shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Punk!

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„Fortschritt und Barbarei sind heute als Massenkultur so verfilzt, daß einzig barbarische Askese gegen diese und den Fortschritt der Mittel das Unbarbarische wieder herzustellen vermöchte.“

Theodor W. Adorno, Minima Moralia

Daß Punk wie DADA sei, das wurde bereits letzte Woche zitiert. Doch inwiefern ist Punk denn nun wie DADA? Nun, die erste Gemeinsamkeit, die einem sofort ins Auge springt, ist der provokatorische Gestus. DADA attackierte die Kunst oder besser: das Kunstwerk, wie es seinem bürgerlichen, aus dem 19. Jahrhundert herrührender Begriff, nach sein sollte; zerschmettert werden sollte die Illusion, es wären noch runde, in sich geschlossene, sinnhafte, womöglich gar schöne Werke möglich. An die Stelle des wohlgeformten Werkes trat die zufällige Zusammenstellung vorgefundenen, aufgelesenen Materials, das auf eine Art und Weise zusammengeschustert wurde, daß es kein sinnvolles Ganzes, ja nicht einmal mehr ein Ganzes ergab. Und diese Destruktion der Vorstellung von einem sinnvollen Ganzen, war nicht nur überzeugend, sondern machte dabei auch noch Spaß.

Und dieser Spaß an der Zerstörung ist auch das Erste, was ein äußerlicher Blick auf Punk wahrnimmt: „I wanna be anarchy / You know what I mean / And I wanna be a anarchist / Get pissed. Destroy / Ahhh“ spuckt Johnny Rotton die Schlußverse von Anarchy in the UK heraus (zit. nach [1], S.52). Doch wer ist der Gegner von Punk? Auf den ersten Blick, zumindest wenn man die Sex Pistols als die prototypische Punk Band nimmt, scheint es die ganze Gesellschaft zu sein. Auf Anarchy in the UK folgt der Angriff auf das Silver Jubilee der Königin mit God save the Queen. Doch dieser hyperbolische Gestus des Angriffs auf alle und jeden, den die britische Boulevardpresse tatkräftig unterstützte, verdeckt in seiner maßlosen Selbstüberschätzung, daß Punk tatsächlich ein sehr präziser Angriff war, nämlich ein Angriff auf die Kulturindustrie.

Um das besser zu verstehen, ist es notwendig, die spektakuläre Inszenierung des britischen Punks auszublenden und den Blick auf die originalen Wurzeln zu werfen: Auf die New Yorker Punk Szene, die sich bereits ab 1973/74 in der Lower East Side entwickelte. Hier ging es nicht so sehr darum, das Establishment anzupissen, als vielmehr darum, sich von der Kulturindustrie abzusetzen. Die zeitgenössische Rockmusik wurde, von wenigen Ausnahmen wie The Velvet Underground oder Iggy and the Stooges einmal abgesehen, völlig abgelehnt. Diese Ablehnung des kulturindustriellen Mainstreams äußerte sich in der New Yorker Szene in Form zweier unterschiedlicher Strategien.

Die eine versuchte, der Kulturindustrie dadurch Paroli zu bieten, daß sie diese wieder mit einem Kunstwollen konfrontierte, das auch an Rockmusik den Anspruch stellte, daß diese als Kunstwerk funktionieren solle. Es ist deshalb auch kein Wunder, daß die zwei wichtigsten Protagonisten dieser Richtung, Patti Smith und der Gitarrist von Television, Tom Verlaine (allein das Pseudonym von Thomas Miller stellt den Bezug zum Kunstschaffen des 19. Jahrhunderts her) zunächst einmal von der Dichtung, und nicht von der Musik herkamen. Dieser Teil der New Yorker Punk Szene experimentierte mit neuen Formen und versuchte, aktuellere künstlerische Ausdrucksweisen zu etablieren.

Ästhetisch und musikgeschichtlich bedeutsamer war jedoch die andere Richtung, die nicht mehr versuchte, der Kulturindustrie dadurch zu bekämpfen, daß man ihr wieder das Kunstwerk entgegenstellt. Diese zweite Strategie, prototypisch verkörpert in den Ramones, funktionierte völlig anders: Sie kehrte in einer raffinierten dialektischen Volte die Kulturindustrie gegen sich selbst. Die Ramones bewegten sich voll und ganz im Inneren der kulturindustriellen Formen, aber sie reduzierten diese derart auf das nackte Skelett, daß die ersten Hörer vor dem Paradoxon standen, daß ihnen etwas Altbekanntes, das sie nie zuvor gehört hatten, um die Ohren geschlagen wurde:

„The whole place stunk of urine. The whole place smelled like a bathroom. And there were literally six people in the audience and then the Ramones went onstage, and I went „Oh … my … God!“
And I knew it, in a minute. The first song. The first song. I knew that I was home and happy and secure and free and rock & roll. I knew it from that first song the first time I went so see them.“ (Leee Childers, zit. nach [3], S.201)

Hier ging es nicht um Provokation, sondern darum, der Kulturindustrie das von ihr kolonialisierte Erbe des Rock’n’Roll zu entwinden und wieder künstlerisch fruchtbar zu machen. Die Front, die Punk im Angriff auf die Kulturindustrie aufmachte, hatte weniger den Zweck, den Gegner zu treffen, als vielmehr eine Enklave innerhalb des Systems aufzumachen, einen temporären Ort zu etablieren, in dem die Gegnerschaft zum „kulturindustriellen Scheiß“ (Nörgler) eine Heimstätte finden kann.

