shifting reality

Es gibt kein richtiges Lesen im valschen!

Archive for August 29th, 2007

Was ist aus den Ossis bloß geworden?

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 Sibenik

Foto/Quelle: Ferienhaus Vlahov

Da links in der Ecke haben wir, glaube ich, gesessen. Mit Vater irgendwann mitten in den 70ern. Wunderte mich so frühverdorben als Kind, wieso die Kellnerin so gar kein Engagement an den Tag legte, uns Getränke zu bringen. In der Hotelanlage gleich um die Ecke in Vodice war das anders. Und Vater erklärte, daß sie im Sozialismus ja nix davon habe,  die „Bedienung“, wenn sie mehr einnähme. Ach so! MomoRulez lernt die Welt.  Diese würdevolle Haltung, dieses „Glaubt bloß nicht, ich springe jetzt für euch, ihr Dreckstouris“ des Dunja Rajter-Doubles („Sag noch mal, sag noch mal, was Du immer sagst zu mir!“), das war mir aber irgendwie sympathisch.

Sibenik, das da oben, war übrigens, wenn ich mit recht entsinne, der Ort, wo „Katze Bulat“ herkam, kleiner Insider-Witz für St. Paulianer – nur am Rande. Eigentlich wollte ich jetzt von Supermarktkassiererinnen schwärmen. Ist sonst schon mal jemandem aufgefallen, was für ein stoisch-würdevoller Schlag Mensch das so ist?Ich bin zu niemandem freundlicher als zu Supermarkt-Kassierinnen. Und wer die anpöbelt, weil irgendwas nicht schnell genug geht oder so, der kriegts’s dann immer mit mir zu tun. Für die, die immer aussieht wie Dunja Rajter in den späten 30ern, nur fülliger, hole ich manchmal auch was aus dem Tchibo-Regal.

Und wollte eigentlich ganz im Sinne unserer Rubrik „Alte Männer plaudern von früher“ erzählen, wie ich mit der Ost-Berliner Cousine meiner Mutter an der Alster saß, damals, ’88 – so ohne Familie durfte die uns zu besonderen Anlässen besuchen – und sie sich für die Fülle von Joghurtsorten imKühlregal begeisterte.  Und ich entgegnete empört, daß sie mal bloß nicht glauben solle, daß hier ganz Wilhelmsburg jeden abend Tüten voller differenter Joghurt-Sorten nach Hause schleppen würde. Das letzte Mal, als ich sie traf, war sie höchstverschuldet und traf sich zwei mal die Woche mit ihrer Bank.

Gestern so deliererend zappend beim MDR hängen geblieben. „Wie der Osten Urlaub machte“ oder so hieß das. Diese nicht-existente Reisefreiheit – der pure Horror. Kennen Afrikaner z.B.  heutzutage ja auch gut, was das heißt. Gibt’s eigentlich ’nen Schießbefehl vor Gibraltar? Wahrscheinlich nicht. Auch in Mügeln wäre der u.U. gar nicht nötig! Aber zurück zur DDR: ‚N Drittel der Gesamtbevölkerung, wenn ich mich nicht verrechnet habe,  drängte im Sommer an den Ostseestrad, und da war’s dann eng.

Interessant war auch, und das gibt dem Klassenfeind dann recht, wie sich marktanaloge Strukturen, Privatzimmervermietung z.B., sozusagen naturwüchsig etablierten, weil die Leute keine Lust hatten, sich nur von Gewerkschaften oder Betrieben die Urlaube organisieren zu lassen. Auch die Entwicklung, daß im Zuge allgemeinen Arbeitskräftemangels – der bei möglicher Reisefreiheit wohl noch ausgeprägter gewesen wäre –  manche Betriebe dann besonders schicke Urlaubsquartiere bauten, um Personal zu werben, was ja auch so eine gegenüber favorisierte Struktur ist, zu glauben, daß da alles so funktionieren würde, warganz spannend. Weil sie zugleich auch zeigt, wieso es Interesse an Massenarbeitslosigkeit gibt, dann muß man sich solche Mühe nicht geben.

So plauderten dann diverse Ex-Urlauber von früher, und schon bei der Empörung, daß es nur 3 Wurstsorten gegeben habe, wunderte ich mich dann doch. Gut, wir fuhren immerhin nach Biarritz und nicht nach Usedom, aber da haben wir dann auch jeden abend Thunfischsalat gegessen, weil das Öl so teuer war, und in den Dosen war halt wat mit drin. Ist natürlich immer die Frage, mit was man nun gerade vergleichen will, der Jugoslawien-Urlaub mit Vater war schon üppig, als ich jedoch Anfang der 80er Schulpraktikum in einem Kindergarten in Vahrenheide/Hannover machte, da hatten die meisten Kids auch noch nie Kühe gesehen, weil sie aus ihrem Hochhaus-Viertel nie rauskamen.

Richtig geärgert hat mich die Empörung einer Interviewpartnerin aber an einem ganz anderem Punkt: Sie regte sich darüber auf, daß es jeden abend um 17.30 h Abendbrot gegeben habe, weil das Personal früh Feierabend machen wollte. Echauffierte sich geradezu über diese Unverschämtheit der Kelllner und Küchenhilfen, so ein dreistes Bedürfnis zu entwickeln.  Und endete mit der Hammer-Pointe, daß sie „perverserweise“ dafür auch noch Verständnis gehabt hätte. Unglaublich! Was eine Perversion! Zum Glück ist sie ja jetzt gesundet.

Written by momorulez

29. August 2007 at 7:15