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Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Frauenbefreiungsfront (2)

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Die Frauenbewegung in der BRD (34)

„Auf dem Mann liegt ein umgekehrter Midas-Fluch – alles was er berührt, wird zu Scheißdreck.“

Valerie Solanas, S.C.U.M.

Was bisher geschah: Aus den Trümmern des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen fand sich auch eine Frauengruppe zusammen, die sich Frauenbefreiungsfront nannte. Diese war Teil des militanten politischen Untergrundes in Berlin, aus dem sich dann später die Bewegung 2. Juni und Teile der RAF rekrutieren sollten.

Bevor ich genauer auf die ideologischen Hintergründe der Frauenbefreiungsfront eingehe, will ich die Bedeutung von Frauen für die Entstehung des Links-Terrorismus der frühen 70er Jahre an einem herausragenden Beispiel ins Gedächtnis rufen. Als Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion gilt gemeinhin die Befreiung Andreas Baaders im Jahr 1970. Baader war wegen Brandstiftung inhaftiert und einige Frauen planten seine gewaltsame Befreiung, darunter Gudrun Ensslin, Baaders Komplizin bei der Brandstiftung, und Ulrike Meinhof, eine angesehene Journalistin. Meinhofs Prestige sollte dazu genutzt werden, um Baader aus der Haftanstalt zu holen. Unter dem Vorwand, zusammen mit Baader ein Buch schreiben zu wollen, wurde ein Treffen der beiden „Autoren“ in einer Bibliothek beantragt und auch genehmigt.

Neben Ensslin und Meinhof waren Irene Goergens, Ingrid Schubert und Astrid Proll in die Vorbereitungen involviert. Die eigentliche Befreiungsaktion wurde dann von Meinhof, Ensslin, Goergens und Schubert durchgeführt; außerdem war ein namentlich nicht bekannter Mann beteiligt. Letzterer stammte angeblich aus dem kriminellen Milieu, hatte mit den politischen Zielen der Befreierinnen nichts am Hut und war als externer „Experte“ angeheuert worden. Ausgerechnet dieser „Profi“ verlor bei der Aktion die Nerven und schoß den Bibliotheksangestellten Georg Linke nieder.

„Sollte es so gewesen sein, und – wie gesagt – alles spricht heute dafür, hieße dies: Andreas Baader wurde von einer Frauen-Gang befreit – abgesehen von einem Berufskriminellen, der ohne Grund losschoss und deshalb seinen Job schlecht machte.“ ([3], S. 184)

Die Proto-RAF, die die Initiative ergriff und die Befreiung Baaders organisierte, bestand also in der Mehrzahl aus Frauen. Ulrike Edschmid faßte in ihrem Buch Frau mit Waffe die Einschätzung Astrid Prolls so zusammen:

„Die Gruppe wurde von Frauen beherrscht. Die Frauen waren stärker, weil sie besser miteinander umgehen konnten. Sie waren auf vielfältige Weise aneinander gebunden, was ihnen eine größere Kraft gab als den Männern. […] Die Männer […] hatten das Bedürfnis nach Bekenntnis. Sie erlagen der Faszination der Waffe, die sie als Feind des Staates auswies und mit einem Schlag auf die andere Seite warf.“ ([1], S. 112f)

Ich will mich hier gar nicht weiter in psychologischen Erörterungen verlieren, warum das so war. Sicherlich gab es geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Prägungen und Erfahrungen, die Menschen in den 70er Jahren in den Terrorismus trieben. Aber auch innerhalb der Gruppe der Frauen bzw. der Männer waren die Motivlagen und auch die gezogenen Konsequenzen so unterschiedlich, daß Verallgemeinerungen nicht mehr als Kaffeesatzleserei wären.