Emblematisch hierfür ist der Ramones-Song „Pinhead“, der sich direkt auf Tod Brownings Film Freaks von 1932 bezieht, den Film, der Brownings Regie-Karriere jäh beendete, weil er nicht in die etablierten kulturindustriellen Raster paßte. Die Helden von Freaks sind Menschen, die aufgrund irgendwelcher körperlichen Besonderheiten von der sich als „normal“ definierenden Gesellschaft ausgeschlossen werden und sich ihren Lebensunterhalt als Kuriositäten in einer Zirkus-Sideshow verdienen. Einer aus dieser Truppe, der kleinwüchsige Hans, verliebt sich in die Trapezkünstlerin Cleopatra. Doch Cleopatra hat es allein auf Hans‘ Geld abgesehen und will die Ehe nur eingehen, um ihn dann mit ihrem Liebhaber Hercules zu ermorden. Beim Hochzeitsbankett nehmen die nichtsahnenden Freaks Cleopatra in ihre Gemeinschaft auf:

Diesen Pakt, den Cleopatra bricht und wofür die Ausgestoßenen furchtbare Rache nehmen, schließen die Ramones mit ihrem Publikum in Pinhead erneut:

Und genau darum geht es im Punk (und auch schon bei DADA): Nicht um die Produktion von Werken, auch nicht um Provokation, sondern darum, mit Kunst einen Raum zu öffnen, in dem sich eine Minderheit geschützt vor den Zumutungen der Mehrheitsgesellschaft Ausdrucksmöglichkeiten erobern kann, die ihnen im normalen kapitalistischen Alltag verwehrt sind. Einer dieser Orte war, Mitte der 70er Jahre, die Lower East Side in New York.

Derartige situative Orte sind selten und meist kurzlebig: Entweder sie verschwinden oder sie werden früher oder später durch die Kulturindustrie wieder kolonalisiert. Zurück bleibt allein die Legende, und wenn man Glück hat, einige an sich bedeutungslose Artefakte, die ihre Aura daraus ziehen, daß sie an einen verschwunden Ort erinnern, an dem für eine kurze Zeitspanne etwas möglich war, was im Nachhinein wie ein Fata Morgana erscheint.

Damit endet, zumindest für den Augenblick, dieser unerwartet lange Exkurs zum Kunstwerk und seinem Ende. Nächste Woche kehren wir wieder zurück nach Jugoslawien und zur Praxis-Gruppe. Lesen Sie deshalb auch nächste Woche weiter, wenn Gajo Petrović erklärt:

„Indem wir den echten Marx wiederbelebt haben, konnten wir nicht bei seinen Lösungen stehenbleiben, sondern mußten versuchen, die Fragen zu beantworten, die er offengelassen hatte.“ ([2], S.56)

Literaturverzeichnis

[1] Lau, T., Die Heiligen Narren. Punk 1976 – 1986, Berlin / New York 1992.

[2] Petrović, G., „Marxism versus Stalinism“, in: Praxis, Jg.4 (1967), Nr.1: 55 – 69.

[3] McNeil, L. & McCain, G. (Ed.), Please Kill Me. The Uncensored Oral History of Punk, New York 1996.

Written by alterbolschewik

5. August 2011 um 17:04

Veröffentlicht in Punk

22 Antworten

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  1. alterbolschewik, nein, ich finde nicht, dass du zu lange Texte schreibst. Warum denn nicht das, was man sagen möchte, mal im Einzelnen auseinandersetzen ? Zumal, wenn sich im Internet die Möglichkeit dazu bietet ? Somit vermeidest du jedenfalls einen abschreckenden substantivischen Stil. Ich lese das ganz gern.

    ziggev

    7. August 2011 at 7:46

    • Vielen Dank für die Ermutigung. Eigentlich habe ich gerade bei diesem Text gemerkt, daß ich eigentlich viel, viel mehr schreiben müßte, aber dann hätte es wieder einen zweiten oder gar dritten Teil gegeben. Und eigentlich wollte ich nur kurz einen Abstecher zum Kunstwerk und der nachbürgerlichen Kunst machen, woraus jetzt schon drei Teile geworden sind. Ich will aber und muß langsam mit der Jugoslawischen Studentenbewegung und der Praxis-Gruppe zu Potte kommen (auch aus Gründen, die nichts mit dem Blog zu tun haben). Wenn dieser Text also etwas verkürzt und kryptisch wirkt: Irgendwann werde ich das Fehlende nachholen.

      alterbolschewik

      7. August 2011 at 13:27

  2. Ich empfehle auch hier gerne noch mal eines meiner Lieblingsbücher, „Rip it up and start again“ von Simon Reynolds. Übrigens auch, weil er einige Mythen über das CBGB abräumt und viel Wissenswertes über verschiedene Ansätze in der New Yorker Szene berichtet. Und da stellt es sich wenjger so dar, dass sich Punk gegen die Kulturindustrie, als vielmehr gegen schwarze und schwule Musik formierte, und natürlich auch gegen den Prog- und Artrock damaliger Tage. Der von Reynolds analysierte Post-Punk korrigierte diese regressive Schlagseite des Punk, zu dem auch P.I.L. zu rechnen sind. Was in Deutschland aber niemand so recht zur Kenntnis zu nehmen bereit ist, eine riesige Hypothek in der Alltagsästhetik linker Subkulturen.

