und die bösen EU-Imperialisten sollen daran schuld gewesen sein?

    Dr. Dean

    20. März 2008 at 18:25

  18. Du schreibst interessant, ich denke aber das deine Aussagen über die Rolle der BRD ab der Unabhängigkeit Kroatiens/ Sloweniens zu einseitig, wenn nicht sogar falsch dargestellt ist. Die Vermengung von Politik und Wirtschaft erscheint mir in diesem Zusammenhang zu einfach. Auch der Vergleich USA/ Mesoamerika und BRD/ Jugoslawien erscheint mir nicht angebracht (Stichwort: (Contrabewegungen der CIA haben keine vergleichbare Basis seitens der BRD)Sonst aber für den Interessierten Leser sehr geeignet.

    Uwe

    3. Juni 2009 at 17:57

  19. So unplausibel finde ich die Darstellung der deutschen Rolle in der region nicht, wenngleich ich nach wie vor skeptisch bin, dass es da eine Art Masterplan von Politik und Industrie gegeben hätte mit dem klaren Ziel, die Einheit Jugoslawiens systematisch zu unterminieren.

    Die mindestens ebenso interessante Frage ist doch, warum Frankreich und England zunächst so passiv und planlos agierten. Rücksicht auf die ethnischen Minderheiten mag da mit reingespielt haben. Mir scheint aber, das eigentliche Dilemma wird darin gelegen haben, dass man eigentlich lieber dem einstigen Verbündeten Serbien den Rücken gestärkt hätte im Kampf für die territoriale Integrität der jugoslawischen Föderation, schon allein auch, um deutschem Zugriff Richtung Slowenien und Kroatien etwas entgegenzusetzen. Nun war die serbische Politik aber nicht unbedingt von einer Art, der man ohne enormen Gesichtsverlust offene Unterstützung hätte signalisieren können. Und so verharrten England und Frankreich lieber in Schockstarre – auch zum Befremden der USA, deren Rolle hier leider bisschen kurz kommt. Ich bin mit NATO-Interna nicht so vertraut, aber meines Wissens gab es schon etliche Jahre vor dem Bürgerkrieg auf dem Balkan eine Reihe von Planungen und Szenarien, die von Jugoslawien als initialem Konfliktherd einer größeren Konfrontation der beiden Blöcke ausgingen.

    mark793

    4. Juni 2009 at 11:45

  20. Wie gesagt, vom großen Masterplan gehe ich gar nicht aus, eher davon, dass verschiedene Pläne unterschiedlicher Fraktionen existierten, die dann zusammenwirkten. Und sorry, aber die Gutachten österreichischer und westdeutscher Kommissionen (in Deutschland im DIHT-Umfeld), die die wirtschaftliche Erschließung Jugoslawiens für den Westen im Falle eines Zerfalls der nationalen Einheit zum Inhalt hatten existierten nun einmal, ich habe da selbst Teile von gelesen. Die wiesen übrigens z.T. erschreckende Parallelen zu Modernisierungsplänen für Südosteuropa von NS-Wirtschaftsplanern aus den 30ern auf. Und angesichts gewisser Kontinuitäten im westdeutschen Institutionengefüge muss auch niemandem schleyerhaft sein, wieso.

    che2001

    4. Juni 2009 at 12:53

  21. che hast schon recht.

    hibouh

    15. Februar 2011 at 9:43

  22. man kann nicht alles lesen, was da kommentiert ist. eines weiss ich gewiss: die USA traten erst in diesen krieg ein, als es um den kosovo ging; denn d e r ist der in europa einzigsrtigste und rohstoffreichste landstrich, was seltene rohstoffe anbetrifft. so wurden die US-interessen geweckt und wohl noch heute sind dort angebl. an die 35.000 Gi’s stationiert; und zwei US-mining-firmen beuten die lagerstätten aus. aus vorarlberg ging zumindest bis zum jahr 2008 täglich allein fruchtsaft von dortiger firma in 1-2 lastzügen ab. über sowas hört man natürlich nirgends. aber: passt in den versteckten imperialismus, dem nur zum schein nationalitäten was wert sind.

    hellmut franz

    28. August 2011 at 17:03

  23. Sehr interessanter Kommentar. In dem Kontext stellt sich übrigens auch die Frage, welche Rolle die Gesellschaft zur Bedrohung der Völker da spielte.

    che2001

    30. August 2011 at 12:00


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