Dennoch läßt sich anhand der Vorbilder und Motive, die die Frauenbefreiungsfront prägten, ein gewisses Bild der Stimmungslage einer bestimmten militanten Frauen-Szene zu Beginn der 70er Jahre zeichnen. Zwischen den Baader-Befreierinnen und der Frauenbefreiungsfront läßt sich zwar kein direkter Bezug belegen. Ich habe keine Informationen darüber finden können, ob eine der an der Befreiungsaktion beteiligten Frauen Mitglied im Aktionsrat oder der Frauenbefreiungsfront war. Helke Sander erwähnt zwar einmal, daß Meinhof und Ensslin gelegentlich bei den Plena des Aktionsrates aufgetaucht seien ([4]), aber eine engere Verbindung bestand offensichtlich nicht. Das eigentliche Bindeglied zwischen Bewegung 2. Juni, RAF und Aktionsrat/Frauenbefreiungsfront war eine Frauenkommune am Cosimaplatz ([2], S. 103), die wohl so etwas wie den harten Kern der Frauenbefreiungsfront darstellte. Teil dieser Kommune waren auch Verena Becker und Angela Luther – die beide später zunächst bei der Bewegung 2. Juni und dann bei der RAF landen sollten.

Außer den beiden programmatischen Texten in der Agit 883 und den Erinnerungen Christina Perinciolis liegen keine großen Informationen über das Selbstverständnis der Frauenbefreiungsfront vor. Doch diese genügen, um ein grobes Bild zu skizzieren. Beginnen wir mit den Vorbildern. Diese erschließen sich, wenn man sich die Artikel der Frauenbefreiungsfront in der Agit 883 genauer ansieht. Die Bezugspersonen finden sich nicht im Text selbst, sondern sind in das von den Frauen selbst gestaltete Layout eingewoben: Genannt oder abgebildet werden die Dollen Minas in Holland und als Einzelpersonen Connie Matthews, Leila Chaled und Valerie Solanas.

Diese Auswahl ist durchaus bezeichnend. Die Dollen Minas waren eine niederländische Frauengruppe, die vor allem durch spektakuläre öffentliche Aktionen auf sich aufmerksam machte. Dazu gehörte auch, den Spieß in der Öffentlichkeit umzudrehen und Männern hinterherzupfeifen oder in den Hintern zu kneifen. Das praktizierte die Frauenkommune auch. Verena Becker erinnerte sich:

„Wir haben auch so nette Sachen gemacht, wie hinter Typen herfahren und pfeifen – Fenster auf, und offen angemacht, bis die Angst bekamen und wir immer hinterher. »Ach Kleener, brauchst doch keine Angst haben!« Ich hatte ooch so einen Django-Huf uff, hat einfach Spaß gemacht.“ (zit. nach [2], S. 104)

Die drei anderen genannten Vorbilder sind von einem deutlich anderen Kaliber; bei ihnen ist definitiv Schluß mit Lustig. Valerie Solanas genoß in gewissen radikal-feministischen Kreisen einen zweifelhaften Ruhm als Verfasserin des S.C.U.M.-Manifestes. Das Manifest begann mit den Worten:

„Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewußten und sensationsgierigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten.“ ([6], S. 25)

Die Vernichtung des männlichen Geschlechts startete Solanas dann damit, daß sie versuchte, Andy Warhol zu erschießen.

Leila Chaled war nicht so durchgedreht wie Solanas, die nach dem Attentat auf Warhol in der Psychiatrie landete. Das machte sie umso gefährlicher. Chaled war eine Ikone des palästinensischen Terrorismus und an den ersten Flugzeugentführungen beteiligt. Legendär ist das Bild, das sie glutäugig mit Palästinensertuch und AK47 bewaffnet zeigte, ein feuchter Traum derer, die in den kapitalistischen Zentren vom bewaffneten Aufstand träumten.