    Ich gehe bestimmt auf die Nerven, weil sich das mittlerweile so holzschnittartig liest, wenn ich das schreibe. Aber deshalb empfehle ich das Buch ja immer wieder, das ist sehr spannend. Und parke noch den Namen Lydia Lunch.

    Musikalisch war Punk konservativ. Da waren Africa Bambaata und solche echt weiter.

    momorulez

    7. August 2011 at 15:49

  3. Puh, das ist natürlich schwierig. Es ist zweifellos eine Ablehnung „schwarzer“ Musik vorhanden, nur würde ich das anders interpretieren als Du. Meines Erachtens ist diese Ablehnung analog zur Ablehnung des Progrock aufzufassen: Es richtet sich gegen weiße Mittelklassejungs, die der Meinung sind, sie könnten einfach die schwarze Musiktradition plündern und sich damit eine musikalische Authentizität erschleichen, auf die sie keinerlei Anrecht haben (die Dictators haben sich darüber in „Back to Africa“ lustiggemacht). Musikästhetisch würde ich das vehement verteidigen, ob da auch andere, weniger erfreuliche Motive subjektiv mitgespielt haben mögen, vermag ich nicht zu sagen.

    Hingegen daß sich der New Yorker Punk gegen schwule Musik formiert hätte, wäre mir neu und erstaunt mich auch (ich werde mir jetzt doch mal das Buch von Reynolds zulegen; Postpunk fand ich musikästhetisch immer einen Rückschritt wieder Richtung „Kunstwerk“, aber vielleicht werde ich mit zunehmendem Alter ja aufgeschlossener, ich finde inzwischen sogar Marquee Moon ganz gut). Aber zurück zur Opposition gegen „schwule“ Musik (was immer das genau ist): Bei allem, was ich bisher gelesen habe, hatte ich eher den Eindruck, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der New Yorker Schwulenszene das CBGBs frequentiert hat. Und Wayne / Jayne County ist durchaus als eine der wichtigeren Künstler(inn)enpersönlichkeit der New Yorker Szene anzusehen. Insofern bin ich jetzt erst einmal erstaunt und werde mich schlau machen.

    Den Konservatismus von Punk würde ich akzeptieren, allerdings nicht als Vorwurf. Ich halte das vielmehr für eine der wesentlichen Errungenschaften, was man jetzt sehr weit ausführen müßte, wozu mir die Zeit fehlt (ich muß gleich los), deshalb nur ein Satz: Der Konservatismus von Punk richtet sich gegen den Glauben, im Rahmen der Kulturindustrie könne es so etwas wie einen musikalischen Fortschritt geben, und ist somit auf eine paradoxe dialektische Art und Weise die einzige Möglichkeit im vorgegebenen Rahmen der Kulturindustrie „progressiv“ zu sein.

    alterbolschewik

    7. August 2011 at 17:32

  4. Schwule Musik: Disco! Philly Sound! (Leute, die schon lange mit lesen, langweilen sich jetzt) Und die Kritik kam von Verlaine, Lydia Lunch und deren Umfeld. Deshalb hat Verlaine ja auch Disco adaptiert, ebenso P.I.L.. Disco ist schwarzschwul, genuin. Andere Versuch in der selben Zeit, black and white zu vermixen, waren beim 2Tones-Label angesiedelt, Gang of Four haben den Funk adaptiert, die Talking Heads auch – das ist für mich immer noch DAS Paradigma, in dem ich denke und höre. Lange, ohne das geschnallt zu haben, wieso ich Donna Summer ebenso prima finden konnte wie die Sex Pistols. Das Reynolds-Buch hat das für mich gewissermaßen erst ins Bewusstsein gehoben, was mein Hören und denken irgendwie immer schon geprägt hatte. Moroder war visionär, musikalisch, deshalb berufen sich später WestBam und solche auf ihn.

    Ob und inwiefern Punk proletarisch war, das ist eh noch mal eine andere Frage. Aber das US-Proletariat hat sich in Teilen nicht umsonst auf die DJ-Culture bezogen und den Hip Hop erfunden, zunächst ja mit Riffs von Chic und solchen Leuten. Dieses Vermeiden von Übergriffigkeiten habe ich bisher nicht gefunden als Motiv, Patti Smith hat doch mit ihrem „Rock’n’Roll N….“ genau das Gegenteil getan, was ihr viele Schwarze bis heute sehr übel nehmen.

    Kann den Reynolds wirklich nur ans Herz legen. Für mich tatsächlich das beste Buch, was je über im weiten Sinne verstanden Popmusik geschrieben wurde. Was auch nicht nur ich exklusiv so sehe. Der Typ ist brilliant.

    momorulez

    7. August 2011 at 18:33

  5. Ich würde Punk eben nicht nur als eine Musik sehen, sondern zugleich als eine Haltung, die mit Kunst Und Politik zu tun hat. Punk, das sind nicht nur die Gröl- und Blödpunks, sondern dazu gehören dann ebenfalls, so absurd das klingen mag, Gruppen wie Palais Schaumburg. Schon die Neubauten waren für die Einfach-Punks etwas, auf das aggressiv reagiert wurde. Insofern gehört zu Punk ebenso Musik, die von der Struktur kein Punk ist. P.I.L. ist da in der Tat ein gutes Beispiel. Die Altpunks haben bei einem Konzert Lydon bespuckt und mit Bier bekippt, nicht aus Bosheit, sondern weil das so üblich war: er hat sich das verbeten. Die Altpunks haben weitergemacht. Lydon brach das Konzert ab. Kam fünf Minuten später wieder auf die Bühne mit der Drohung endgültig abzubrechen und hernach war Ruhe.

    Wobei wir dann übergangslos beim Dada wären: Ich habe mir aufgrund der Texte von Alterbolschewik mal meine alten Dada-Zeitschriften, die es in den 80ern als Reprint bei Nautilus gab, aus dem Regel gezogen, und das sieht genau so aus, wie 60 oder 70 Jahre später die Fanzines.

    Ich denke, es gab sicherlich eine proletarische Fraktion beim Punk. Ein damaliger Freund kam eher aus dem Kleinbürgerlichen, im Grunde Arbeitermilieu, das hielt der auch immer hoch, und deshalb ist musikalisch bei mir auch Skin-Musik mit dabei (die ja wesentlich von der schwarzen Musik herkommt). Aber wir waren, jenseits des Proletarischen, zugleich beide auf dem Kunsttrip. Nicht nur Bier, sondern vielfach auch Wein, zum Geburtstag Champagner. Und dies eben hat den Punk für uns interessant gemacht: es war diese Koppelung an Kunst, an Vielfalt, an Dada und teils, aber deutlich weniger an den Surrealismus. Es löste sich die Identität. Zugleich war dies unsere ästhetische und poststrukturalistische Opposition gegen Zeichen und Lebenswelt: no more Heros.. Punk ist mehr als Musik. Aber ich denke, daß wir in dieser Sachet einig sind.

    Zu dem Dada-Bezug müßte ich noch mehr auf das eingehen, was Alterbolschewik schrieb, aber es ist nun schon spät. Ja, diese Sache ist eine eigene Serie wert, aber ich kann die nicht schreiben, weil ich vom Musik zu wenig Ahnung und zu wenig gehört habe.

    Diese Disco-Sache sehe ich durch die Ausführungen von Momorulez mittlerweile in einem anderen Licht, wenngleich ich mit dem Hören dieser Musik immer noch meine Schwierigkeiten habe. Wobei: Donna Summer finde ich gar nicht so schlecht.

    Bersarin

    7. August 2011 at 22:38

  6. „Patti Smith hat doch mit ihrem „Rock’n’Roll N….“ genau das Gegenteil getan, was ihr viele Schwarze bis heute sehr übel nehmen.“

    Interessant zu wissen. Neulich kam der Gitarrist von unserer kleinen Band mit dem Stück an und ich warnte, das kann man eigentlich nicht machen mit dem Wort, erst recht nicht, wenn man die Smith nachspielt. Kenne den Gesamtinhalt des Textes ja nicht. Vielleicht war das ja ok. in den Staaten, von P, Smith, aber hier in Deutschland? So, jetzt weiß ich bescheid, gut zu wissen. Ich möchte den Gitarristen aber etwas in Schutz nehmen: „… in Rio haben alle Leute, mit denen ich rumhing, sich gegenseitig so genannt.“ (Durch ein Wunder wahrscheinlich hat er die zwei Jahre auf der Straße da überlebt.) Wir haben nie wieder darüber gesprochen, ob wir das Stück spielen wollen. Abgesehen vom Text ist das allerdings für mich dennoch großartiger Lärm.

    Mit der erschlichenen Authentizität ist es natürlich so eine Sache. Aber ich spiele mit einem Gitarristen, der einer der wenigen in HH ist, die sich auf den Hosenboden gesetzt haben, und der sich Teile der Tradition w i r k l i c h draufgeschafft hat. Das Ergebnis ist, dass er weitaus mehr „echt“ klingt, als vieles, was ich in dieser Stadt so gehört habe. Was klingt, als wäre es authentisch, ist oft auch das Ergebnis von viel, viel Arbeit, und das gilt wahrscheinlich auch für die authentischen Sachen. Nicht so diese Art, Blues ist doch einfach, ich kann jetzt die Blues-Leiter und jetzt spiele ich Blues.

    In der populären Musik gibt es für mich nichts Hörbares, das nicht auf der schwarzen Musiktradition fußt. Klar, es gibt (eher gab) hin und wieder tolle Komponisten – Ausnahmen. Spontan fällt mir jedoch dann nur wieder Prince ein. Die Pet Shop Boys? Da wird´s freilich dünn, und Hip Hop usf., da bin ich immer genervt, wenn der Text so wichtig ist und ich kein Wort verstehe, aber die Grooves und all das, ja, that´s it, da ist Musik drin.

    Aber was willst du machen, wenn du drei Akkorde kannst, Musik machen willst, und alles andere in Vergleich so hölzern klingt und es ausgerechnet Th. Monk ist, der mit einem F-Moll Akkord synästhetische Kanäle öffnet (ein dunkles tiefes Blau)? Wenn du schon nachspielst, warum nicht das wirklich gute Zeugs? Und bei dem Kerl klingen selbst Stones-Sachen gut, anders würde ich auch mit Sicherheit nicht mehr Musik machen, dazu bin nicht mal gut. Ich fragte den schwarzen Bekannten von ihm, wie der das Konzert gefunden hatte, „yes, it was cool, you were the cowboys“, wobei er mit einer Geste auf die Bühne wies – ich hab mich echt weggeschmissen.