Die am wenigsten bekannte unter diesen drei Identifikationsfiguren war wohl Connie Matthews. Matthews war die internationale Koordinatorin der Black Panther Party. Und der Widerstand der Black Panther in den USA war das große Vorbild der militanten Gruppen im Berlin der frühen 70er Jahre. Christina Perincioli, die damals Teil dieser Szene war, schrieb:

„Unsere theoretischen Vorbilder waren nicht Bakunin, Marx, Bebel, Engels, Lenin, Mao, Simone de Beauvoir oder Betty Friedan, sondern die Black Panther.
Ihr Programm: Aufhören mit Jammern und Erdulden. Statt dessen Stolz und Würde wiedergewinnen. Die Entschlossenheit, sich nicht mehr erniedrigen zu lassen, öffentlich zeigen. Ihre Mitglieder patrouillierten im Ghetto bewaffnet und uniformiert zum Schutz gegen die Übergriffe der weißen Polizei.“ ([2], S. 105f)

Auch wenn es heute schwer nachzuvollziehen ist: Das war damals wirklich die Phantasie, an der sich die militanten Zirkel der Haschrebellen berauschten: Bewaffneter Selbstschutz gegen die Übergriffe der Polizei. Und diese wenig realitätstüchtige Vorstellung, im Herzen der imperialistischen Bestie eine bewaffnete Gegenmacht aufzubauen, inspirierte keineswegs nur männliche Machos, sondern eben auch Frauen. Frauen, die nicht nur von den Übergriffen der Polizei, sondern auch von der tagtäglichen sexistischen Übergriffigkeit in den 60er Jahren die Schnauze gestrichen voll hatten. Sie wollten sich handgreiflich zur Wehr setzen, die Öffentlichkeit als Territorium besetzen, so wie die Black Panther das in den US-amerikanischen Schwarzenvierteln versuchten – und so wurde mit Connie Matthews eine der wenigen Frauen im Führungszirkel der Black Panther Party zur Identifikationsfigur.

Das Organisationsniveau der Black Panther erreichten die Panthertanten, wie sie sich dann nannten, natürlich nie. Perincioli schreibt, daß sie nur ein „loser Haufen“ gewesen seien ([2], S. 106). Dementsprechend sah die Realität ihres Aktionismus aus:

„Täglich übten wir auf Klautouren kriminelle Fertigkeiten, Umsicht und Kaltblütigkeit, die wir für militante Aktionen brauchten. Dann hielten wir Ausschau nach Zielen, an denen mittels direkter Aktion Mißstände verdeutlicht und Widerstandswille demonstriert werden könnten. […] Denn Militanz erfüllte für uns Frauen noch einen anderen Zweck: wir probten ein neues Rollenverständnis. Wir zeigten: Frauen hören auf zu lächeln, zu bitten und Verständnis zu üben – sie zeigen Zähne.
Wir lernten Karate und sahen uns schon nach der ersten Lektion in eine Kneipenschlägerei verwickelt.“ ([2], S. 104f)

Dieser militante Alltag zwischen Kleinkriminalität und Kneipenschlägereien war jedoch nicht von langer Dauer. Schnell trennten sich die Wege. Während die einen mit dem Zurückschlagen blutigen Ernst machten und sich wirklich bewaffneten, widmeten sich andere realistischeren Projekten mit mehr gesellschaftlicher Bodenhaftung (Perincioli etwa engagierte sich im Mieterrat des Märkischen Viertels ([2], S. 107)).

Und damit schließt nun endlich diese ausufernde Darstellung der Geschichte des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen und der sehr unterschiedlichen Richtungen, die von dieser historischen Wegmarke aus eingeschlagen wurden.

Ab der nächsten Folge dieses Blogs beginnt ein neues Thema, das in den letzten Wochen schon immer mal wieder anklang. Es geht um die Bewegung gegen den § 218. Freuen Sie sich also auf nächste Woche, wenn ein Aufruf der Frauenaktion 70 einen völlig anderen Ton anschlägt als die Frauenbefreiungsfront:

„Die Demonstration gegen den §218 findet am Donnerstag, den 9. Juli um 16 Uhr auf dem Steinweg an der Hauptwache statt (Teach-In). Als erste wird Dr. Helga Einsele, Leiterin der Frauenstrafanstalt in Frankfurt-Preungesheim, sprechen. Bringt Männer, Freunde, Kinder und Transparente mit!“ (zit. nach [5], S. 75)

Nachweise

[1] Edschmid, U., Frau mit Waffe, Berlin 1996.