    So, das war jetzt ziemlich off topic, aber das Thema ist ja ein Dauerbrenner.

    ziggev

    8. August 2011 at 3:03

  7. Nix gegen die Pet Shop Boys 😀 … die verehre ich ja zutiefst. Durfte sie ja gerade im Vorprogramm von Take That erleben. Um hier einen nun wirklich völlig woanders platzierten Schwurbel zu erzeugen 😉 … Das ist einfach hervorragende DJ-Culture, und wenn man das mit der Produktivkraftentwicklung mal ernst nimmt, dann ist schon deshalb Moroder der Avanciertere gewesen. Die ganze Demokratisierung von Produktionsmitteln, ob nun der Ghettoblaster und Plattenspieler beim Hip Hop oder halt die Computertechnologien im House-Kontext, das berühmte Vierspurgerät, dessen Simulation man am iPad nun nachspielen kann, das sind Sachen, die aufgrund dieses Dominantwerdens des Punks in „der Linken“ viel zu wenig reflektiert wurden. D.A.F., Der Plan, das waren ja Pioniere, und selbst der blöde Casio von Trio war eben das Herzeigen: Hey, Emerson Lake and Palmer mochten fast Informatiker sein, Roger Wakeman ein Virtuose, wir lachen uns lieber weg und können uns so einen Kram jetzt auch leisten! Und Palais Schaumburg wurden als Popper vor den Markstuben vermöbelt. Da gehört dann ja auch die ganze Kippenberger/Oehlen/Büttner-Schiene mit zu, irgendwie, was ja in den Kunst-Diskussionen auch immer verschwindet, wohl irgendwie auch zu recht, weil die oft von den Falschen gehyptet wurden, um den Beuys dieser Welt einen überzubügeln. Obwohl Kippenberger immer zum Entsetzen seiner Spex-Freunde z.B, den „Bodyguard“-Soundtrack hörte, später 😉 – und „Dialog mit der Jugend“ muss doch gerade für Dich, Bersarin, eine ganze Welt aufgehen lassen. Der hat immerhin das SO 36 betrieben.

    momorulez

    8. August 2011 at 9:01

  8. Kippenberger, der ist großartig, da geht mir in der Tat jedes Mal das Herz auf. Leider ist der viel zu früh gestorben. Gerade weil ich selber immer viel zu freundlich bin, freue ich mich, wenn ein anderer mal den Bösen heraushängen läßt. Kippenberer: das ist der angewandte, praktisch gewordene Beuys. Ich bin zwar auch böse. Aber ich zeige das nicht so und laß das nicht heraushängen.

    Bersarin

    8. August 2011 at 16:47

  9. Ich sehe schon, das Thema ist in der Tat ein weites Feld, auf das es sich sicherlich lohnt, zurückzukommen – allerdings erst, wenn ich den Reynolds gelesen habe.

    Nur noch was zu Patti Smith: Ich würde das nicht „übergriffig“ nenne, wie sie das N-Wort verwendet. Bei ihr geht es ja gerade darum, der rassistischen Mehrheitsgesellschaft das Wort in den Rachen zurückzustopfen: „Jimi Hendrix was a nigger. / Jesus Christ and Grandma, too. / Jackson Pollock was a nigger. / Nigger, nigger, nigger, nigger, / nigger, nigger, nigger. // Outside of society, they’re waitin‘ for me. / Outside of society, if you’re looking, / that’s where you’ll find me.“ Das Wort wird bei Patti Smith (und sie ist da nicht die einzige in der New Yorker Punk Szene) als pars pro toto für das verwendet, was die Mehrheitsgesellschaft nicht versteht und ausgrenzt. Das heißt nicht, daß sie die schwarzen Erfahrungen mit dieser Mehrheitsgesellschaft als die eigenen ausgibt, es geht darum, Solidarität zu bekunden und sich selbst von dieser Gesellschaft zu distanzieren, die andere zum „Nigger“ macht. Im Text heißt es ja nicht, daß sie sich selbst in der Lage der Schwarzen (oder sonstigen Ausgegrenzten) sieht, sondern „outside of society, they’re waitin‘ for me“ – Smith ist bewußt, daß sie, im Gegensatz zu den wirklich Ausgegrenzten, eine Wahl hat. Gerade dadurch ergibt sich für sie das moralische Postulat, sich auf deren Seite zu stellen. Übergriffig ist das nicht.

    alterbolschewik

    8. August 2011 at 21:49

  10. Der demokratische Part fällt bei uns eher mir zu, ich hatte keine andere Wahl, ich musste zum Blues-Bassisten mutieren: „Ziggev, das ist B l u e s, das k a n n s t du.“ 😉

    Altes Punk-Motto: Wer übt, kann nicht spielen und fällt den anderen in den Rücken.

    ziggev

    8. August 2011 at 23:22

  11. Mir reicht das ja immer völlig, dass es als übergriffig beurteilt und empfunden wurde, weil es das Spezifische schwarzerErfahrung leugnet. Das reicht mir dann schon, ich hab da nicht meinerseits eine objektive Deutung zu liefern.

    Das Thema selbst halte ich, Bersarin kennt das ja 😉 , für immens wichtig, weilda was Unabgegoltenes, von den Falsches annektiertes als Potenzial schlummert. Wirklich.

    momorulez

    8. August 2011 at 23:26

  12. in den achzigern kannte ich nen Typen, den ich immer zum Kiffen besuchte, bei dem wir alle Anfänge des Hard Rock duchrgehört haben, Deep Purple, die frühen Pink Floyd, alle skandinavischen Gitarrenvirtuosen, den ganzen Jazz-Rock, Whether Report, natürlich Hendrix, was es so an Heavey Metal gab, Krautrock, und eines Tages lief da nur noch Pet Shop Boys in Dauerschleife. Zehn oder zwanzig Jahre später hab ich´s dann auch geschnallt und mir das Doppelabum gekauft. Nein, nichts gegen die Pet Shop Boys!

    Vielleicht schaffe ich es noch mal, was zum „zurück zum Thema“ zu schreiben, habe da noch ein paar Ideen. Bin mit des Alten Bolschewiken Conclusio noch nicht ganz zufrieden, hätte noch ein paar Fragen. Mal sehen.

    ziggev

    9. August 2011 at 13:19

  13. Ich sehe nicht, dass Smith das Spezifische schwarzer Erfahrung leugnet, sondern im Gegenteil eine Solidarisierung, die sich ihrer eigenen Privilegiertheit bewusst ist.

    che2001

    23. August 2011 at 18:50

    • Che, bezüglich Patti Smith sehe ich das, rein objektivistisch, auch so. Aber momorulez Beharren auf subjektiver Erfahrung ist ebenfalls legitim, insofern herrscht hier eine kaum auflösbare Aporie vor. Und mittels solcher Aporien lassen sich in Blogs zwar die Kommentarspalten füllen, wirkliche Einsichten werden daraus nicht erwachsen.

      Eine Möglichkeit, diese Aporie zwischen angeblicher Objektivität und nicht hinterfragbarer Subjektivität aufzuheben, läge vielleicht darin, den Kontext zu thematisieren. Wenn Patti Smith das N-Wort im Kontext ihrer Konzerte verwendet, dann richtet sich das im wesentlichen an ein weißes, sich aufgeklärt verstehendes Mittelschichtspublikum. Dieses würde natürlich nie dieses Wort verwenden – dazu ist es sich seiner eigenen Progressivität selbst viel zu sicher -, aber die tatsächlichen Ausschlußmechanismen sind, auch wenn die damit einhergenenden Wort selbst tabuisiert werden, nach wie vor wirksam. In diesem Kontext holt das Wort die vom Bewußtsein ausgeblendete Praxis in selbiges zurück und kann somit emanzipatorisch wirken. Anders wäre es, wenn Smith dies vor einem überwiegend schwarzen Publikum machen würde: Hier wäre es eine reine Unverschämtheit. Insofern wäre nicht nur anhand des Textes selbst zu fragen, wie er gemeint ist, sondern auch, welche Wirkung er in welchem historischen und sozialen Kontext besitzt.

      alterbolschewik

      24. August 2011 at 10:54

  14. @“Ob und inwiefern Punk proletarisch war, das ist eh noch mal eine andere Frage. “ —– das hängt aber davon ab, ob in USA oder GB. Ich würde mal sagen, in GB eindeutig, in USA ist da der Rap und auch noch der Blues vor. Hinsichtlich Disco weiß ich nicht so recht, ob die Anfänge, Philliesound, Greenwich-Village-Clubszene and so on, noch viel mit dem weltweiten Discoboom nach Saturday Night Fever zu tun haben.

    che2001

    24. August 2011 at 9:51

  15. Was Anderes: Ich hätte Pattie Smith nie unter Punk einmgeordnet, sondern eher als klassischen Hardrock mit Einflüssen noch von Doors und Janis Joplin.

    che2001

    24. August 2011 at 14:10

  16. Das ist es ja, was mich den New Yorker Punk so viel mehr schätzen läßt als den britischen: Das Ganze war um einiges vielfältiger im Ausdruck (wobei der Blick auf die britische Szene oft genug auch viel zu verengt ist). Zu den New Yorkern gehörten neben Patti Smith so unterschiedliche Bands und Musiker wie Blondie, Television, die Heartbreakers, Richard Hell und Wayne / Jayne County, aber auch bildende Künstler wie Robert Mapplethorpe und Arturo Vega oder Regisseure wie Jim Jarmusch. Punk ist eine Haltung, zum musikalischen Stil wurde er durch die Kulturindustrie gemacht.

    alterbolschewik

    24. August 2011 at 15:15

  17. punk´s dead – punk´s not dead ?