[2] Perincioli, C.: „Anarchismus, Lesbianismus, Frauenzentrum. Warum mußte die Tomate so weit fliegen?“, in: Heinrich-Böll-Stiftung und Feministisches Institut (Hg.), Wie weit flog die Tomate?, Berlin 1999, S. 98 – 117.

[3] Peters, B., Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF, Frankfurt am Main 2007.

[4] Sander, H.: „»Nicht Opfer sein, sondern Macht haben«“, in: Kätzel, U. (Hg.), Die 68erinnen – Porträt einer rebellischen Frauengeneration, Berlin 2002, S. 161 – 179.

[5] Scheunemann, R. & Scheunemann, K.: „Die Kampagne der ‚Frauenaktion 70‘ gegen den § 218“, in: Grossmann, H. (Hg.), Bürgerinitiativen. Schritte zur Veränderung?, Frankfurt a.M. 1973 (3. Aufl.), S. 68 – 84.

[6] Solanas, V., Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer, Darmstadt 1969.

7 Antworten

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  1. Dass der Schütze bei der Baader-Befreiung ein Berufskrimineller gewesen war, ist ja so explizit bis heute in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Schon damals wurde das Spiel um die Faktenmanipulation, das Spindoctoren beherrscht. So zählte damals die Bild-Zeitung Petra Schelm und Georg von Rauch in einem Artikel einfach mal mit zu den „Opfern des Terrorismus“ (Böll dazu: „Das sollte wohl ein Witz sein.“)

    Die Projektionsfigur „Flintenweib“ ist in der damaligen (und heutigen?) Öffentlichkeit übrigens allgegenwärtig und hoch interessant. Ist das noch die alte Angst vor den „Russen“? „Flintenweib“ ist ja Wochenschau-Diktion.
    Für mich immer wieder erhellend sind die Schriften Heinrich Bölls aus der damaligen Zeit. Sein Essay über eine der zentralen Frauen der Bewegung „Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?“ ist ja wesentlich für die damalige Diskussion. Auch „Katharina Blum“ ist keineswegs zufällig eine Frau.

    summacumlaudeblog

    27. Juni 2014 at 7:12

  2. Herrje, dreimal „damals/damalig“ in fünf Sätzen. So ist das, wenn man zwischen Kaffee und Wäsche mal so eben die Tastatur bedient. „Die gut getippte Schreibmaschine muß nicht unmusikalischer klingen, als das von der Nichte bearbeitete Klavier“ (Oscar Wilde). Aber meine Musikalität war heut nicht mit aufgestanden. Grüße

    summacumlaudeblog

    27. Juni 2014 at 7:16

  3. Danke für die Hinweise. Die „Flintenweib“-Symbolik ist verantwortlich dafür verantwortlich, daß diese Zusammenhänge zwischen Frauenemanzipation und Terrorismus gerade von Seiten der Linken praktisch nicht thematisiert wurden.

    alterbolschewik

    27. Juni 2014 at 12:00

  4. Ich kann mich lebhaft daran erinnern, dass die Terroristinnen tatsächlich als Argument gegen die Frauenemanzipation imns Feld geführt wurden. Es gab noch in Psychologie Heute so um 1980 einen Artikel über diese Thematik.

    che2001

    28. Juni 2014 at 16:41

    • So etwas ist natürlich vollkommener Käse. Auch wenn man die Zusammenhänge zwischen der Emanzipationsbewegung der Frauen und dem deutschen Linksterrorismus nicht ausblenden darf, existiert doch kein Bedingungszusammenhang. Meine These wäre es, daß es die selben , durch die konkrete Gestalt der Gesellschaft bedingten individuellen Frustrationen und Demütigungen waren, die motivierend wirken. Sowohl, um sich der Frauenbewegung anzuschließen wie auch um zur Waffe zu greifen. Und insofern sollte man nicht unterschlagen, daß Frauen andere, frauenspezifische Motive hatten, sich dem „bewaffneten Kampf“ anzuschließen als die Männer.

      alterbolschewik

      29. Juni 2014 at 12:38

  5. Edschmid, nicht „Erdschmid“.

    Leni Rauch

    12. Juni 2015 at 9:58


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