    wenn punk aber eine haltung ist, und du dich auf das new york der endsiebziger berufst, dann sehe ich irgendwie nicht ganz deutlich, wie diese haltung heute noch großartig wirkt. gut, viele der leute, die du nennst, kenne ich gar nicht, hab da immer nur die dokus, die immer auf arte laufen, gesehen, ja, diese ‚fanzines‘ – den ausdruck gab´s damals, glaube ich, noch gar nicht – kamen mir irgendwie bekannt vor; blondie spielte in den ’storys‘, wenn ich mich recht entsinne, auch öfter mal eine rolle; lou reed spielte dieses jahr auf diesem riesenfestival in frankreich, gestern auf arte gesehen. eben mal Mapplethorpe gegooglet, und da tauchten auch einige namen auf, die ich ebenfalls so aus dem lameng assoziiert hätte: debbie harry, eben warhol.
    aber ist das nicht alles lange abgefeiert? lou reed hatte nicht mehr diesebe magie (seine antihaltung dem interviewer gegenüber war aber schon cool), warholreproduktionen hatte i.d. achtzigern jeder popper im zimmer hängen. auch sehe ich nicht ganz bei allen diese haltung. das liegt natürlich moglw. daran, dass ich vieles einfach nicht kenne. vieles war, vieles ist immernoch beeindruckend. ich hab dann neulich mal p. smith auf youtube gesehen, das war schon wild, habe aber auch mal eine dukumentation über sie gesehen, und ich fand, dass sie etwas eitel ist und zu selbstüberschätzung neigt. ein freund von mir versorgte mich, wir waren so 14, mit dem allernötigsten in den achtzigern, viele in der zeit ließen sich von der haltung – der oder stimmung, die immernoch aus dieser zeit bis nach europa rüberschwappte, anstecken -, die bilder von Mapplethorpe, wenn ich an die zurückdenke, an die ich mich erinnern kann, immernoch beeindruckend. aber der hatte das alles, naja fast, von seiner kommunistischen mutter. in der zeit war ja schon lange wave aktuell, was elvis costello da machte, konnte mich einfach nicht beeindrucken, wie debbie harry klang, ist mir völlig entfallen. was aber, wenn´s beim punk, damals schon, sich um eine bildungsfrage handelte?
    in hamburg waren das z.b. kosmonautentraum (mehr wave), da hatte ich sogar um ein paar ecken ‚kontakte‘, was ich echt cool fand, die kastrierten philosophen. die taten mir aber eher leid. ich kam da also mit 16 vollgekifft vom ‚dead heads‘-treff – zum ersten mal santana live at fillmore east in s/w gesehen – in die markthalle, und da standen sie, wollten wie velvet undergroud klingen, es sah nach ner ziemlichen junkie-angelegenheit aus, die geigerin – furchtbar -, das war aber alles, auch im übertragenen sinn, ziemlich dünn, auch die kleine ‚ausstellung‘ mit läppischen bildchen. waren das nicht eher doch die helden, denen sie nacheifern wollten? nicht anders als im ‚progressiv rock‘, wo die soli und die haare immer länger wurden? ich bedauerte dies, es hätte so schön schräg sein können.
    dann kamen da ein paar bands, die alle gleich klangen und gleich aussahen: kurze haare (aber frisiert), jeans, schwraze lederjacke, die leidlich auf ihre gitarren eindreschten und mehr oder weniger erfolgreich versuchten aus ihren verstärkern eine rückkopplung heruaszuholen. o.k. jahre später habe ich verstanden, bin halt ein spätentwickler, z.t. ja kein wunder, aber das waren eher intellektuell angefixte … außerdem war in meinen augen diese mode eher aus den poppern entstanden, die sich zu schmuddelpoppern entwickelten, und dann zu rockern wurden ohne welche zu sein, nicht ganz, sich dann mit der drogenszene vermischten. (zu der zeit schwebte mir eher etwas wie psycodelic-punk-jazz vor.)
    wirklich schlimm wurde es dann mit dem, was sich, glaube ich, independent oder alternativ nannte, also gruftikram, the cure? die kaprizierten sich tatsächlich nur noch darauf, eine ‚haltung‘ nachzuahmen, und fingen an, aus der not, ihr instrument nicht spielen zu können, eine tugend. ein paar saiten immer leer spielen, und auf ein paar anderen munter rauf- und runterrutschen. frenetische beifallsmengen, aber das war das ende.
    kleiner sprung, hamburger schule; wieder, der anfang war im prinzip gut. so auf die westerngitarre eindreschen, dass die tiefe e-saite immer etwas zu tief klingt, ich glaube, das war der frühe blumenfeld, solo, echt mal gute texte, und das gemahte an, du wirst dich wundern, – an bob dylan. die klangen wieder wie übungsraum, spielten an der „grenze der distinktion“ (spex), und spielten gegen den (unendlichen) klangraum und den perfektionismus an, hinter dem die meisten einfach zu lange hinterhergehechelt waren, und die mir ebenfalls dafür etwas leidtaten. das ergebnis? wir haben heute nur noch solche leute mit akkustikgitarren, die zusammen mit e-gitarren mächtig drauflosschrammeln, deutsche texte, die mir am arsch vorbeigehen, o.k. gut geschrammelt, es wird dann mit überlagerungen gearbeitet, ein bestimmter sound, nur ist da keine entwicklung mehr zu entdecken. die vorletzte platte von Blumenberg war bereits nicht mehr gut. o.k., dann bauen wir eben schnell mal rhtymische elemente ein – das erinnert mich fatal an das zwischen den synkopen herumgestrampel im jazz – im falschverstandenen -, – der ja auch ein stil ist mit begrenzten mitteln, eigentlich ein historischer. oder denk auch an paul simons afrikaausflug, oder an das, was die red hot chilli peppers jetzt machen.
    aber einen vorteil hat die situation von heute schon. die leute basteln sich ihre helden jetzt selbst, mit twitter und facebook. siehst du etwa hier eine parallele? man macht sich die musik selber, die haltung, jetzt sind es nicht mehr in dem sinne ‚helden‘, dass man sie vorgesetzt bekommt. das ganze ist ein kollektives phänomen.
    wenn´s aber klappt, hast du wieder diese frenetischen massenkonzerte, ein für mich vollkommen unverständliches phänomen. und der sound ist wieder perfekt.
    ich stehe da eher auf dynamischen, haptischen sound, wie er nur in kleinen clubs möglich ist. wie auf alten 50erjahreaufnahem, wo die gitarre mit verzögerung lauter wird, wenn der gesang aufhört. was ich gehört habe, nicht so viel, aber neulichbin ich da aus so einem kleineren laden geflüchtet, können die das nicht mehr. auch dazu gehört dann wieder können.
    auch wenn ich in der minderheit bin, könnte ich in der jetzigen situation einen demokratischen aspekt entdecken, der dem werkbegriff zuwiederläuft. ich weiß aber nicht, wie jetzt punk das ‚ende der kunst‘ aufgehalten haben sollte, ich hatte gedacht, darauf wolltest du nocheinmal zurückkemmen.

    p.s. neulich hab ich auf sonem punktertreff gespielt, die meisten eher ehemalige (mensch, wir waren damals echt jung), aber die, die anfingen zu tanzen, die sahen aus wie vor langer zeit in London, wo mich 1978 ja nicht nur turner beeindruckt hatte, ein langer weg, aber ich war ja sooo stolz 😉

    ziggev

    28. August 2011 at 12:51

  18. Puh, ziggev, das sind viele Anmerkungen und Fragen. Um gleich im Kern des Ganzen einzusteigen: Mir ging es nicht um einzelne Musiker oder Künstler – das würde zurückführen auf die klassische Künstler / Kunstwerk-Schiene, die, zumindest versuche ich so zu argumentieren, im Punk aufgehoben wurde. So wie ich Punk verstehe, ist dies ein zeitlich und örtlich eingeschränktes Ereignis kollektiver Kunstproduktion. Das wichtige dabei ist nicht, was am Schluß an künstlerischen Artefakten herauskommt – Schallplatten, Bilder, Filme – sondern der Prozeß als solcher, der nach Möglichkeit alle Beteiligten einschließt, wo also die strenge Scheidung zwischen Produzenten und Konsumenten aufgehoben ist. Das heißt, daß es im strengen Sinn kein Publikum mehr gibt, daß die Trennung von Leben und Kunst verschwindet und das Leben auch jenseits des Konzert- / Ausstellungs- / Filmvorführungsereignisses sich verändert. Das Ganze ist, wie schon gesagt, immer zeitlich und örtlich eingeschränkt, wie etwa in New York zwischen grob 1974 und 1976.

    Problematisch wird es, wenn diese temporäre Alchemie aufhört, die Einzelteile sich wieder trennen und die Trennung von Produzenten und Konsumenten wieder greift. Dann wird aus den Ramones eine ganz normale Rockband, die Platten aufnimmt, auf Tour geht und eben mit ihrer Musik ihren Lebensunterhalt bestreitet. Das ist nicht verwerflich, kein Ausverkauf oder sonst etwas, sondern das banale Resultat, daß die Magie des ursprünglichen Ereignisses verflogen ist. Da kann dann immer noch ordentliches Zeug dabei herauskommen, aber das Eigentliche, worum es einmal ging, ist verflogen. Insofern würde ich Dir völlig recht geben, daß heute zum Beispiel bei einem Patti Smith Konzert davon nichts mehr vorhanden ist. Es mag ein Konzert sein, das aus dem Schrott des sonstigen Konzertangebots heraussticht, aber es bleibt ein ganz normales Konzert: Man kauft seine Eintrittskarte, läßt sich zwei Stunden unterhalten, trinkt dann noch ein Bier, geht wieder nach Hause und am nächsten Morgen geht es wieder zur Maloche.

    Es gibt hier natürlich auch eine Analogie zu politischen Bewegungen: Wenn die Magie der eigentlichen Bewegungen verfliegt, bleiben auch nur kleine, bedeutungslose Politsekten zurück, die vielleicht auch noch über die richtige Analysen verfügen. Aber ihre Relevanz ist gleich null.

    Hier im Blog will ich diese ganzen Sachen sowohl von der politischen, der philosophischen wie auch der künstlerischen Perspektive aus thematisieren; deshalb ist das Versprechen, daß ich auf Punk zurückkomme, kein leeres. Aber das Ganze ist für mich ein ziemliches Großprojekt, und es wird sicher noch geraume Zeit dauern, bis Punk hier wieder Thema ist. Die nächsten Wochen wird es sicherlich noch um ’68 in Jugoslawien gehen, dann plane ich eigentlich, einiges zur mexikanischen ’68er-Bewegung zu schreiben. Vielleicht gehe ich vorher aber auch noch auf Punk in Slowenien ein, der sich ziemlich linear aus der slowenischen Studentenbewegung entwickelte. Mal sehen…

    alterbolschewik

    29. August 2011 at 13:38

  19. Stay tuned, das liest sich alles gerade hochspannend!

    che2001

    29. August 2011 at 14:24

  20. ja, etwas viel … das lag wohl auch an etwas überreichlich Espresso 😉
    les mir später in Ruhe durch, was du schreibst.

    ziggev

    29. August 2011 at 16:42


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